Friedenspolitik, die dem Krieg den Boden entzieht
Eva Rose
Vertreterin des „Bündnis 8. Mai" in Münster
Manuskript der Rede beim Empfang des Bundestagspräsidenten am 16. Mai 2000 anläßlich des internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerung
Sehr geehrte Herren und Damen,
auch ich möchte mich beim Bundestagspräsidenten, Herrn Thierse, und den Initiatoren dieses Empfangs dafür bedanken, dass ich hier einige Worte sagen kann.
Ich spreche stellvertretend für das „Bündnis 8. Mai" in Münster, das fast auf den Tag genau vor 4 Jahren in Münster durch einen Bürgerantrag den Ratsbeschluss erwirkt hat, Deserteure aus Kriegsgebieten in Münster aufzunehmen. Dieser Beschluss wurde im vergangenen November zum ersten Mal in die Tat umgesetzt, indem unsere Stadt zwei Deserteure aus Serbien nach deren Odyssee, von der Sie gleich etwas mehr durch Rainer Hunold erfahren werden, aufgenommen hat. Unsere Initiative war bis dahin nach meinem Wissen einzigartig und hat bundesweit und auch international Beachtung gefunden. Inzwischen sind es weitere 4 Städte in der BRD, die ähnliche Beschlüsse haben und auch umsetzen wollen, es gibt weitere kommunale Initiativen mit gleichen Zielen, und andere europäische Initiativen haben Kontakt zu uns aufgenommen.
Eigenlob gehört vielleicht zu den Eigenschaften von Berufspolitikern. Ich stelle unsere Initiative zwar nicht unter den Scheffel, aber ich bin weit davon entfernt, das, was wir bislang erreicht haben, in ein großartiges Licht zu stellen. Von diesem Ort aus gesehen - ich meine diese Hauptstadt und diesen geschichtsträchtigen Reichstag -, ist es geradezu beschämend und lächerlich, davon zu sprechen, dass eine deutsche Stadt zwei Deserteuren, die nicht an einem international geächteten Krieg teilnehmen wollten, einen vorläufigen Schutz bietet.
Das Bündnis 8. Mai hat sich 1995 aus verschiedenen politischen Gruppen gegründet, 50 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, und einen „demonstrativen Stadtrundgang" in Münster unter dem Titel „Faschismus erinnern - Konsequenzen ziehen" organisiert. Das war weder eine moralische Zwangsveranstaltung noch ein Ritual, sondern eine sehr konkrete und intensive Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus, die in Münster stattgefunden haben oder von dort ausgingen. Die Ernsthaftigkeit dieser Art des Erinnerns wird daran deutlich, dass wir nicht beim Erinnern stehen geblieben sind, sondern Konsequenzen eingefordert haben. Eine dieser Konsequenzen war unser BürgerInnenantrag zur Aufnahme von Deserteuren in Münster, der von einer rot-grünen Mehrheit im Rat beschlossen wurde und jetzt von einer schwarzen Mehrheit umgesetzt wird. Allerdings hätte es diesen Beschluss und seine Umsetzung nie gegeben, wenn nicht sehr viele Hände, Köpfe und Herzen dabei geholfen hätten, wie z,B. Connection, dem internationalen Deserteursnetzwerk, Winni Nachtwei, dem grünen Bundestagsabgeordneten, oder dem Haus für Deserteure in Budapest. Das klingt alles nach männlichen Initiativen. Ich glaube, ohne die Frauen aus den Antikriegsaktivitäten, z.B. den Frauen in Schwarz aus Belgrad, hätte es unseren Beschluss nie gegeben.
Unsere Motive für diese kommunale Initiative waren damals notwendig und sind bis heute notwendig und, fürchte ich, auch morgen und in Zukunft, weil sich auf bundespolitischer Ebene sehr wenig verändert hat, und das teilweise auch noch in die falsche Richtung.
Erstens: Zehntausende deutsche Deserteure des 2. Weltkrieges, die sich einem verbrecherischen Angriffskrieg entzogen haben, sind hingerichtet worden - wie mir jetzt jemand aus den Niederlanden erzählte, sogar nach dem 9. Mai 1945, weil sie von den westlichen Alliierten der deutschen Wehrmacht übergeben wurden -. Und diejenigen, die die verschiedenen Repressalien der deutschen Gesellschaft ihnen gegenüber bis heute überlebt haben, haben zwar eine unsägliche Bundestagsdebatte wegen ihrer Rehabilitierung und Entschädigung erlebt, müssen aber bis heute gerichtliche Einzelfallprüfungen anstrengen, damit sie formaljuristisch rehabilitiert werden und eine Entschädigungsleistung für erlittenes Unrecht erhalten.
Sie, geehrte ZuhörerInnen, wissen alle sehr gut, dass es einen großen Unterschied macht, ob diese Deserteure in einem Bundesgesetz explizit erwähnt werden und ihnen für ihren Mut Respekt gezollt wird oder nicht. Deserteure werden aber im NS-Aufhebungsgesetz nicht ausdrücklich genannt und sie wurden auch nie für ihr Handeln von staatlicher Seite geehrt, im Gegenteil.
Dass Desertion - oder der Aufruf dazu - bis heute in der BRD als Straftat gilt, ist auf dem Hintergrund unserer Geschichte unbegreiflich.
Zweitens: Seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien sind hierzulande anscheinend alle antimilitaristischen Dämme gebrochen. Ganz wesentliche Tabus in Bezug auf die Aufgaben des deutschen Militärs nach 1945 sind gebrochen worden, unter angeblich humanitären Aspekten. Die deutsche Armee soll für internationale Einsätze umgerüstet werden.
Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der „3.-Welt-Bewegung" aktiv, und ich weiß nicht genau, wie viele Kriege es weltweit seitdem gegeben hat, es sind wohl mehr als hundert. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ethnische, religiöse oder sonstige ideologische Motive in Kriegen immer vordergründig sind. Wir haben in dieser Welt eine strukturelle Gewalt, das ist die Ungleichverteilung des Reichtums, national und international.
Was wir in der 3.-Welt-Bewegung seit Jahrzehnten einfordern, ist eine Logik der sozialen Gerechtigkeit, um Frieden zu schaffen, nicht kurzfristige Eingreiftruppen, die ohnehin immer nur nach den gerade relevanten nationalen Interessen entsandt werden.
Militär kann keinen Frieden schaffen! Wir brauchen eine pazifistische Kultur und aktive Friedenspolitik, die dem Krieg den Boden entzieht. Dazu gehört auch, Deserteure mit offenen Armen zu empfangen und ihnen hierzulande Schutz zu gewähren!
Drittens: Es gibt bei Port Bou an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien ein sehr beeindruckendes Denkmal für den deutschen Philosophen Walter Benjamin. Walter Benjamin ist vor den deutschen Faschisten und französischen Kollaborateuren geflüchtet, und mit Hilfe verschiedener Organisationen und einzelner Personen hat er trotz Krankheit die spanische Seite erreicht. Sehr geschwächt angekommen, wollten die spanischen Behörden ihn nicht durchreisen lassen und zurückschicken. Benjamin hat damals Selbstmord begangen.
Das Denkmal zeigt einen schmalen Eingang oben auf der Steilküste des Mittelmeeres. Wenn man diesen Eingang betritt, sieht man über viele Stufen hinunter das Meer. Aber wenn man die Stufen hinuntersteigt, ist der Weg zum Meer durch eine Glasmauer versperrt: Man konnte den Weg in die „Freiheit" sehen, aber nicht gehen.
Was für ein Symbol für die deutsche Asylpolitik! Das Recht auf politisches Asyl, wie es nach 1945 als Konsequenz aus dem deutschen Faschismus ins Grundgesetz geschrieben wurde, ist nicht modernisiert, sondern verspottet worden! Ich beschränke mich hier auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung, das bis heute trotzdem keinen Schutz durch das deutsche Asylrecht nach sich zieht, obwohl Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in fast allen Ländern schweren Strafen und Repressionen ausgesetzt sind.
Ich nenne hier stellvertretend für viele
Mehmet Yanalak, einen türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer, der z.Zt. in Zwickau lebt und dessen Asylantrag abgelehnt wurde (ist er anwesend?)
Mehmet Cicek, ebenfalls türkischer Kriegsdienstverweigerer, z.Zt. Aurich, der zwischenzeitlich im Kirchenasyl war, weil sein erstes Asylverfahren negativ für ihn ausging, (ist er hier?)
Andrej Lytaev, einem russischen Kriegsdienstverweigerer, der schon lange hier ist und dessen Asylverfahren immer noch nicht abgeschlossen ist. (Ist er hier?)
Mehmet Emin Tak, der als ebenfalls türkischer Kriegsdienstverweigerer bei einem z. Zt. anhängigen 2. Verfahren jederzeit abgeschoben werden kann, konnte nicht hierher kommen, weil seine Ausländerbehörde ihm trotz Einladung zu diesem Empfang nicht erlaubt hat, nach Berlin zu kommen
Ein bisschen Hoffnung macht, dass neuerdings (meines Wissens zum ersten Mal) Deserteure aus der BR Jugoslawien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg einen Flüchtlingsstatus erhalten sollen. Es gibt aber eine große Mehrheit von desertierten Serben, die nicht in die Länder der EU flüchten konnten, die z.B. unter miserablen Bedingungen in den osteuropäischen Anrainer-Ländern des ehemaligen Jugoslawiens leben und dort keinen regulären Flüchtlingsschutz haben, denen wir helfen müssen.
Helfen Sie mit! Deserteure brauchen Asyl!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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