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Wenn es keinen Zivildienst mehr gäbe ...

Zu den Erträgen, Kosten und dem Wiederbeschaffungswert wegfallender Zivildienstleistender

Zeitschrift „4/3", Nr. 2, 1994, S. 63ff

Von Prof. Dr. Jürgen Blandow

Wäre richtig, was in zivildienst- und wohlfahrtspolitischen Reden gesprochen wird. daß nämlich die Beschäftigung von ZDL arbeitsmarktneutral, zusätzlich oder höchstens noch eine angenehme Ergäntung zum Pflichtkatalog der sozialen Dienste sei, brauchte es keine Krisenszenarien für den Tag X der zivildienstlosen Zeit. Aber es ist eben nicht richtig und es geht darum um ein ernsthaftes Problem. Zu lösen wäre das Problem, daß eine zwar ziemlich ohnmächtige, aber machtvolle Personalgruppe des Wohlfahrtswesen ausfiele und also ersetzt werden müßte. In den Augen der Nutznießer dieses Personals, der Kommunen ebenso wie der Zivildienststellen, auch darum, dies so zu tun, daß der Vorteil dieser Personalgruppe, relativ billig und relativ gut kalkulierbar zu sein, dabei nicht verlorenginge.

Betrachtet man ZDL als Personalgruppe, erscheint auch eine Nebenargumentation zum Nutzen des Zivildienstes, jene, daß er jungen Männern die einmalige Chance gäbe, soziale Erfahrungen zu machen und etwas Wertvolles für das Leben zu lernen, in einem anderen Licht. Natürlich ist nichts gegen einen Friedensdienst zu sagen und nichts gegen soziales Lernen und soziales Engagement. Aber Arbeit, teils sehr schwere und teils auch sehr stupide, immer unterbezahlte und immer unter dem Diktat staatlich verordneter Pflicht, ist kaum die richtige Folie dafür. Sie muß es auch nicht sein. Soziale Dienste sollen vernünftige, kunden- bzw. adressatenspezifisch-orientierte Arbeit leisten. Die Leitungen sollen sich dafür sorgen, daß sich die MitarbeiterInnen wohl fühlen und sich mit ihren Aufgaben identifizieren und dafür, daß neues und besonders ungeschultes Personal eine sachgerechte Anleitung, Fortbildung und ggf. Supervision erhält. Sie sollen ihr Personal aber nicht erziehen oder zu guten Menschen machen. Ansonsten: Junge Menschen, die sich sozial und friedenspolitisch engagieren, etwas über gesellschaftliche Zusammenhänge erfahren oder Selbsterfahrung machen wollen, können auf ein breites Bildungsangebot zurückgreifen und sich in einer Unzahl von Initiativen im Rahmen von Jugend-, StudentInnen- und sozialen Bewegungen engagieren. Dies tun auch Millionen junger Menschen. Die ZDL gehören - am Feierabend - oft zu ihnen.

Bei den Überlegungen, wie eine ggf. wegfallende Personalgruppe durch neues Personal ersetzt werden kann, will ich mich - ohne damit andere Überlegungen wie die nach Freiwilligendiensten oder vielleicht auch Pflichtdiensten zu diffamieren - auf den schlichtesten aller möglichen Gedanken konzentrieren. Da Arbeitskraft im allgemeinen auf dem Markt gekauft wird, sollte man zumindest einmal durchrechnen, ob nicht auch künftige Ersatzfrauen und Ersatzmänner so zu beschaffen sind. Dazu braucht man zunächst eine Aussage darüber, was die Arbeit der jetzt beschäftigten ZDL wert ist und was sie tatsächlich kosten, sodann - weil nicht identisch mit dem Marktwert der ZDL-Arbeit - eine Berechnung darüber, wie hoch der „Wiederbeschaffungswert auf dem Arbeitsmarkt wäre. Zu überlegen ist allerdings nicht nur, ob die benötigte Arbeitsleistung bezahlbar ist, sondern auch, ob der Arbeitsmarkt die notwendige Anzahl von Menschen hergeben würde. Diese drei Fragen sollen im folgenden behandelt werden.

Arbeitswert durch die ZDL

Nach Berechnungen, die ich - allerdings schon vor Jahren und nur für Bremen angestellt habe (Erstmals veröffentlicht in: Loccumer Protokolle Nr. 52/87 - Zivildienst im Umbruch; hrsg. von H. Schierholz, Rehburg-Loccum 1987) - erbrachten ZDL (1986/87) damals im gesamten nicht-staatlichen bremischen Wohlfahtrsbereich 11,4% der Gesamtarbeitsleistung. Von den Vollbeschäftigten war jeder Sechste ein ZDL. Der Wert ihrer Arbeit betrug, berechnet nach branchenüblichen bzw. tariflichen Gegebenheiten für die tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten für zwölf Monate 22,4 Millionen Mark (nach damaligen Zahlen auf das damalige Bundesgebiet hochgerechnet das Hundertfache, also 2,24 Milliarden Mark). Durchschnittlich erbrachte jeder einzelne ZDL eine Arbeitsleistung von 22.423 Mark pro Jahr.

Unter Zugrundelegung meines damals empirisch gefundenen Verteilungsschlüssels für qualifizierte und unqualifizierte Tätigkeiten in den verschiedenen Tätigkeitsgruppen (im pflegerischen Bereich fanden sich immerhin 32% qualifiziert Beschäftigte, in den Tätigkeitsgruppen handwerklich/ gärtnerisch/kaufmännisch Beschäftigte 16,6%), ferner bezogen auf die gegenwärtige tatsächliche Verteilung der ZDL auf Tätigkeitsgruppen (Stand: 15.12.1993; nur alte Bundesländer) und (diesmal) berechnet nach Bruttolöhnen, würde der Arbeitswert der im Wohlfahrtswesen beschäftigten ZDL gegenwärtig pro Jahr 3,344 Milliarden Mark betragen. Die Tabelle auf der folgenden Seite, die dies belegen soll, enthält in der Spalte 1 die nach dem AVR/DPWV bestimmte Vergütungsgruppe, in Spalte 2 das dort genannte monatliche Gehalt/Lohn für die Eingangsstufe incl. Ortszuschlag der Stufe 1 und Stellenzulage, die Spalte 3 das Jahresgehalt inclusive 13. Monatsgehalt und 500 Mark Urlaubsgeld, erhöht um 19,75% Arbeitgeberanteil, die Spalte 4 schließlich das mit der Zahl der Beschäftigten multiplizierte Jahresgehalt, den Gesamtarbeitswert in der jeweiligen Tätigkeitsgruppe also.

Diesem Wert der Arbeitsleistung gegenüber beträgt der unmittelbare Aufwand für 12 Monate ZDL-Arbeit und bezogen auf die in meine Modellberechnung einbezogenen 80.137 ZDL rund 2,3 Milliarden Mark. Dieser Betrag errechnet sich

  • durch den von den Dienststellen aufzubringenden durchschnittlichen Kosten/Monat pro ZDL von (ohne Mietkosten) 488,90 Mark (= 0,470 Milliarden Mark.)
  • durch die von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Haushalt des BAZ pro ZDL durchschnittlich aufzubringenden jährlichen Kosten von etwa 20.000 Mark (= 1,603 Milliardden Mark für 80.137 ZDL)
  • für (geschätzte) Mietkosten von durchschnittlich 200 Mark je ZDL (kalkuliert: 400 Mark für jeden 2. ZDL) (= 0,160 Milliarden Mark)

Darüber hinaus habe ich 67 Millionen Mark für sonstige verdeckte Kosten (z.B. Kosten der Erfassung der ZDL durch die Wehrersatzämter und durch Zuschüsse des BAZ nicht gedeckte Verwaltungskosten der Zivildienststellen etc.) kalkuliert.

In der Summe sieht es also folgendermaßen aus:

  • Die Wohlfahrtsorganisationen erhalten für rund eine halbe Milliarde Mark eine Arbeitsleistung im Wert von gut 3,3 Milliarden Mark.
Unter Einbeziehung des vom „Bund" bezahlten Geldes beläuft sich der volkswirtschaftliche „Gewinn" durch ZDL-Arbeit noch auf 1 Milliarde Mark. Dieser Betrag müßte - volkswirtschaftlich gesehen - zusätzlich aufgebracht werden, wenn im Wohlfahrtswesen bei sonst gleichen Bedingungen wie Lebens- und Dienstalter durch reguläre Personalgruppen die gleiche Arbeitsleistung erbracht werden sollte.

Wiederbeschaffungswert

Ich wende mich jetzt den Problemen Wiederbeschaffungswert für verlorengehende ZDL-Arbeit und Rekrutierung des fehlenden Personals zu.

Nach dem Wiederbeschaffungswert zu fragen, setzt zwei Vorüberlegungen voraus. Zum ersten die Frage nach der Arbeitsproduktivität von ZDL im Vergleich mit regulären Personalgruppen, zum anderen die Frage, ob überhaupt die Gesamtzahl der jetzt beschäftigten ZDL „wiederbeschafft" werden müßte. Beide Fragen sind nicht eindeutig zu beantworten.

Wenn es richtig ist, daß ZDL nur etwa drei Viertel ihrer Dienstzeit für die praktische Arbeit zur Verfügung stehen - so die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. in einer jüngeren Presseerklärung -, wäre dies ein Hinweis darauf, daß ZDL bereits vom Zeiteinsatz her weniger leisten als reguläre Personalgruppen. Denn diese stehen, Krankheitstage nicht gerechnet, in den jungen Altersgruppen und in überwiegend nicht-qualifizierten Tätigkeiten durchschnittlich in 85-90% der bezahlten Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Ob darüber hinaus die eigentliche Arbeitsproduktivität höher oder niedriger liegt, kann nicht beantwortet werden. Zwar schwärmen einige (mir bekannte) ZDL vom „lauen Job", andere klagen aber auch über die intensive Nutzung ihrer Arbeitskraft. Trotzdem denke ich, daß man insgesamt sagen kann, daß ein reguläres, insbesondere eingearbeitetes, Personal mindestens 10% mehr Arbeitsleistung erbringen könnte als ZDL. Rechnerisch könnten, die Richtigkeit der Prämissen vorausgesetzt, von den 80.000 ZDL also 8.000 eingespart werden, ohne daß die Arbeitsleistung geschmälert würde.

Die andere Frage, ob denn wirklich jeder ZDL im Wohlfahrtswesen gebraucht wird, weil er originär wohlfahrtspflegerische Aufgaben wahrnimmt oder doch zumindest zur institutionellen Sicherung der Verbände und Vereine notwendige Aufgaben, ist wohl nur interessengeleitet zu beantworten. Ich will mich in dieser Frage darum nicht zu weit vorwagen, aber doch an die Behauptung mancher erinnern, daß einige von Verbänden erbrachte Leistungen, so Behindertenfahrdienste, Unfall- und Rettungsdienste und Mahlzeitendienste, von privaten Anbietern nicht nur nicht schlechter, sondern auch noch billiger angeboten werden können (und manchmal auch werden). Wegen der vielen Imponderabilien sei aber auf eine Quantifizierung dieses Aspekts verzichtet.

Bei den nachfolgenden Berechnungen beschreite ich einen etwas anderen Weg als den eben bei der Berechnung des Wertes der Zivildienstarbeit eingeschlagenen. Da für die Wiederbeschaffung weggefallener ZDL grundsätzlich das ganze Spektrum relevanter ArbeitnehmerInnengruppen zur Verfügung stände, kann danach gesucht werden, wo sich für welche Tätigkeiten geeignetes Personal finden läßt. Der professionellen Ethik des Wohlfahrtswesens wegen erlege ich mir in meinen Überlegungen allerdings die Selbstbeschränkung auf, nicht nach - Nöte von Menschen ausnutzenden - Billigpersonalgruppen Ausschau zu halten. Natürlich verbietet sich auch ein (rechnerischer) Zugriff auf Personalgruppen und Finanzierungsformen, die den Charakter nicht gelegter Eier haben, die Hoffnung z.B., für bestimmte Tätigkeiten neue Ehrenamtliche rekrutieren zu können. Den Ersatzbedarf postuliere ich, wie oben begründet, mit ca. 72.000 Vollarbeitskräften. Ausgangspunkt sind wiederum die Tätigkeitsgruppen für ZDL.

Tätigkeit Vergütungsgruppe Grundgehalt/
Zuschlag (DM)
Jahresbrutto
(DM)
X Personen in Mrd. DM
1) Pflege- und Betreuungsdienste qualifiziert
(32 % von 37.415 besetzten Plätzen = 11.973)
VIII 2.689,-- 42.460,-- 0,508
2) wie 1), unqualifiziert
(68 % von 37.415 = 25.442)
IXa 2.605,-- 41.152,-- 1,047
3) handwerklich/kaufmännisch etc. qualifiziert
(16,6 % von 19.913 = 2.974)
XIII 2.799,-- 44.172,-- 0,131
4) wie 3), unqualifiziert
(83,4 % von 19.913 = 14.939)
XV 2.679,-- 42.304,-- 0,632
5) Kraftfahrer (N = 2.276) XII 2.925,-- 46.134,-- 0,105
6) Tätigkeiten im Krankentransport etc.
(N = 6.965)
IXa 2.605,-- 41.152,-- 0,287
7) MSHD (N = 11.531) IXb 2.541,-- 40.156,-- 0,463
8) ISB (N = 4.037) VIII 2.689,-- 42.460,-- 0,171
Summe (N = 80.127)3,344

Zu 1) Abzüglich meiner 10%-Quote sind (11.973 minus 10%) 10.776 qualifizierte Pflege- und Betreuungskräfte zu ersetzen. Um sie, vielleicht ein Drittel pädagogisches, zwei Drittel pflegerisches Personal, zu ersetzen, wird frau/man nicht anders können, als sie über den regulären Arbeitsmarkt anzuwerben, was sicher bedeuten würde, daß die aufzuwendenden Kosten höher lägen als die für qualifizierte ZDL berechneten. Es würde sich durchschnittlich um ältere Personen handeln und um Personen mit höheren Gehaltsforderungen. Für meine Rechnung veranschlage ich AVR VIb der 3. Vergütungsgruppe, was inclusive Arbeitgeberanteile 0,528 Milliarden Mark (48.935 Mark pro Person/Jahr) ausmacht.

Zu 2) Es ginge außerdem um 22.889 pflegerische und betreuende Hilfskräfte. Wie bislang müßten keine besonderen qualifikatorischen Anforderungen an sie gestellt werden, so daß frau/man sich auch nach ungewöhnlichen Personalgruppen umsehen könnte. So käme z.B. der Personenkreis in Frage, der bislang schon für die organisierte Nachbarschaftshilfe angeworben wird. Bei der schon jetzt bestehenden Konkurrenz um diese Personen, meist arme Frauen, wird dies aber schwer fallen, es sei dann, man bietet attraktivere Bezahlungen. Hierbei könnte frau/man sowohl an eine deutlich über dem Sozialhilfesatz liegende tarifliche Entlohnung, als auch an Sonderprogramme über › 19 BSHG denken (in Bremen wird dies modellhaft schon erprobt). Eine Alternative bzw. Ergänzung wäre der quantitative und qualitative Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres zu einem „sozialen Praxisjahr" (was auch länger dauern könnte) für AbiturientInnen und nach der Erstausbildung arbeitslose Haupt-/RealschülerInnen, ein Personenkreis um die 20 Jahre alt also. Wenn für sie - gemäß AVR IXa - ein Monatsgehalt von brutto 2.605 Mark zur Verfügung stände, ließe sich für „heimschlafende" AbiturientInnen ein attraktives Polster für das Studium erarbeiten, für arbeitslose Ausgebildete eine attraktive Variante für andere Hilfs- und Übergangsjobs oder zum dem in diesem Alter ja meist geringen Arbeitslosengeld. Da sich viele Hilfskraftsarbeiten auch teilen lassen, würden diverse StudentInnen den „Job" wohl während des Studiums weitermachen, von den arbeitslosen Ausgebildeten manche den Weg in eine pflegerische Ausbildung finden. Die Anleiterkapazität müßte meiner Meinung nach nicht höher als jetzt sein, eher niedriger, da man bei angemessener Bezahlung auf eine „Pädagogisierung" der Arbeit verzichten könnte. Insgesamt glaube ich mit gutem Grund sagen zu können, daß sich mit dem in meiner ersten Rechnung veranschlagtem Betrag auskommen läßt, abzüglich 10% weniger Personen macht dies einen Betrag von 0,942 Milliarden Mark aus.

Zu 3) Es wären 2.677 qualifizierte Handwerker/Kaufleute etc. zu suchen. Zu ihnen behaupte ich einfach mal, daß sie zu dem für den Wert der ZDL-Arbeit berechneten Betrag von 2.799 Mark brutto auf dem Arbeitsmarkt zu haben sind. Im Ergebnis wären 0,118 Milliarden Mark aufzuwenden.

Zu 4) Für die benötigten 13.445 ungelernten HandwerkerInnen, GärtnereiarbeiterInnen, BürogehilfInnen etc. bietet sich das Heer der arbeitslosen ungelernten Männer und Frauen an. Zahlte man ihnen AVR XV in der ersten Dienstaltersklasse, könnten gegenüber Sozialhilfe und Arbeitslosengeld/-hilfe attrative Löhne gezahlt werden. Die tarifliche Bezahlung würde 0,569 Milliarden Mark kosten.

Zu 5) Auch die benötigten 2.048 KraftfahrerInnen wären gut für den oben veranschlagten Betrag zu haben, wahrscheinlich sogar billiger. So gibt es in StudentInnenkreisen schon lange den Schnack „Biste Familienhelfer oder fährste Taxi?", aber Kraftfahren ist ja auch ein höchst attraktiver Job für viele junge Menschen und durch die häufig mögliche Teilbarkeit der Arbeit auch gut zu besetzen. Für die Rechnung veranschlage ich den (in Bremen) derzeit gültigen Satz für studentische Hilfskräfte von 14,80 Mark Stundenlohn, was zuzüglich von Arbeitgeberanteilen insgesamt einen Betrag von 0,072 Milliarden Mark ausmacht.

Zu 6) Die als Ersatz für ZDL benötigten 6.289 RettungshelferInnen dürften weniger leicht auf dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren sein. Da dieser Dienst ohnehin nicht ohne Grundqualifikationen auskommt und eine ständige Fort- und Weiterbildung erforderlich macht (oder auch anders: da es unverantwortlich ist, den Dienst von Personen ohne solche Qualifikationen tun zu lassen), würde ich hier an eine berufsbegleitende Qualifizierng zum Rettungssanitäter denken. Dies würde den Dienst - wenn dann irgendwann genügend ausgebildete Sanitäter mit eigenem Berufsbild zur Verfügung ständen - zwar verteuern, aber wenn mich nicht alles täuscht, ist - wie auch die bislang oft von den Wohlfahrtsverbänden mit politischer Unterstützung abgeschlagene private Konkurrenz vorführt - in den Kilometerpauschalen noch einiger Spielraum für qualifizierteres Personal. Die jährlichen Gehaltskosten kalkuliere ich wie in der ersten Rechnung nach AVR IXa; macht 0,259 Milliarden Mark.

Zu 7) Die benötigten 10.378 Helfer im MSHD werden - soweit ich weiß - sehr unterschiedlich eingesetzt. Sie sind teilweise mit Tätigkeiten beschäftigt, die man als „Taschengeld-Jobs" kennzeichnen könnte (Einkaufen, Gartenarbeit, Wohnungsreinigung, Begleitung bei Spaziergängen etc.), zum anderen mit komplexeren Tätigkeiten der Hauspflege incl. pflegerischer Grundversorgung. Was den Taschengeld-Anteil angeht, sollte man ihn den Taschengeldsuchern überlassen und dies z.B. über Job-Börsen oder Anzeigenblätter organisieren (es könnten aber auch Schülervertretungen, Jugendverbände und Jugendfreizeitheime tätig werden). Für die komplexeren Tätigkeiten wäre auf die bisherigen Rekrutierungsformen für HauspflegerInnen zurückzugreifen und/oder mit › 19 BSHG-Stellen attraktiver zu machen. Für die Rechnung definiere ich 40% der benötigten Stellen als „Taschengeld-Jobs" zu 10,- Mark nicht zu versteuernder Stundensatz, 60% als hauspflegerische durchschnittlich nach IXb (Eingangsstufe) zu finanzierende Tätigkeiten. Dies sind 83 Millionen Mark und 266 Millionen Mark, zusammen 0,346 Milliarden Mark.

Zu 8) Schließlich wären 3.633 BehindertenhelferInnen für die ISB zu gewinnen. Obgleich ich denke, daß es auf Dauer wenig Anlaß (und wenig Chancen gibt), den hier arbeitenden Personen auf Dauer den Status einer eigenen Berufsgruppe (etwa analog zum Heilerziehungshelfer) zu verweigern, kalkuliere ich den jetzt meist schon für festangestellte Helfer gezahlten Tarif AVR VIII; weil es sich eher um Personen handeln wird, die älter sind als ZDL, in der 3. Altersstufe. Es ergeben sich 0,159 Milliarden Mark.

Die Summe der Einzelsummen ergibt 2.996 Milliarden Mark für die kalkulatorisch benötigten 72.114 „Ersatzmänner" bzw. „Ersatzfrauen". Dadurch, daß nach meinen Prämissen bei (überwiegend Festangestellten) 10% weniger Arbeitsstunden benötigt würden, und dadurch, daß genauer differenziert werden könnte, für welche Tätigkeit welches Personal gebraucht wird, liegt der Wiederbeschaffungswert also um 400 Millionen Mark unter dem Wert der gegenwärtigen ZDL-Arbeit. Gemessen an den bislang für rund 80.000 ZDL aufgebrachten Mitteln von 2,3 Milliarden Mark bleibt allerdings immer noch eine Finanzierungslücke von knapp 0,7 Milliarden Mark. Da in meine Rechnung an verschiedenen Stellen die Überlegung eingegangen ist, daß die bisher von ZDL geleisteten Arbeitsstunden aus dem Kreis von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen rekrutiert werden können, denke ich (ohne daß ich dies im Einzelnen nachrechnen könnte), daß ein Teil dieses Geldes durch Ersparnisse bei der Bundesanstalt für Arbeit und bei den Sozialverwaltungen „eingefahren" werden könnte, einen anderen Teil würden die Beschäftigten durch direkte und indirekte Steuerzahlungen selbst aufbringen.

Vielleicht etwas zu kühn behauptet, aber der Tendenz nach richtig: Unter Kostengesichtspunkten und volkswirtschaftlich gesehen waren und sind ZDL als Arbeitskräfte im Wohlfahrtswesen entbehrlich.

Rekrutierung des fehlenden Personals

So schön dieses Ergebnis in politisch-ästhetischer Hinsicht auch ist, relevant ist es nur, wenn es beim Wegfall des Zivildienstes den politischen Willen gäbe, das bislang für ZDL aufgebrachte Geld der Zivildienstverwaltung und womöglich auch die sonstigen „Gewinne" wieder für soziale Zwecke einzusetzen. Wenn dies nicht der Fall ist, müßte über Finanzierungsalternativen für 2,5 Milliarden Mark nachgedacht werden. Wie dies geschehen sollte, überschreitet meine Vorstellungskraft. Vorsichtshalber sei aber daran erinnert, daß ein Freiwilligendienst im gleichen Umfang wie der jetzige Zivildienst diese Summe nicht erbringen könnte. „Organisierte Freiwillige" wären mindestens so teuer wie ZDL. Es ließen sich aus ihnen also höchstens die eine Milliarde herausholen, die aus der ZDL-Arbeit herausgeholt wird.

Aber auch dann, wenn das Geld bereitgestellt würde, bliebe das Problem, es aus dem Haushalt des BAZ (und ggf. weiterer Stellen, die Einsparungen erzielen) an die richtige Stelle zu leiten. Hierzu abschließend noch einige Ideen.

- Das sinnvollste erschiene mir, das Geld dahin zu geben, wo auch normalerweise Personal vermittelt wird, in die Arbeitsverwaltungen also. Diese Lösung könnte nicht nur auf ein existierendes Institutionennetz setzen, sondern würde auch am deutlichsten den Charakter von Normalarbeitsplätzen betonen. Das für auf andere Weise nicht finanzierbare Personal des Wohlfahrtswesens wäre dann auf normalem Antragsweg durch die Arbeitsämter für zweckgebundene Einarbeitungs- oder Personalkostenzuschüsse, in Form von ABM-Verträgen oder auch über einen neu zu schaffenden Spezialtopf zu verteilen.

- Eine Alternative hierzu wäre der Transfer der Mittel in Landes- oder besser wohl die kommunalen Haushalte. Gegenüber der Arbeitsamtslösung wäre der Vorteil, daß Entscheidungen über die Personalvergabe unter fachpolitischen Gesichtspunkten und in Kenntnis der Details von Bedarf und Trägerstrukturen gefällt werden könnten. Nachteilig könnte allerdings sein, daß Kommunen dazu neigen, zusätzliche Mittel im schwarzen Loch des Gesamthaushalts verschwinden zu lassen und/oder Mittel eher gewohnheitsmäßig als nach kontrollierbaren Standards zu verteilen.

- Ergänzend zu und teilweise in Überschneidung mit den genannten Lösungen könnte Geld an Stellen gegeben werden, die sich bereits jetzt mit der Finanzierung von besonderen Personalgruppen befassen. Dies wäre, insbesondere für Gelder, die über › 19 BSHG-Stellen vergeben werden sollen, die Landes- oder kommunalen Selbstverwaltungsstellen. Mittel, die dazu benutzt werden sollen, StudentInnen einen Neben- oder Hauptverdienst zu sichern, könnten Studentenwerken zur Vergabe übergeben werden. Mittel schließlich, die an Taschengeldsucher vergeben werden sollen, könnten - z.B. über den Bundesjugendring - den Landesjugendringen oder den Landesschülervertretungen treuhänderisch übergeben werden.

Wie auch immer der Transfer aussähe, für die Nutzer der Zuschüsse würde das „Geschäft" der Personalbeschaffung etwas schwieriger als jetzt. Es müßten gut begründete und in der Regel vom Betriebsrat gegengezeichnete Anträge gestellt werden und es müßten - wie das so bei der Personaleinstellung ist - prognosekräftige Bewerbungsgespräche geführt werden. Erwähnt sei schließlich noch, daß Zivildienstschulen und Verwaltungsstellen für den Zivildienst bei den Verbänden nach den hier vorgestellten Überlegungen entfielen. Ob sie in einem ganz anderen Argumentationszusammenhang, z.B. als Bildungsstätten für freiwillige MitarbeiterInnen oder auch als Serviceabteilungen von Verbänden für Personalplanung und -entwicklung, Fortbildung und Supervision etc. ihre Existenz erhalten könnten, wäre in einem anderen Kontext zu klären.

Daß diese Ideen sich den Vorwurf der Naivität werden gefallen lassen müssen, ist absehbar. Aber natürlich gehe auch ich nicht davon aus, daß alles so wie angedacht klappen würde. Andererseits wäre es falsch, die vorgeschlagene Alternative zu Freiwilligen- oder Pflichtdiensten nicht wenigstens mit in die Überlegungen zur Zukunft einer zivildienstlosen Zeit einzubeziehen. Eine volkswirtschaftliche Argumentation könnte zumindest das Argument des „Nicht bezahlbar" relativieren. Für Kompromisse und weitere Ideen bliebe immer noch Raum.

Dr. Jürgen Blandow ist Professor an der Uni Bremen und Vorsitzender des bremischen Landesverbandes des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Dieser Beitrag wurde als Statement bei der Fachtagung „Zivildienst im Umbruch" des DPWV-Gesamtverbandes am 8./9. September 1993 abgegeben und erscheint hier als Vorabdruck aus „Blätter der Wohlfahrtspflege" 6/93.

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