Eröffnung der Informationskampagne zur zeitgerechten Kriegsdienstverweigerung
Bremen/Berlin, den 10. Juli 2000
Meine Damen und Herren,
für die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. begrüße ich sie. Ich kann ihnen Neuigkeiten versprechen. Mit mir sind hier die Vertreter zweier unserer Mitgliedsverbände, der Vorsitzende der Jungsozialisten in der SPD, Benjamin Mikfeld, und die Sprecherin der Grünen Jugend, Ramona Popp.
Wir wollen hier heute gemeinsam eine Aufklärungsaktion starten, um Wehrpflichtige und zukünftige Kriegsdienstverweigerer darüber zu informieren, was auf sie zukommt bzw. besser: nicht zukommt.
Zukünftig wird nur noch jeder zweite tauglich gemusterte und verfügbare Wehrpflichtige zur Bundeswehr einberufen werden können. Die Bundesregierung plant bisher keine fairen Regelungen für den Zivildienst, sondern will weiter alle Kriegsdienstverweigerer zum längeren Zivildienst einberufen. Dies ist ungerecht und eine klare Benachteiligung für Kriegsdienstverweigerer.
Wir raten deshalb zur Kriegsdienstverweigerung zur rechten Zeit, nämlich dann, wenn die Wehrverwaltung entschieden hat, dass jemand konkret Wehrdienst leisten soll.
Eingebettet ist diese Aktion in unsere Forderung nach der Abschaffung der Wehrpflicht, die in der heutigen Zeit durch nichts mehr gerechtfertigt ist. Zwangsdienste - und die Wehrpflicht gehört dazu - haben keine demokratische Tradition. Wir sollten uns so schnell wie möglich davon verabschieden.
Bevor ich Ihnen die Hintergründe zu der Aktion erläutere, werden Frau Popp und Herr Mikfeld zu Ihnen sprechen.
Doch nun zu den Hintergründen:
Seit einiger Zeit erklären wir öffentlich, dass die im Eckpfeiler-Papier des Verteidigungsministers angegebenen Zahlen falsch sind. Wir haben keinerlei Dementi aber vielfache Bestätigung erfahren. Einen ersten Erfolg haben wir auch schon. Die fehlenden 12.500 Dienstposten für die Wehrübungen, die sich an den sechsmonatigen Grundwehrdienst anschliessen sollten, waren nach unseren Informationen als Luftbuchung gedacht und kamen deshalb in dem Eckpfeiler-Papier erst gar nicht vor. Nun sollen - entgegen der schriftlichen Festlegung - zweimal 6 Wochen Wehrdienst im Anschluß an den ersten Sechmonatsblock geleistet werden. Damit sind aber nicht mehr 50.000 Einberufungen auf diese Dienstposten möglich sondern nur noch 35.000 Einberufungen. Deshalb können ab 2002 jährlich nur noch 88.000 Wehrpflichtige von ca. 185.000 zum Grundwehrdienst einberufen werden - nicht einmal jeder zweite Taugliche und für den Wehrdienst verfügbare Wehrpflichtige.
Sie können das hier auf der Folie 2 nachvollziehen.
Deshalb raten wir von jetzt an jedem Wehrpflichtigen zu versuchen, Zeit zu gewinnen. Hat er bisher eine Chance 1:3, nicht einberufen zu werden, (jeder vierte bleibt heute schon übrig), so ist es ab 1.1.2002 sogar eine 50:50 Chance!
Den Kriegsdienstverweigerern, die zu Hundert Prozent zum Zivildienst einberufen werden sollen und das auch noch für einen Monat mehr, raten wir, ohne KDV-Antrag erst einmal abzuwarten, ob sie überhaupt einberufen werden. Dann wird die Chance, nicht geholt zu werden, übrigens für alle noch größer. Denn dann können die Kreiswehrersatzämter nur noch einen von drei oder vier jungen Männern einberufen. Die anderen gewinnen Lebenszeit, Freiheit, Verdienst und entlarven die Wehrpflicht als Zwangsdienst, der willkürlich einen kleinen Teil der jungen Männer trifft.
Um die Sache genauer zu erklären, bitte ich sie, die Unterlagen zur Hand zu nehmen, die ich an Hand der Folien erläutern möchte.
Die meisten Zahlen sind falsch. Das sieht man schon, wenn man die tatsächlichen Musterungsergebnisse der letzten fünf Jahre zur Kenntnis nimmt.
Musterungsergebnisse kann man natürlich manipulieren. Wenn man aber willkürlich eigentlich Taugliche für untauglich erklärt, macht es die Wehrungerechtigkeit nicht gerechter, sondern verschleiert nur.
Auch die Zahl der Kriegsdienstverweigerer ist falsch. Wenn man das Bundesministerium der Verteidigung fragt, wie hoch bisher die Verweigererquote war, erhält man folgende Auskunft:
Sie sehen, kein Jahrgang hat bisher mehr als 119.000 Kriegsdienstverweigerer - oder in Prozent ausgedrückt - mehr als 36,5 Prozent. Wie der Verteidigungsminister auf 172.000 Verweigerer in der Zukunft kommt, kann bisher auch aus seinem Hause niemand erklären. (Achtung! Es folgt Ironie:) Vielleicht will er ja zukünftig dazu aufrufen, dass die Wehrpflichtigen verstärkt den Kriegsdienst verweigern.
Wenn man die Zahlen noch einmal zusammenstellt und die korrekten Zahlen einsetzt, ergibt sich folgendes Bild:
Sie sehen, 184.700 Wehrpflichtige stehen jedes Jahr für den Grundwehrdienst zur Verfügung, gebraucht werden aber nur - und dazu sehen wir noch einmal die erste Folie an - 88.000 tauglich gemusterte junge Männer.
Es wird also nicht einmal mehr die Hälfte einberufen. Zur Zeit sind es knapp 140.000 der 185.000, das sind immerhin drei Viertel. Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird dagegen bisher davon ausgegangen, dass auch in Zukunft alle verfügbaren Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen werden. Die SPD hält außerdem trotz ihres Wahlversprechens, „die Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst" durchzusetzen, an einem Zusatzmonat fest. Praktisch würde das heißen:
50 % der Wehrpflichtigen leisten 9 Monate Dienst (wenn die späteren zwei mal sechs Wochen Wehrdienst tatsächlich eingefordert werden),
100 % der Zivildienstpflichtigen leisten 10 Monate Dienst, das sind 225 % oder 2 1/4 mal so viel.
Warum diese Willkür gegen Kriegsdienstverweigerer bzw. Zivildienstleistende? Bei der CDU/CSU war das aus Nationalismus und Militarismus begründet, aber trotzdem nicht ganz so schlimm. Man kann das nachrechnen: 75 % dienen 10 Monate, 100 % 13 Monate, das sind 180 % mehr Dienstleistung im Zivildienst. Dagegen hat die SPD immer wieder angekämpft, und hat im Wahlkampf Abhilfe versprochen, aber jetzt gleicht sie nicht an sondern verschlimmert.
Wir glauben, dass die Wehrpflicht um so eher kippt, je offensichtlicher es wird, dass nur noch ein kleiner Teil vom Jahrgang einberufen werden kann. Schließlich beruft sich gerade Verteidigungsminister Scharping auf die Einhaltung der Wehrgerechtigkeit, unter anderem gegen die Weizsäcker-Kommission, die offen eine Auswahlwehrpflicht gefordert hat.
Was können wir unternehmen, damit es - solange es eine Restwehrpflicht gibt - jedenfalls so zugeht, dass die Zivildienstleistenden nicht benachteiligt werden? Unsere heutige Antwort ist eine Informationskampagne, mit der wir die zukünftigen Kriegsdienstverweigerer über den richtigen Zeitpunkt für den KDV-Antrag informieren. Wir haben dazu entsprechende Informationen ins Internet gestellen KDV zum richtigen Zeitpunkt und werden noch Ketten-E-Mails auslösen - aber ohne I-love-you-Effekte -, Flugblätter, Aufkleber und Informationsbroschüren erstellen. Wir werden alle KDV-Berater - immerhin 2000 im ganzen Bundesgebiet - informieren und stehen für Rückfragen täglich von 10 bis 17 Uhr zur Verfügung (Telefon- und E-Mail-Hotline). Wir sind sicher, dass nach kurzer Zeit die meisten jungen Wehrpflichten wissen, wie sie sich am besten verhalten.
Das bedeutet:
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Wer wegen Arbeitslosigkeit, beruflicher Pläne oder einfach, weil er den Zivildienst sinnvoll findet, bald dienen will, kann und sollte - wie bisher - den Kriegsdienstverweigerungsantrag so bald wie möglich stellen, sich einen Zivildienstplatz suchen und dann zum gewünschten Termin dorthin einberufen lassen.
- Wer aber den Zwangsdienst vermeiden will, soll sich nach dem Motto „Abwarten und Tee trinken" verhalten.
Zum Abschluß noch ein Wort zu den Folgen für den Zivildienst, der - und darauf möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich hinweisen - nicht in der Verantwortung der Wehr- und Zivildienstpflichtigen liegt, sondern von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von den Wohlfahrtsverbänden zu verantworten ist.
Da die Kreiswehrersatzämter vor allem die einberufen sollen, die Wehrdienst leisten wollen, wird die Sache erst richtig spannend. Wenn bei der Musterung unter den Wehrpflichtigen diejenigen für die Einberufung zur Bundeswehr ausgewählt werden, die am ehesten bereit sind, Wehrdienst zu leisten, bei Auslandseinsätzen mitzumachen, sich möglicherweise sogar länger zu verpflichten, erfüllt die Wehrverwaltung ihre Aufgabe besonders gut. Dann bringt sie die geeigneten Leute in die Truppe. Allerdings werden die auf diese Weise für die Einberufung ausgewählten jungen Männer am wenigsten die Tendenz haben, den Kriegsdienst zu verweigern. Das heißt, die Zahl der Zivildienstpflichtigen wird erheblich sinken. Das könnte dann zum Beispiel so aussehen, wie die Folie 11 es zeigt.
Das bedeutet: Über 90.000 Zivildienstplätze aus 1999 sind 2002 nicht mehr besetzt; vielleicht auch erst 2003 oder 2004, je nachdem, wie schnell sich die Chance des Gar-nicht-dienen-Müssens herumspricht. Gegen verfassungswidrige Willkür muss man sich wehren! Wir rufen dazu auf und gehen davon aus, dass die Wehrpflicht nicht zu halten ist.
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