Anmerkungen zu den statistischen Angaben im „Eckpfeiler“-Papier des Bundesministers der Verteidigung
von Ulrich Finckh
20.6.2000
Das Bundesministerium der Verteidigung gibt im „Eckpfeiler“-Papier, das dem Regierungsentwurf für die Bundeswehrplanung ab 2002 zu Grunde liegt, für den Bundeswehrumfang an:
Wehrpflichtige (Ziffern 56 und 62):
25.000 Dienstposten = 50.000 Einberufungen im Jahr W 6WÜ (6 Monate, plus Übungen)
25.000 Dienstposten = 35.000 Einberufungen im Jahr W 9 (9 Monate)
27.000 Dienstposten = 18.000 Einberufungen im Jahr FWDL (12 bis 23 Monate)
77.000 Soldaten bei 103.000 Einberufungen im Jahr
Zeit- und Berufssoldaten (Ziffer 56):
178.000 Soldaten im Präsenzumfang
22.000 Soldaten in Ausbildung
200.000 Soldaten mit jährlichem Ergänzungsbedarf von 25.000 (bei einer durchschnittlichen Dienstzeit von 8 Jahren
Wehrübungsplätze (Ziffer 56)
5.000 Soldaten in Wehrübungen - das entspricht bei 10 Jahren mob-Beorderung nach dem Dienst für die Längerdienenden (Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit, FWDL) der Möglichkeit, selbst bei einer Kapazität von 50 Übungswochen von den über 400.000 Reservisten nur 250.000 im Jahr für eine Woche (bzw. alle zwei Jahre für zwei Wochen) zu Übungen heranzuziehen. Da über diese Plätze aber auch die Soldaten abgerechnet werden, die als Reservisten an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen oder Teilnehmer ersetzen sollen, können in der Praxis sogar noch weniger Soldaten in Übung gehalten werden.
Gesamtumfang der Bundeswehr:
282.000 Soldatinnen und Soldaten
2. Jahrgangsgröße und Ausschöpfung bis 2010
Obwohl derzeit bei vergleichbarer Jahrgangsgröße pro Jahr ca. 140.000 Wehrpflichtige einberufen werden (W 10 und FWDL), gibt das Bundesministerium der Verteidigung in den „Eckpfeilern“ nur 117.000 verfügbare Wehrpflichtige an. Das kann nicht stimmen, deshalb die Überprüfung:
Bundesministerium der Verteidigung
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Zentralstelle KDV
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Jahrgangsgröße
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430.000
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430.000
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Plus neu Eingebürgerte, also mindestens 430.000
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Abzüge
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Nicht gemustert (4%)
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17.200
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4.300
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Gilt allenfalls für Wohnungslose, Untergetauchte u.ä. (max. 1%)
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Nicht wehrdienstfähig (17%)
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73.100
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60.200
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Bei den Musterungen in 1997 bis 1999 waren max. 14% vorübergehend oder dauernd untauglich.
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Wehrdienstausnahmen (3%)
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12.900
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12.900
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Externer Bedarf (3%)
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12.900
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12.900
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KDV (40%)
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172.000
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140.000
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Maximal 40% der tauglich Gemusterten werden als KDV anerkannt (bisher max. 36,3%). Das Jugendministerium rechnet ebenfalls mit ca. 140.000
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Bedarf der Bundeswehr an SaZ/BS (6%)
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25.000
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15.000
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10.000 kommen aus W9/FWDL durch Weiterverpflichtung, außerdem werden künftig auch Frauen SaZ/BS
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insgesamt 73%
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312.900
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245.300
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insgesamt 60%
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Es bleiben für den Grundwehrdienst verfügbar
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angeblich ca. 27%
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117.000
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184.700
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tatsächlich ca. 43%
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Von den 184.700 für den Grundwehrdienst verfügbaren Männern sollen 103.000 pro Jahr einberufen werden, das ist eine Ausschöpfung von 56%. Für den Zivildienst ist deshalb nach Artikel 3 und Artikel 12a Absatz 2 Grundgesetz ebenfalls nur eine Einberufungsquote von 56% zulässig.
3. Offensichtlich keine Wehrübungen für W 6WÜ vorgesehen
Der verpflichtende Grundwehrdienst dauert zunächst sechs Monate. Danach sollen drei Monate Dienstzeit in Form von zwei sechswöchigen Wehrübungen geleistet werden. Dafür wären aber 12.500 Übungsplätze nötig, weil von den 50.000 Dienstleistenden pro Jahr, die diese Übungen zu leisten haben, sich jeweils vier einen Wehrübungsplatz teilen können (4 Wehrpflichtige x 3 Monate = 1 Wehrübungsplatz). Die oben genannten 5.000 Wehrübungsplätze, die im „Eckpfeiler“-Papiers vorgesehen sind (Ziffer 56), reichen nicht einmal für die Übungen der Längerdienenden, die als Vorgesetzte und Spezialisten besonders auf dem Laufenden gehalten werden müssen oder die für Beförderungen freiwillig Übungen machen wollen. Reservisten, die an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen oder Teilnehmer ersetzen, werden ebenfalls über dieses Kontingent der Wehrübungsplätze eingestellt und gerechnet (Ziffer 56). Die zu leistenden Wehrübungen nach dem sechsmonatigen Grundwehrdienst (Ziffer 56 und 62) sind also offensichtlich schon in der Planung nicht vorgesehen.
Was passiert, wenn der Verteidigungsminister den Planungsfehler ausbügeln und tatsächlich von allen Grundwehrdienstleistenden neun Monate Dienst einfordern will?
1. Sollten die Übungen im Eckpfeiler-Papier nur „vergessen“ worden sein, wäre die nachträgliche Hereinnahme eine erhebliche Veränderung des gesamten Bundeswehrplanes. 12.500 Dienstposten müßten neu aufgenommen werden. Das hätte folgende Auswirkungen:
12.500 Dienstposten für Wehrübende
– kosten über 600 Millionen DM pro Jahr zusätzlich zum „normalen Sold“ und
– vergrößern die Bundeswehr auf 294.500 Soldatinnen und Soldaten.
Wir halten es nicht für möglich, dass solche gravierenden Auswirkungen bei einer soliden Planung „übersehen“ wurden.
2. Eine andere Alternative wäre, dass die zwei jeweils sechswöchigen Wehrübungen entgegen den Angaben (Ziffer 56 und 62) in den 25.000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende W 6WÜ enthalten sind. Dann könnten auf diese Dienstposten aber nicht mehr 50.000 Wehrpflichtige pro Jahr, sondern nur noch 35.000 einberufen werden. Insgesamt würden dann 35.000 W 6WÜ, 35.000 W 9 und 18.000 FWDL einberufen, zusammen also 88.000 Wehrpflichtige pro Jahr. Da etwa 185.000 jedes Jahr zur Verfügung stehen, sind das nur 48 % der Verfügbaren.
Jeder zweite Wehrpflichtige würde nicht mehr gebraucht. Die Wehrpflicht wäre damit ein Schwarze-Peter-Spiel ohne Wehrgerechtigkeit. Die Wehrübungen von zweimal sechs Wochen für die Grundwehrdienstleistenden mit sechs Monaten Wehrdienst sind unseres Erachtens eine Luftnummer. Sie dienen allein der Irreführung des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit.
4. Wer mehr als 6 Monate dient, wird besser bezahlt
Dass die Angabe über die neunmonatige Grundwehrdienstdauer falsch ist, ergibt sich auch aus folgendem: Auf eigenen Wunsch von vornherein länger dienende Grundwehrdienstleistende W9 und FWDL erhalten ab dem siebten Monat besondere Vergütungen (1.200 DM pro Monat zusätzlich zum Wehrsold nach § 8 c Wehrsoldgesetz plus 150 DM pro Monat als zusätzliches Entlassungsgeld nach § 9 Absatz 3 Wehrsoldgesetz) und werden als weitere Vergünstigung heimat- und berufsnah eingesetzt. Sie sind eben Freiwillige. Ihre Bezeichnung als „Grundwehrdienstleistende“ kann höchstens auf die ersten sechs Monate angewandt werden.
5. Folgerungen für den Zivildienst
Da der Zivildienst nach Artikel 12a (2) Grundgesetz nur Ersatz für den Wehrdienst ist, darf er auch nur sechs Monate dauern, so lange wie der allein noch pflichtmäßig geforderte Grundwehrdienst. Die bisher als Grund für Zusatzzeiten angeführten Wehrübungen gibt es nur noch für die Freiwilligen, die länger Dienst tun, sie können also keine Zusatzzeiten mehr begründen.
Sollte es doch zur Einforderung der zwei sechswöchigen Wehrübungen nach dem sechsmonatigen Grundwehrdienst kommen, könnte auch der Zivildienst noch nach diesem Muster gefordert werden, sechs Monate Grundzivildienst und zwei mal sechs Wochen „Urlaubsvertretung“ in den Folgejahren – natürlich zu den gleichen finanziellen Bedingungen wie bei Wehrübungen.
Der Umfang des Zivildienstes wird bei der vom Grundgesetz geforderten Gleichbehandlung auf jeden Fall erheblich schrumpfen.
Bei sechs Monaten Wehrdienst und einer Einberufungsquote von 60% bleiben pro Jahr knapp 90.000 Einberufungen (60% von 140.000 Verweigerern) zu einem sechsmonatigen Zivildienst. Besetzt werden können damit noch 45.000 Zivildienstplätze.
Bei neun Monaten Wehrdienst und einer Einberufungsquote von 50% würden mit 70.000 Einberufungen zum Zivildienst und einer Dienstdauer von neun Monaten im Jahresdurchschnitt 50.000 Zivildienstplätze besetzt werden können.
Ende 1999 waren 138.000 Zivildienstplätze besetzt. Das bedeutet, dass die Tätigkeit von ca. 90.000 Zivildienstleistenden ersetzt werden muss.
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