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Bedenken gegenüber dem Bericht der Arbeitsgruppe Zukunft des Zivildienstes

Lothar Judith (DGB-Jugend) / Ulrich Finckh (Zentralstelle KDV)

Die von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Dr. Christine Bergmann, einberufene Arbeitsgruppe hatte die Aufgabe, die Folgerungen aus der Bundeswehrreform für den Zivildienst zu beraten. Dabei sollte die Planung der Bundesministers der Verteidigung, die unter dem Titel "Die Bundeswehr - sicher ins 21. Jahrhundert; Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf" Anfang Juni 2000 veröffentlicht wurde, zu Grunde gelegt werden.

Wie die Einleitung des Berichts der Arbeitsgruppe (Seite 3, Absätze 4 und 5) zeigt, stieß diese Planung auf allgemeine Skepsis.

"Die Vorschläge der Arbeitsgruppe gehen von der Voraussetzung aus, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Grundwehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden gewahrt bleibt. Das setzt voraus, dass die jetzt beschlossene Dauer des Grundwehrdienstes von 9 Monaten nicht durch die Praxis der Einberufung zum Wehrdienst verkürzt wird.

Weiter gehen die Vorschläge von der Voraussetzung aus, dass die Wehrgerechtigkeit gewährleistet bleibt. Wenn es zu einem Auswahl-Wehrdienst kommen sollte und nicht mehr möglichst alle Wehrpflichtigen einberufen werden, sind sowohl verfassungsrechtliche wie organisatorische Probleme zu erwarten, die die allgemeine Wehrpflicht in Frage stellen können."

Wir hatten von Anfang an geltend gemacht, dass die Planung des Bundesministers der Verteidigung nicht realisiert werden kann und ein abweichendes Votum vorbereitet. Die Mehrheit der Arbeitsgruppe meinte aber, unseren Bedenken sei im Vorwort des Berichts genügend Rechnung getragen und hat beschlossen, nur die Mehrheitsmeinung in den Bericht aufzunehmen.

Wir halten die Veröffentlichung unserer Bedenken, die den Arbeitsgruppenmitgliedern vor der Abschlussberatung des Berichts übermittelt wurden, trotzdem für nötig, weil die Voraussetzungen, die vom Bundesminister der Verteidigung für die Ausgestaltung des Grundwehrdienstes festgelegt wurden, nach unserer Überzeugung spätestens ab Januar 2002 nicht mehr stimmen. Wenn sie aber nicht stimmen, hat das massive Konsequenzen für den Zivildienst, die von der Arbeitsgruppe nicht behandelt wurden.

Lothar Judith, Abteilung Jugend im Deutschen Gewerkschaftsbund

Ulrich Finckh, Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V.


Wir widersprechen der Mehrheit bei der Einschätzung, dass

1. die Bundeswehr im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht alle tauglichen und verfügbaren Wehrpflichtigen einberufen werde und folglich auch alle verfügbaren Zivildienstpflichtigen einberufen werden müssen;

2. wegen dem neun Monate dauernden Grundwehrdienst der Zivildienst zehn Monate dauern müsse. Wir gehen davon aus, dass die Mindestgrundwehrdienstdauer vermutlich nur etwa 6 ½ Monate betragen wird. Die Zivildienstzeit muss dementsprechend viel stärker gekürzt werden.

 

1. Allgemeine Wehrpflicht oder Auswahlwehrpflicht

Die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter dem früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker hatte ihren Berechnungen zu Grunde gelegt, dass von den 430.000 Männern eines Geburtsjahrganges 150.000 jedes Jahr einberufen werden können (vgl. Bericht der Kommission, Seite 61, Abbildung 2 zu Ziffer 86). Die Zahl war vom Bundesministerium der Verteidigung mitgeteilt worden. Nach unseren Erkundigungen über die Musterungsergebnisse der letzten Jahre stehen sogar über 180.000 taugliche Wehrpflichtige jedes Jahr für den Grundwehrdienst zur Verfügung.

Der Bundesminister der Verteidigung sieht in seiner Planung ("Die Bundeswehr -- sicher ins 21. Jahrhundert; Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", Seite 30, Ziffer 62) aber pro Jahr nur die Einberufung von etwa 100.000 Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst vor unter Einbeziehung von 18.000 freiwillig länger Dienenden. Es ist offensichtlich, dass somit nicht alle verfügbaren Wehrpflichtigen einberufen werden können und praktisch von der allgemeinen Wehrpflicht zu einer Auswahlwehrpflicht übergegangen wird. Das muss Konsequenzen für den Zivildienst haben.

Denkbar sind zwei Möglichkeiten:

Weil das Bundesverfassungsgericht bereits 1978 judiziert hat, dass die Wehrpflicht nach Artikel 3 Grundgesetz unter dem Gebot der Wehrgerechtigkeit steht, ist diese Planung verfassungswidrig. Die Wehrpflicht muss dann aufgegeben werden und der Zivildienst fällt weg.

Die Alternative ist: Nach der Argumentation der Kommission ‚‚Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr'' wird die Auswahlwehrpflicht akzeptiert (Bericht der Kommission, Seite 65, Ziffer 98 ff.); dann muss aber wegen Artikel 3 Absatz 3 (Benachteiligungsverbot) und Artikel 12a Absatz 2 (keine Einschränkung der Gewissensfreiheit) Grundgesetz eine entsprechende Auswahl auch bei der Heranziehung zum Zivildienst vorgenommen werden.

Wenn von den tauglich gemusterten Wehrpflichtigen eines Jahrganges über 60% für den Wehrdienst verfügbar sind und weniger als 40% den Kriegsdienst verweigern, dann muss sich dieses Verhältnis auch in der Bereitstellung von Dienstposten und bei den Einberufungen widerspiegeln. Wenn für die Mehrheit, nämlich 60% der tauglich Gemusterten, 77.000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende zur Verfügung gestellt werden, dürfen nicht mit 40% der tauglich Gemusterten, die den Kriegsdienst verweigern, 117.000 Dienstposten besetzt werden (vgl. Seite 24 f. in den "Empfehlungen für die Ausgestaltung des Zivildienstes"). Wir halten es für unmöglich, bei einer solchen Empfehlung von Gleichbehandlung zu sprechen.

Wir empfehlen dem Gesetzgeber, die Pläne zur Reform der Bundeswehr und des Zivildienstes deshalb sorgfältig unter den Gesichtspunkten der Wehrgerechtigkeit und der Gewissensfreiheit zu prüfen.

 

2. Dienstdauer

Nach der Planung des Bundesministers der Verteidigung ("Die Bundeswehr - sicher ins 21. Jahrhundert; Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", Seite 30) sind folgende Regelungen für den Grundwehrdienst der Wehrpflichtigen vorgesehen:

50.000 Wehrpflichtige werden pro Jahr auf 25.000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende W 6WÜ zu einem sechsmonatigen Grundwehrdienst einberufen mit der Verpflichtung, später drei Monate Grundwehrdienst in Übungen abzuleisten;

35.000 Wehrpflichtige werden pro Jahr auf 25.000 Dienstposten als Grundwehrdienstleistende W 9 für neun Monate einberufen;

18.000 Wehrpflichtige werden pro Jahr als freiwillig länger Dienende FWDL auf 27.000 Dienstposten für freiwillig länger dienende Grundwehrdienstleistende für 12 bis 23 Monate einberufen.

Die Wehrpflichtigen W 9 und FWDL erhalten dabei ab dem 7. Monat höheren Sold und auch ein höheres Entlassungsgeld.

Diese Planung setzt voraus, dass für die 50.000 Grundwehrdienstleistenden W 6WÜ jedes Jahr 12.500 Kurzzeitdienstposten für die Übungen zur Verfügung stehen, denn 50.000 Vierteljahre Übungszeit entsprechen 12.500 vollen Dienstposten im Jahr. Da jedes Jahr 50.000 neue Grundwehrdienstleistende W 6WÜ einberufen werden, müssen diese 12.500 Dienstposten auch jedes Jahr zur Verfügung stehen. Es ist nicht möglich, auf eventuelle spätere Einberufungen zu verweisen. Spätestens nach dem 2. Jahr nach der Einberufung müssen diese Kurzzeitdienstposten in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Nach dem "Eckpfeiler-Papier" des Bundesministers der Verteidigung (dortige Ziffer 56, Seite 26) ist das aber nicht der Fall. Für die Übungen vorgesehen sind insgesamt nur 5.000 Kurzzeitdienstposten, von denen 2.000 für die Wehrübungen der freiwillig länger Dienenden und der Zeit- und Berufssoldaten, für die freiwilligen Wehrübungen und für die Wehrübungen aus Anlass von Auslandseinsätzen benötigt werden (direkter Einsatz oder Ersatz von Einsatzkräften). Die nach der derzeitigen Planung verbleibenden 3.000 Kurzzeitdienstposten für die Grundwehrdienstleistenden W 6WÜ reichen im Durchschnitt allenfalls für einen halben Monat Grundwehrdienst. Das bedeutet, dass der ohne besondere finanzielle Anreize (erhöhten Wehrsold und erhöhtes Entlassungsgeld) eingeforderte pflichtmäßige Grundwehrdienst nur noch 6 ½ Monate dauert. Ein zehn Monate dauernder Zivildienst ist deshalb nicht zu rechtfertigen und verstößt gegen die Verfassungsgebote der Wehrgerechtigkeit und der Wahrung der Gewissensfreiheit bei der Gestaltung des Zivildienstes.

Aber auch dann, wenn der Grundwehrdienst für alle Wehrdienstleistenden tatsächlich neun Monate dauern sollte -- was bei den vorgesehenen 77.000 Dienstposten zu noch weniger Einberufungen pro Jahr führen würde -- können wir uns der Empfehlung nicht anschließen, dass der Zivildienst länger dauern soll als der tatsächlich geleistete Grundwehrdienst. Längst sind nach § 4 Absatz 1 Ziffer 2 Zivildienstgesetz Grundwehrdienst und Zivildienst in den jeweils unterschiedlichen belastenden Elementen so ausgestaltet, dass eine Gleichbehandlung beider Dienstleistendengruppen nur durch eine gleiche Dienstdauer gewährleistet werden kann. Zudem sichert der Bundesminister der Verteidigung den Wehrpflichtigen, die neun Monate Grundwehrdienst an einem Stück absolvieren, zu, dass keine Verpflichtung zu Wehrübungen mehr besteht ("Die Bundeswehr -- sicher ins 21. Jahrhundert; Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", Schaubild auf Seite 32).

Wir empfehlen im Blick auf die "flexible Ausgestaltung" des Grundwehrdienstes und in Anlehnung an die Regelung, die die sozialliberale Koalition seinerzeit getroffen hatte, die Festsetzung der Dauer des Zivildienstes wie folgt vorzunehmen: Der Zivildienst dauert so lange, wie der tatsächlich mindestens eingeforderte Grundwehrdienst. Angefangene Monate tatsächlich abgeleisteter Grundwehrdienstzeit sind im Zivildienst pauschal mit einem Monat abzugelten. Damit kann der Zivildienst nach dem jetzigen Stand der veröffentlichten Planung des Bundesministers der Verteidigung für den Grundwehrdienst nur sieben Monate betragen.

Alle weiteren Überlegungen unserer Arbeitsgruppe hätten eigentlich diesen Prämissen folgen müssen. 

Da auf jeden Fall erhebliche Reduzierungen des Zivildienstes kommen werden, tragen wir die Hauptempfehlung der Arbeitsgruppe, freiwillige Dienste und Qualifizierungsmaßnahmen zu fördern, mit. Die Gelder, die im Zivildienst frei werden, sollten in diesem Arbeitsfeld bleiben und helfen, den Übergang so zu gestalten, dass die Menschen, für die gearbeitet wird, keine Nachteile durch die Konversion erleiden. Angesichts der Größenordnung, die wir für die Reduzierung des Zivildienstes erwarten, empfehlen wir aber dringend, alle Möglichkeiten wahrzunehmen, normale Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Das ist möglich, wo gesetzlich geregelte Ansprüche bestehen und sollte durch Maßnahmen der Arbeitsförderung unterstützt werden.

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