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Warteschleifen bringen den Jugendlichen nichts

Frankfurter Rundschau, 2.9.1999

Ohne Lehre und Ausbildung: Erstmals liegen aktuelle Daten vor /
Gefragt: Kooperation

Von Gerhard L. Endres

MÜNCHEN. Der ehemalige Bildungsminister Jürgen Rüttgers hatte die Studie „Jugendliche ohne Berufsausbildung" vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zusammen mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut Emnid noch in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Fachleute: 1998 waren im Bundesgebiet 1.330.000 Jugendliche zwischen 20 und 29 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung, also 130.000 junge Menschen pro Altersjahrgang. Aufgrund der demographischen Entwicklungen wird in den nächsten Jahren noch ein Anstieg befürchtet.

Besorgniserregend findet Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung, dass 32,7 Prozent der ausländischen Jugendlichen ohne Berufsausbildung seien, bei den deutschen sind es 8,1 Prozent. Auch der Zusammenhang von fehlendem Schulabschluss und späterer Berufslosigkeit ist für sie alarmierend, denn 65,5 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss beenden auch keine Ausbildung; bei den deutschen Jugendlichen sind es 28,2 Prozent und bei den ausländischen Jugendlichen 83,3 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat erst jüngst im Wochenbericht 22/99 geschrieben: „Die Integration junger Ausländer in das Bildungssystem verläuft langsamer." Gerade in der Berufsausbildung komme es auf die schulische Vorbildung an - so Bulmahn.

Die Studie belegt deutlich die Folgen eines fehlenden Berufsabschlusses für die Erwerbsbiographie: Die Jugendlichen ohne Berufsabschluss arbeiten überwiegend als Un- und Angelernte und 10 Prozent sogar unterhalb der Sozialversicherungsgrenze. Mädchen und junge Frauen sind besonders benachteiligt: Ihre Erwerbsquote ist um fünf Prozent und ihre Beteiligung an beruflicher Qualifizerung ist um sieben Prozent niedriger als die von Männern.

Im Arbeitsplatz Haushalt landen 37,5 Prozent aller weiblichen Jugendlichen ohne Berufsabschluss, bei den Männern liegt die Quote bei 0,5 Prozent. Die Chance für eine berufliche Tätigkeit ist für Frauen ohne Berufsabschluss um 50 Prozent gemindert. Für Tilly Lex, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Jugendinstitut (DJI), ist die BIBB/Emnid-Studie ein „vernünftiges, brauchbares Datenmaterial"; für Klaus Heimann, Leiter der Abteilung Berufsbildung beim IG-Metall- Hauptvorstand ist es eine exzellente Grundlage für die weitere Diskussion. Und für Henning Schierholz entsprechen die Ergebnisse ihren Untersuchungen.

Die Fakten liegen jetzt zum ersten Mal offiziell vor und drängen zum Handeln. Jugendliche brauchen nach der Schule einen Ausbildungsplatz oder eine qualifizierte, systematische Berufsvorbereitung, fordert Henning Schierholz vom Institut für Jugend-, Arbeitsmarkt- und Bildungsfragen (INJAB) in Hannover. Der Modellversuch Innovative Konzepte in der Ausbildungsvorbereitung (INKA), gefördert von EU, Bundesanstalt für Arbeit und Bonner Arbeitsministerium, ist für ihn ein gutes Beispiel. Es wird vom Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (INBAS) wissenschaftlich begleitet. Schule, Arbeitsverwaltung und Jugendhilfe müssen für Schierholz enger zusammenarbeiten. Auch Ministerin Bulmahn tritt für die Verbes serung der lokalen und regionalen Kooperation, die Verzahnung von Ausbildungsvorbereitung und Ausbildung, größere Praxisnähe, eine individuelle Förderplanung und die Erweiterung des Berufswahlspektrums der weiblichen Teilnehmer ein. Die Arbeitsgruppe 1 des Bündnisses für Arbeit forderte kürzlich Förderkonzepte aus einem Guss: "Es sind daher lokale/regionale Kooperationsnetze zu schaffen, die alle Beteiligten einbinden. Das sind die allgemein bildenden -und beruflichen Schulen, Jugend- und Sozialämter, die Arbeitsämter, Kammern, Wirtschaftsverbände und Betriebe, Gewerkschaften, Freie Träger der Jugend- und Jugendberufsliilfe und andere, Maßnahmeträger. Durch lokale oder regionale Vereinbarungen sollte gesichert werden, dass alle Beteiligten ihre jeweiligen Erfahrungen sowie ihre personellen sächlichen und finanziellen Ressourcen im in Kooperationsnetzwerken bündeln und auf gemeinsame qualitative und quantitative Ziele ausrichten.'

Einen Hebel für eine verbesserte Zusammenarbeit bietet auch das Kinder und Jugendhilfegesetz (KJHG). Im Paragraph 13 (Jugendsozialarbeit) wird im Absatz 4 die Kooperation angemahnt: "Die Angebote sollen mit den Maßnahmen der Schulverwaltung, der Bundesanstalt für Arbeit, der Träger betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung sowie der Träger von Betreuungsangeboten abgestimmt werden." Da es eine Soll-Bestimmung ist, wird sie nur von wenigen Jugendämtern wahrgenommen. In München z. B. koordiniert das Stadtjugendamt seit 15 Jahren die verschiedenen Projekte und versucht eine Verzahnung von Schulsozialarbeit, Projekten der Berufsvorbereitung, ambulante Erziehungshilfen und überbetrieblicher Ausbildung.

Im Bündnis für Arbeit wurde auch angeregt, den Übergang von den allgemein bildenden Schulen in die Berufsausbildung früher zu fördern. Länder und allgemein bildende Schulen sind jetzt gefordert. Für Tilly Lex vom DJI ist klar, dass diese Koordination vordringlich geleistet werden müsse, auch um effizienter die öffentlichen Gelder einzusetzen. Gleichzeitig müssen alle Projekte einen klaren Realitätsbezug für die Jugendlichen haben. Reine Warteschleifen bringen den Jugendlichen nichts. Die Jugendlichen machen alles, um einen Ausbildungsplatz zu erreichen, sind aber hilflos und orientierungslos, meint Tilly Lex. Sie wissen nicht, wie sie vorgehen sollen. Die Jugendlichen müssten aufgesucht und aktiv bei der Berufswahl und beim Einstieg in die Berufsausbildung begleitet werden.

Auch die Eltern dieser Jugendlichen sind entweder überfordert, so dass diese oft als Hilfe für die Jugendlichen ausfallen. Jugendliche und Eltern brauchen professionelle Beratung und Begleitung. Der Übergang von der Schule zur Ausbildung oder qualifizierten Berufsvorbereitung ist daher von entscheidender Bedeutung für die Jugendlichen und ihre erste gesellschaftliche Integration. Hier sind die Städte und Kreise mit Jugendämtern gefordert. Wer sonst kann diese Koordinationsaufgabe im Sinne der Jugendlichen übernehmen? Für Henning Schierholz sind die Studie und die Forderungen aus dem Bündnis für Arbeit ein wichtiger erster Schritt, um benachteiligte Jugendliche wieder als Bestandteil von Bildungsreform zu sehen.

Literatur:

BMBF, Jugendliche ohne Berufsausbildung, Broschürenstelle, Heinemannstraße 2, 53175 Bonn;

DJI Frank Braun/Tilly Lex/Hermann Rademacher, Probleme und Wege der beruflichen Integration von benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Arbeitspapier 1/99, DJI, Nockherstraße 2, 81541 München;

INBAS, Innovative Konzepte in der Berufsbildungsvorbereitung, INBAS GmbH, Frankestraße 4, 31515 Wunstorf.

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