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Ceterum censeo: Die Wehrpflicht muss endlich abgeschafft werden

Ein Widerspruch gegen Wehrpflichtbefürworter in 32 Absätzen

von Ulrich Finckh

Die Vorschläge der Wehrstrukturkommission haben die Diskussion über die Wehrpflicht neu angefacht. Wegen der Bedeutung der Wehrpflicht für Kriegsdienstverweigerung und Ersatzdienste müssen sich auch Kriegsdienstverweigerer an der Diskussion beteiligen. Interessant an dem Kommissionsbericht ist, dass er die Wehrpflicht für verzichtbar erklärt. Problematisch ist, dass er trotz der guten Hinweise auf Völkerrecht, die OSZE und die UNO kaum verhüllt nur noch eine Interventionsarmee fordert, während das Grundgesetz Militär allein mit der Verteidigung begründet (Art. 87a GG).

Es ist selbstverständlich, dass Kriegsdienstverweigerer gegen Krieg und Kriegsvorbereitung sind: Was gibt ihnen dann das Recht, zu Militärplanungen mehr als Nein zu sagen? Es gibt leider gute Gründe, genauer Stellung zu nehmen.

Die Wehrpflicht zwingt jeden jungen Mann, sein Recht auf Gewissensfreiheit, auf Kriegsdienstverweigerung, erst einmal einzufordern. Nur wenn staatliche Prüfungsgremien es ihm gewähren, darf er von dem in der Verfassung garantierten Grundrecht Gebrauch machen. Und dann muss er noch einen Ersatzdienst leisten, der länger und oft auch schwerer als der Dienst der Grundwehrdienstleistenden (W 10) ist: Dieser Zwangsdienst verlangt große Opfer an Freiheit, Einkommen und Lebenszeit.

Militärische Verteidigung der Menschen und ihrer Rechte ist im Zeitalter der A-, B- und C-Massenvernichtungsmittel nicht mehr möglich. Selbst kleine Kriege zerstören regelmäßig mehr, als man zu schützen meint, wie sich in den Kriegen und Bürgerkriegen seit 1945 immer wieder gezeigt hat. Die schlimmste Gefahr für die Menschenrechte waren meist die eigenen Regierungen und/oder das jeweilige Militär im Griechenland der Obristendiktatur ebenso wie in den Kurdengebieten der Türkei, in Chile wie auf dem Platz des himmlischen Friedens, in Kambodscha wie am Kongo und an vielen anderen Stellen dieser Erde. Unter den Zerstörungen, Verlusten und Verletungen, den Entlaubungsmitteln, urangehärteter Munition, Streubomben und Minen leiden Millionen Menschen noch lange nach Kriegsende.

Pazifisten werfen den Regierenden vor, das alles durch die Wehrpflicht zu überspielen. Sie mache aus dem Training von Tötung, Körperverletzung und Verwüstung ganzer Städte und Landstriche eine positive Aufgabe. Was im zivilen Leben strikt verboten ist, was die Polizei wegen der Gefährdung Unbeteiligter und der Angemessenheit der Mittel selbst bei schweren Verbrechen nie und nimmer machen würde, sei für militärisches Handeln der Normalfall. Die Wehrpflicht mache dies sogar zur Pflicht wie das Steuerzahlen und die Beachtung der Straßenverkehrsordnung, wie den Schulbesuch und die pünktliche Bezahlung von Rechnungen. Aber nicht die Grundsatzkritik der Minderheit bestimmt die derzeitige öffentliche Diskussion, sondern eine Fülle pragmatischer Argumente.

Von daher ist es notwendig, die vielen öffentlich vorgebrachten Gründe für die Wehrpflicht zu prüfen und zu analysieren. Wenn sich dabei ihre Unhaltbarkeit herausstellt, hat sie in einer Welt, die die Sicherung des Friedens der UN übertragen hat, keine Berechtigung mehr. Denn polizeiähnliche Hilfestellung für die UNO verlangt professionelle Ausbildung und völlig andere Ausrichtung und Organisation als sie mit Wehrpflichtigen möglich ist. Wer Frieden will, muss das internationale Recht stärken, internationale Gerechtigkeit fördern und nationale Macht, insbesondere militärische nationale Macht reduzieren. Die Wehrpflicht ist, wie die Wehrstrukturkommission zu Recht feststellt, aktuell verzichtbar. Das Eintreten für das Völkerrecht und die Menschenrechte im eigenen Land und weltweit ist eine wichtigere Hilfe zu Frieden und Gerechtigkeit in unserer Zeit. Unabhängig von der Grundsatzfrage muss aber im Einzelnen kritisiert werden. Bei der Diskussion um die Wehrpflicht werden nämlich ständig Behauptungen aufgestellt, die nicht zutreffen. Es gilt, das richtig zu stellen.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei Verfassungspflicht.

Richtig ist, dass das Grundgesetz als Verfassungsnorm das Verbot von Pflicht- und Zwangsdiensten und die Garantie der freien Berufswahl hat (Art. 12 GG). Die Kannbestimmung zur Ermöglichung der Wehrpflicht im nachträglichen Artikel 12a GG erlaubt zwar als Ausnahme die Wehrpflicht, fordert sie aber keineswegs. Will der Gesetzgeber von dieser Erlaubnis Gebrauch machen, muss er das angesichts der schweren Grundrechtseingriffe begründen. 1955 war die Begründung für die Mehrheit die Bedrohung im Kalten Krieg durch den Warschauer Pakt. Heute ist der Ostblock aufgelöst, unsere östlichen Nachbarn sind Verbündete und die russische Armee ist nach Ansicht von Militärfachleuten zu keinem großen Angriff in der Lage. Andere Bedrohungen sind nicht zu erkennen. Das Bundesverfassungsgericht hat im übrigen schon 1978 festgestellt, dass zur Verteidigung auch eine Freiwilligenarmee aufgestellt werden kann. Der Verteidigungsminister kann die Wehrpflicht durch einfache Anordnung jederzeit aussetzen.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei die einer Demokratie angemessene Wehrform oder, wie im Parlamentarischen Rat Professor Heuss meinte, „das legitime Kind der Demokratie"; aber auch große Leute können irren.

Richtig ist, dass die französische Revolution für jedermann das Recht (nicht die Pflicht) zum Waffentragen gefordert hat und erst Napoleon eine Wehrpflicht für seine Kriege organisiert hat. Der Diktator hat Schule gemacht. Seitdem haben die absolutistischen Fürsten Wehrpflichtarmeen zur Unterdrückung ihrer Völker, zum Beispiel der demokratischen Bewegung von 1848, benutzt. (Dagegen forderten die Demokraten das Recht zur Bewaffnung aller.) Wie die Fürsten hatten die Diktatoren des 20. Jahrhunderts, Stalin, Mao, Hitler und viele andere Despoten Wehrpflichtarmeen, während die alten angelsächsischen Demokratien (Großbritannien, die USA, Kanada und Irland) die Wehrpflicht nur als Notmaßnahme im Krieg kennen. Ein System von Befehl und Gehorsam kann nicht demokratische Normalität sein. Wer vor einer Freiwilligenarmee Angst hat, sollte bedenken, dass die Reichswehr ab 1924 die Wiedereinführung der Wehrpflicht geplant und gefordert hat und Hitler diesen Planungen entsprochen hat. Erst mit der Wehrpflicht war ein Angriffskrieg denkbar, wie er dann ja auch 1939 angefangen wurde.

Behauptet wird, die Wehrpflicht verhindere leichtfertige militärische Aktionen.

Richtig ist, dass Wehrpflichtige nur zur Verteidigung geeignet sind und deshalb zu Recht bei kriegerischen Interventionen nicht eingesetzt werden. Ausschließlich die Freiwilligen der Krisenreaktionskräfte waren deshalb an den bisherigen kriegerischen Auslandseinsätzen (Somalia, Bosnien, Kosovo) beteiligt. Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr sind längst eine reine Freiwilligenarmee. Dass einige freiwillig länger dienende Wehrpflichtige noch als Grundwehrdienstleistende bezeichnet werden, ist irreführend. Sie sind in Wahrheit freiwillige Soldaten und können auf Grund ihrer eigenen Verpflichtung und längeren Ausbildung überall so eingesetzt werden, wie eben Freiwillige eingesetzt werden. Eine viel wirksamere Sicherung gegen leichtfertiges Kriegsführen sind die geringen Zahlen verfügbarer freiwilliger Soldaten in einer Freiwilligenarmee. Die Wehrpflicht hat dagegen weder 1864, 1866, 1870, 1914 noch 1939 Angriffskriege verhindert.

Behauptet wird, die Wehrpflichtigen würden verhindern, dass die Bundeswehr zum Staat im Staate und antidemokratisch wird.

Richtig ist, dass Grundwehrdienstleistende (mit Ausnahme von Ärzten und Apothekern) in den zehn Monaten des Grundwehrdienstes nicht einmal Unteroffizier werden können und nur darauf warten, die Zeit bald hinter sich zu haben. Sie haben zu gehorchen und nichts zu sagen. Alle entscheidenden Positionen, alle Kommandostellen, Stäbe, besonders heiklen Aufgaben sind freiwillig länger dienenden Soldaten anvertraut. Dementsprechend kommt Kritik beim Amt des Wehrbeauftragten auch vor allem von Längerdienenden, weil diese sich mehr mit ihrer Situation auseinandersetzen müssen.

Behauptet wird, die Wehrpflichtigen sicherten die Verbindung der Gesellschaft mit der Bundeswehr und der Bundeswehr mit der Gesellschaft.

Richtig ist, dass Grundwehrdienstleistende viel zu kurz dabei und viel zu einflusslos sind, um in der Bundeswehr auch nur minimal etwas zu bewirken. Wer wirkliche Verbindung zur Zivilgesellschaft will, muss den Austausch zwischen zivilen und militärischen Positionen (wie zum Beispiel bei den Sanitätsoffizieren) auf allen Ebenen ermöglichen.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei notwendig, um qualifizierte Bewerber für die Freiwilligenlaufbahnen zu gewinnen.

Richtig ist, dass die Bundeswehr so schlechten Sold zahlt und ihre Leute so schlecht behandelt, dass sie in der Tat wenig Bewerber hat. Nur für Offizierslaufbahnen ist das Angebot des Studiums ein positiver und anscheinend auch ausreichender Anreiz. Für Mannschafts- und Unteroffizierslaufbahnen melden sich höchstens diejenigen, die im zivilen Leben geringe Chancen haben. Das ist mit und ohne Wehrpflicht eine negative Auslese. Die Kommission fordert deshalb bessere Bezahlung, mehr Mitsprache, mehr fachliche Förderung für das spätere zivile Fortkommen und mehr Rücksicht auf die Familien der Soldaten. Wichtig ist aber auch, dass nicht sinnlose (Somalia) oder völkerrechtswidrige Einsätze (Kosovo) befohlen werden.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei notwendig, weil die Anwerbung von Freiwilligen zu viel koste.

Richtig ist, dass das Wehrpflichtsystem einen Riesenaufwand für Erfassung , Musterung, Einberufung, Wehrüberwachung und Zwangsmaßnahmen gegen Unwillige erfordert. Es ist nicht glaubhaft, dass die notwendige Verstärkung der Freiwilligenwerbung mehr kosten soll.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei billiger, eine Freiwilligenarmee viel zu teuer.

Richtig ist, dass derzeit Wehrpflichtige höchstens drei ihrer zehn Monate wenigstens bedingt einsatzfähig sind. Die Kosten für Soldaten bestehen zu erheblichen Teilen aus den Kosten für Ausrüstung, Waffen, Kasernen, Übungsplätzen und nur zum Teil aus den Personalkosten. Deshalb ist eine Freiwilligenarmee, die die bisher 110.000 Wehrpflichtigen (mit ca. 30.000 Einsatzfähigen) durch 40.000 Soldaten auf Zeit für vier Jahre (mit ebenfalls ca. 30.000 Einsatzfähigen) ersetzt, mit Sicherheit nicht teurer, sondern wesentlich billiger. Sie spart nämlich bei gleicher Kampfkraft nicht nur 2/3 der Personalkosten, Ausrüstung und Liegenschaften, sondern auch ca. 20.000 Vorgesetzte. Aus diesem Grunde gehen immer mehr Verbündete von der Wehrpflicht ab. Auch die Kommission plädiert für weniger Soldaten und rechnet mit Einsparungen. Erst recht gilt das, wenn die Bundeswehr weiter verkleinert wird.

Behauptet wird, die Wehrpflicht müsse wegen des Zivildienstes erhalten bleiben.

Richtig ist, dass der Zivildienst wegen der hohen Zuschüsse des Bundes zwar für die einzelne Dienststelle hoch subventionierte und deshalb billige Hilfskräfte zur Verfügung stellt (pro Zivildienstleistenden gibt der Bund ca. 20.000 DM aus!). Würde dieses Geld - allein im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über 2 Milliarden DM im Jahr (!) - dem sozialen Bereich zur Verfügung gestellt, könnten alle Aufgaben durch normale Arbeitskräfte wahrgenommen werden. Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Neuverteilung der Finanzen zwischen Bund und Ländern und das Hinzukommen der Pflegeversicherung machen eine völlige Umstellung auf normale Dienstleistungen gerade jetzt am ehesten möglich.

Behauptet wird, die Reichswehr der Weimarer Republik sei undemokratisch gewesen, wie sich in der Anfangszeit bei Angriffen auf die Demokratie und 1933 gegenüber Hitler gezeigt habe. Das sei typisch für eine Freiwilligenarmee.

Richtig ist, dass alle Eliten der Weimarer Republik diese ablehnten. Beamte, Ärzte, Richter, Pfarrer, Studenten waren wie die Soldaten alles andere als demokratisch gesinnt. Und in den Auseinandersetzungen mit Freikorps/Kapp-Putsch trafen die von der Reichswehr übernommenen Reste der Weltkriegswehrpflichtarmee auf ihre Kameraden aus den Schützengräben, die nicht übernommenen Reste dieser Wehrpflichtarmee nämlich. Dass das schwierig war, ist verständlich. Aber heute kommen freiwillige Soldaten aus einer Gesellschaft mit gefestigter und bejahter Demokratie.

Behauptet wird, die Wehrpflichtarmee sei besser als eine Freiwilligenarmee.

Richtig ist, dass die Bundeswehr das offensichtlich selbst nicht glaubt, denn in ihren Krisenreaktionskräften hat sie nur Freiwillige. Richtig ist auch, dass die USA der Bundeswehr vorwerfen, sie sei nicht professionell genug für das Bündnis. Viele Horrorgeschichten über angebliche Schwierigkeiten bei den Verbündeten mit Freiwilligenarmeen werden von diesen als üble Nachrede zurückgewiesen.

Behauptet wird, die Wehrpflicht habe sich bewährt.

Richtig ist, dass die Aufteilung in Krisenreaktionskräfte und Hauptverteidigungskräfte das Gegenteil beweist. Im privaten Gespräch mit Offizieren kann man oft hören, es sei Zeit, auf die Wehrpflicht zu verzichten - nur öffentlich wird das kaum gesagt, da gilt die Ideologie des zuständigen Ministers.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei wegen der vielen Reservisten für den Aufwuchs im Mobilmachungsfall notwendig.

Richtig ist, dass auch dafür Freiwillige genommen werden können, die wie die Nationalgarde der USA eine kurze Ausbildung mitmachen. Zwang ist dafür keine Bedingung. Derzeit werden wegen der Wehrpflicht viel mehr Soldaten ausgebildet, als nach dem 2 + 4-Vertrag zulässig ist. Dieser Vertragsbruch wird kaschiert, indem nur ein Teil „mob-beordert" und damit für den Mobilmachungsumfang gezählt wird.

Behauptet wird, Deutschland müsse mit Angriffen oder Terroranschlägen aus Staaten rechnen, die die USA „Schurkenstaaten" nennen, deshalb sei die Wehrpflicht zur Verteidigungsbereitschaft notwendig.

Richtig ist, dass gegen solche Gefahren im Innern nur die Profis von Staatsanwaltschaften und Polizei, nach außen nur hochspezialisierte, also länger dienende freiwillige Soldaten eingesetzt werden können.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei nötig und sinnvoll, um jungen Männern ihre Pflichten gegenüber ihrem Land deutlich zu machen.

Richtig ist, dass Pflichten von klein auf zu lernen sind vom Verhalten im Straßenverkehr bis zur Schulpflicht und später zum Steuerzahlen. Die Wehrpflicht der Männer ist dazu nicht nötig und nicht geeignet. Sie ist vielmehr eine zwangsweise Naturalleistung, ein Relikt aus dem Pflichtsystem des Obrigkeitsstaates und eine Vergötzung des eigenen Staates, weil sie unterstellt, dieser könne Menschenopfer - eigene wie fremde - verlangen. Sie verharmlost das Töten, Verletzen und Zerstören im Kriege, sodass z.B. die Soldaten, die Hitlers Angriffs- und Vernichtungskrieg geführt hatten, hinterher sagen konnten, sie hatten „nur Ihre Pflicht getan".

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei wegen der Verbündeten notwendig.

Richtig ist, dass gerade in der NATO immer mehr Staaten von der Wehrpflicht abgehen. Es ist nicht glaubhaft, dass sie von Deutschland das Festhalten an der Wehrpflicht verlangen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

Behauptet wird, die Wehrpflicht sei gut für junge Männer.

Richtig ist, dass jede Armee zu problematischem männlichem Rollenverhalten verführt, was besonders in Kriegssituationen deutlich wird an Vergewaltigungen und zunehmender Prostitution. Aber auch im Friedensbetrieb verführt das erzwungene Soldatsein häufig zu Nikotin- und Alkoholmissbrauch und anderem Fehlverhalten.

Behauptet wird, die Wehrpflicht biete eventuellen Interessenten die Chance, die Bundeswehr kennenzulernen, ehe sie sich länger verpflichten.

Richtig ist, dass es der Bundeswehr freisteht, eine freiwillige Probezeit einzuführen, damit eventuelle Interessenten sich in ihr umsehen können. Man muss nicht jedes Jahr 250.000 junge Männer einsperren, damit sich 10.000 freiwillig melden.

Behauptet wird, die Wehrpflicht biete einen Ausgleich für die Benachteiligung von Frauen in unserem Land.

Richtig ist, dass diese Benachteiligungen bestehen, aber ständig mehr ausgeglichen werden und der Europäische Gerichtshof gerade alle Vorbehalte gegen Waffendienst von Frauen weggewischt hat. Wehrpflicht darf jetzt nur noch als Wehrpflicht für Frauen und Männer geregelt werden oder muss ganz beendet werden. Benachteiligungen müssen positiv ausgeglichen werden, sie dürfen nicht Anlass für sachfremde Benachteiligungen anderer sein.

Aber es geht nicht nur um unrichtige Behauptungen.

Verschwiegen wird bei allen Diskussionen über die Wehrpflicht, welche Probleme sie Kriegsdienstverweigerern bringt. Das Grundrecht aus Art. 4 (3) GG wird wegen der Wehrpflicht abhängig gemacht von Antragstellung, staatlicher Überprüfung und einem Ersatzdienst, der länger dauert als der Grundwehrdienst. Wer sich dem nicht fügt, wird entgegen der Garantie der Gewissensfreiheit im Grundgesetz mit Hilfe der Wehrpflicht kriminalisiert. Jedes Jahr werden Totalverweigerer deshalb zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Verschwiegen wird, wie schwer die Wehrpflicht mit den Grundrechtseinschränkungen und Einkommensnachteilen, der Unterbrechung der Karriere und der Trennung von Partnerinnen und Freunden in das Leben der jungen Wehrpflichtigen eingreift. Wer das fordert, müsste sehr wichtige Gründe haben, die es aber nicht gibt.

Verschwiegen wird, welche Folgen die Wehrpflicht für ganze Berufsbereiche hat. Informatiker und I-Techniker müssen angesichts der rasanten Entwicklung in ihren Bereichen nach einem Jahr Unterbrechung ganz neu anfangen. Existenzgründer verlieren ihre Existenz, Künstler ihre Engagements und die notwendige Übung. Die Wehrpflicht schadet vielfach, und ihre Abschaffung würde manche Green Card unnötig machen.

Verschwiegen wird, welche volkswirtschaftlichen Schäden die Wehrpflicht verursacht. Deutsche Berufsanfänger sind im internationalen Vergleich zu alt. Das liegt nur zum Teil am Schul- und Ausbildungssystem, zum Teil aber an der Wehrpflicht, die in fast allen konkurrierenden Industriestaaten weggefallen ist oder demnächst wegfällt, in den angelsächsischen Ländern, in Frankreich, Italien, Spanien, den BENELUX-Ländern, Japan und Russland. Es wird Zeit, dass Deutschland dem folgt.

Verschwiegen wird, dass die Wehrpflicht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbesondere im Urteil vom 13.4.1978) unter der Herrschaft des Gleichheits-Artikels 3 GG steht. Wehrgerechtigkeit ist aber längst nicht mehr gegeben. Von den ca. 420.000 Wehrpflichtigen eines Jahrganges leisten ca. 135.000 Grundwehrdienst von zehn Monaten, ziemlich genau ebenso viele einen Ersatzdienst (vor allem als Zivis oder als Katastrophenschutzhelfer). Über ein Drittel ist untauglich oder befreit (Väter, dritte Söhne, Theologen etc.), kann normal bezahlte Arbeit anrechnen lassen (Zeit- und Berufssoldaten, Polizisten, unabkömmlich Gestellte etc.) oder bleibt übrig. Die in Art. 3 GG geforderte Gleichheit gibt es nicht. Würde der Anteil der Wehrpflichtigen verringert, würde die Wehr-Ungerechtigkeit noch schlimmer.

Verschwiegen wird schließlich, dass zur Aussetzung der Wehrpflicht eine einfache Anordnung des Verteidigungsministers ausreicht. Ordnet er an, dass niemand einberufen wird, ist die Wehrpflicht zu Ende. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird dann dasselbe für den Zivildienst anordnen. Mehr ist nicht nötig.

Nach allem ist der völlige Verzicht auf die Wehrpflicht zu fordern. Ihr Wegfall spart Geld, dient dem Frieden und schafft Arbeitsplätze im sozialen Bereich. Ohne Wehrpflicht können junge Menschen ihr Leben besser planen, ihren Beruf früher antreten und müssen nicht Sonderopfer bringen, die viele Befürworter der Wehrpflicht selbst nie gebracht haben. Die Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen sollten nüchtern sehen, wieviel schwieriger die Arbeitsmarktsituation heute ist als zur Zeit ihres Berufsanfangs und zur Zeit des kalten Krieges. Was vielen von ihnen erspart blieb, obwohl es den Berufseinstieg kaum belastet hätte, ist für junge Menschen heute voller Schwierigkeiten.

Diskutieren müssen Kriegsgegner allerdings, wie erreicht werden kann, dass die von der Kommission beschriebene Interventionsarmee nicht neue Angriffskriege führt sondern wirklich für die Friedenssicherung der UNO zur Verfügung steht, also eine Art Polizei wird. Politisch geht es also darum, die verteidigungspolitischen Richtlinien des früheren Verteidigungsministers Rühe wegzubekommen und die unklare NATO-Doktrin so zu verändern, dass Deutschland und seine Verbündeten wirklich dem Frieden der Welt dienen.

25.5.2000

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