Die Kostenfrage im Sozialwesen bei Wegfall des Zivildienstes
Peter Tobiassen
I. Zur Erinnerung
Zunächst möchte ich an ein paar Grundlagen erinnern, die in der Diskussion um die Zivildienstzeitverkürzung im diesjährigen Sommerloch völlig aus den Augen verloren wurden.
Der Zivildienst ist Ersatz für einen ansonsten zu leistenden Grundwehrdienst. Aus staatlicher Sicht hat er einzig und allein die Aufgabe, Grundwehrdienstpflichtige dazu zu bringen, ihren Dienst in der Bundeswehr ordentlich zu verrichten und nicht sagen zu können: Wenn ich verweigern würde, müßte ich ja gar nichts tun. Daß dieser Dienst überwiegend im sozialen Bereich stattfindet, war ursprünglich gar nicht vorgesehen. In den Anfangsjahren des Zivildienstes wurde aber deutlich, daß die Dienstpflichtigen, die außerhalb des sozialen Bereichs eingesetzt waren, mehr streikten, sich beschwerten, den Dienst schlechter versahen usw. als diejenigen, die in sozialen Einrichtungen eingesetzt waren. So wurden aus wenigen hundert Ersatzdienstleistenden im sozialen Bereich in den letzten 38 Jahren knapp 140.000 Zivildienstleistende.
Der Zivildienst ist Ausfluß der allgemeinen Wehrpflicht. Ihn gibt es nur solange, wie es einen Grundwehrdienst für alle Männer in einem bestimmten Alter gibt. Ob es einen Grundwehrdienst gibt und wie lange er dauert, hängt nach dem Grundgesetz und nach der politischen Überzeugung der meisten Politiker ganz allein von der sicherheitspolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland ab. Nur dann, wenn es für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nötig ist, dürfen Männer zwangsweise zur Verteidigung herangezogen werden. Wenn die Mehrheit im Bundestag zu der Überzeugung kommt, daß es sicherheitspolitisch nicht mehr begründet werden kann, Wehrpflichtige unter Beschneidung der Grundrechte und unter Androhung von Gefängnisstrafen in die Bundeswehr zu zwingen, wird die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft. Der Zivildienst kann - und darf - bei diesen Diskussionen und Entscheidungen keine Rolle spielen.
Der Zivildienst ist zusätzlich. Jeder Wohlfahrtsverband, jede einzelne Einrichtung hat bei der Schaffung jedes einzelnen Zivildienstplatzes - und das sind zur Zeit 184.000 - schriftlich zugesichert, daß der Einsatz des Zivildienstleistenden auf dem jeweiligen Platz weder einen bisherigen Arbeitsplatz erübrigt noch die Schaffung eines neuen Arbeitsplätze verhindert (2). Im Bundesamt für den Zivildienst gibt es also für 184.000 Zivildienstplätze 184.000 entsprechende Unterschriften. Alle Regelaufgaben in den bestehenden sozialen Einrichtungen werden über die jeweiligen Kostenträger finanziert - sicher nicht immer ausreichend. Alle Regelaufgaben können danach durch das reguläre Personal erledigt werden. Wenn das nicht der Fall ist, muß mit den Kostenträgern über eine bessere finanzielle Ausstattung und weitere Arbeitsplätze verhandelt werden. Zivildienstleistende dürfen hier nichts ausgleichen. Sonst verhindern sie nämlich die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
II. Die Erkenntnisse
Trotz dieser Grundlagen, die ich gerade in Erinnerung gerufen habe, ist davon auszugehen, daß viele Einrichtungen der staatlichen Zivildienstverwaltung gegenüber die Unwahrheit gesagt haben. Und diese hat die Falschangaben - manchmal sogar augenzwinkernd - nur zu gerne entgegen genommen. Zivildienstleistende werden de facto regulär eingesetzt und sorgen dafür, daß etwa 100.000 Arbeitsplätze dem Arbeitsmarkt entzogen werden. Gerade in diesem Sommer haben viele Einrichtungen, die Zivildienstleistende beschäftigen, die gesetzlichen Grundlagen für den Zivildienst offensichtlich völlig vergessen und offen zugegeben, daß sie die staatliche Verwaltung mit ihrer Auskunft, der Zivildienstplatz würde arbeitsmarktneutral eingerichtet werden, belogen haben. In zahlreichen Zeitungsartikeln ist das nachzulesen: „Rettungseinsätze gefährdet" (3), „Zivis halten das medizinische Niveau aufrecht" (4), „Die Kürzung wird uns erheblich treffen" (5). Namen und Organisationen sind genannt. Das Bundesamt für den Zivildienst könnte den „Selbstanzeigen" also leicht nachgehen und gröbsten Mißbrauch durch die Aberkennung der Einrichtung als Beschäftigungsstelle des Zivildienstes beenden.
Am 30.9.1990 wurde der Zivildienst von 20 auf 15 Monate verkürzt. Zwischen Ankündigung und Vollzug lagen drei Monate. Die Zahl der Dienstleistenden sank von 96.000 auf 75.000. Zivildienstbedingte soziale Verelendung und gar Todesfälle wurden nicht gemeldet. Auch die durchschnittliche Verweildauer der Unfallverletzten auf den Autobahnen verlängerte sich nicht (6). Allerdings gab es in manchen Bereichen Umstrukturierungen. Dauerarbeitskräfte wurden plötzlich gesucht und eingesetzt, so bei den Unfallrettungsdiensten, in der Schwerstbehindertenbetreuung (7) und bei Essen auf Rädern. So mancher Zivi beendete seinen Dienst nicht mit einem Gang zum Arbeitsamt, sondern hatte plötzlich die Chance auf einen neu geschaffenen Arbeitsplatz (8). Er machte seine Arbeit weiter, nun aber tariflich bezahlt und unbefristet. Am 31.12.1995 wurde der Dienst von 15 auf 13 Monate verkürzt. Die Zahl der Dienstleistenden verringerte sich von 135.000 auf 120.000. Die Vorlaufzeit war länger, das Gejammere der Wohlfahrtsverbände aber gleich groß (9). Jetzt haben die Verbände ein Jahr Vorlaufzeit. Schon deshalb wird die soziale Verelendung Deutschlands wieder ausfallen - trotz anderer Prognosen einiger Verbände der freien Wohlfahrtspflege.
Kenner gehen davon aus, daß die vorgeschriebene Arbeitsmarktneutralität im Zivildienst schon immer mehr oder weniger bewußt ignoriert wurde. Das gilt inzwischen selbst für alle innovativen Bereiche, die mit Hilfe des Zivildienstes angeschoben wurden. Essen auf Rädern bieten Unternehmen, die ohne Zivildienstleistende arbeiten, häufig billiger an als Wohlfahrtsverbände, für den Mobilen Sozialen Hilfsdienst, der mit Hilfe der Pflegeversicherung gesellschaftlich einen viel höheren Stellenwert bekommen hat, gilt das ebenfalls wie auch für die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung.
Was Zivildienstleistende tun, ist echte und notwendige Arbeit. Das ist unstrittig. Allen ist ebenso klar, daß diese Arbeitsleistung bei einem Wegfall des Zivildienstes kompensiert werden muß. Mit dieser Kompensation beschäftigen sich seit vielen Jahren sowohl Sozialwissenschaftler wie auch Volkswirtschaftler. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Alle kommen in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Schluß, daß der Zivildienst volkswirtschaftlich kostenneutral durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte ersetzt werden kann.
Ich will im folgenden keine neuerliche Rechnung aufstellen oder die vorhandenen im Detail wiedergeben. Das ist alles veröffentlicht und nachzulesen (10). Ich möchte Ihnen aber das Prinzip erklären und die jeweiligen Ergebnisse erläutern.
Zunächst geht es um die Frage: „Was tun die Zivildienstleistenden und wer kann die Arbeit übernehmen?"
Die Arbeit der Zivildienstleistenden zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß man für diese Arbeit innerhalb dreier Monate angelernt werden kann. Besondere Vorkenntnisse oder berufliche Ausbildungen sind nicht nötig. Das hat zur Folge, daß die Zivildienstleistenden (fast) immer „zweiter Mann" sind, nämlich Stationshelfer, Haushaltshelfer, Pflegehelfer, Rettungshelfer, Gärtnereigehilfen, Pförtner, Fahrer, Hol- und Bringedienstler, Patientenbegleiter, Hausmeister usw.
Dadurch, daß Zivildienstleistende betriebswirtschaftlich billig sind, kommt es auch zur Verschwendung der Resource Arbeitszeit, zu einer Überbesetzung der Stellen, zu einem „Overmanning" (11). Statt eines tariflich bezahlten, handwerklich ausgebildeten Hausmeisters, der für drei Häuser zuständig wäre, werden zum Teil einfach drei Zivildienstleistende eingestellt, die jeweils für ein Haus zuständig sind. Mangelnde Fachkenntnis und Erfahrung wird durch mehr Arbeitszeit ausgeglichen. Zivildienstleistende gibt es nur als Vollzeitkräfte, die mindestens 7,5 Stunden am Tag arbeiten. In einem Bereich wie Essen auf Rädern, der eigentlich nur Teilzeitkräfte benötigt, wird die Restarbeitszeit mit minderwichtigen Arbeiten wie täglichem Auto waschen und Fegen des Hofes gefüllt (12).
Da Zivildienstleistende jährlich wechseln und so jedes Jahr neu bis zu drei Monate eingearbeitet werden müssen und weil es an verschiedenen Stellen zu einem „Overmanning" kommt, geht man davon aus, daß rechnerisch drei Zivildienstleistende durch zwei Hauptamtliche ersetzt werden können. 138.000 Zivildienstleistende könnten also durch 92.000 Hauptamtliche ersetzt werden. Das Diakonische Werk Württemberg geht in seiner Studie vom Januar 1999 (13) davon aus, daß zehn Zivildienstleistende von sechs bis sieben Hauptamtlichen ersetzt werden könnten. Der Sozialwissenschaftler Prof. Jürgen Blandow, lange Jahre auch Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Bremen und deshalb nicht nur Theoretiker, geht nur von einem 10%igen Reibungsverlust aus (14). Die aktuellen Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände beklagen, daß ein Zivildienstleistender bei elf Monaten Dienstzeit nur sieben (15) oder gar „knapp sechs Monate" (16) als Arbeitskraft verfügbar wäre. Damit läge der Nutzungsgrad der Arbeitskraft der Zivildienstleistenden gegenüber Hauptamtlichen nur bei knapp 60%.
Prof. Jürgen Blandow hat den Zivildienst des Jahres 1993 in den westlichen Bundesländern untersucht und folgendes festgestellt: Für die Tätigkeit der 80.000 Zivildienstleistende werden abzüglich der von ihm angenommenen 10% Reibungsverlust 72.000 Vollzeitmitarbeiter benötigt. 20.000 dieser Vollzeitmitarbeiter müßten Fachkräfte (Pflege- und Betreuungskräfte, Handwerker und Rettungsassistenten), 52.000 ungelernte Kräfte (Helfer und Zuarbeiter aller Art) sein (17). Wenn man das auf das Jahr 1999 und das ganze Bundesgebiet überträgt, würden statt 138.000 Zivildienstleistenden 124.000 Vollzeitarbeitskräfte einen Arbeitsplatz bekommen, davon 34.700 Fachkräfte und 89.300 Ungelernte. Bei der von anderen Wissenschaftlern (18) angenommenen Quote - zwei Vollzeitarbeitskräfte ersetzen drei Zivildienstleistende - wären es immer noch 25.750 Fachkräfte und 66.250 Ungelernte. Wäre das nicht ein bemerkenswerter Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit?
Vor allem im Bereich der Ungelernten bietet es sich an, nicht nur Vollzeitarbeitsplätze zu schaffen, sondern sich den Bedürfnissen der Beschäftigungsstellen, der zu betreuenden Menschen und nicht zuletzt der Arbeitsuchenden anzupassen. Die Zahl der beschäftigten Menschen dürfte dadurch sogar steigen. Da die Tätigkeiten der Zivildienstleistenden heute auf den „jugendlichen Mitarbeiter" zugeschnitten sind, schließlich sind alle Zivildienstleistende um die 20 Jahre alt, wird der Ersatz ihrer Arbeitskraft wieder vor allem bei jungen Menschen zu suchen sein, vor allem bei den jungen ungelernten Arbeitslosen. (19)
Die unsere Gesellschaft bestimmende Frage ist aber: Was kostet der Zivildienst und wieviel mehr müßten wir ausgeben, wenn der Zivildienst wegfällt?
Die Antwort ist ganz einfach. Ein Zivildienstleistender kostet 32.000 DM im Jahr; der Bund wendet davon 20.000 DM auf, die Dienststelle 12.000 DM. Würde statt des Zivildienstleistenden ein Arbeitsloser beschäftigt werden, sparte die öffentliche Hand 11.000 DM an Sozialhilfe, Arbeitslosengeld usw., und Bund, Länder und Gemeinde würden 7.500 DM Steuern einnehmen (20). Unterm Strich werden also 50.500 DM aufgewendet, um einen Zivildienstleistenden soziale Arbeit tun zu lassen und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit einer weiteren Person zu finanzieren. Kann man nicht besser den Zivildienstleistenden in die Lehre oder ins Studium gehen lassen und dem Arbeitslosen einen Arbeitsplatz geben, ausgestattet mit 50.500 DM? Das ist das Arbeitgeberbrutto für einen ledigen kinderlosen 25jährigen Hausmeister. Bei dieser Rechnung würde man sogar 138.000 Zivildienstleistende durch 138.000 Vollzeitarbeitskräfte ersetzen, was - wie alle annehmen - gar nicht nötig ist. Vielmehr reichen 92.000 Vollarbeitsplätze, um die Arbeitsleistung der Zivildienstleistenden komplett zu ersetzen. Dann stehen pro Arbeitsplatz sogar 66.500 DM zur Verfügung. Vermutlich wird sich der tatsächliche Betrag zwischen 50.000 DM und 66.000 DM bewegen.
Diese vereinfachte, dafür aber leicht nachvollziehbare Rechnung habe ich abgeleitet aus den verschiedenen volkswirtschaftlichen Untersuchungen, die inzwischen vorliegen. Mit geringen Abweichungen kommen alle zum gleichen Ergebnis: Volkswirtschaftlich läßt sich Arbeitsleistung der Zivildienstleistenden durch tariflich bezahlte Arbeitsleistungen ersetzen, ohne daß es teurer wird. Ganz wichtig dabei ist, daß es für die Kostenträger sozialer Arbeit, also hauptsächlich für die Krankenkassen, Pflegeversicherung und Kommunen, zu keiner Erhöhung der Kosten kommen muß. Entscheidende Voraussetzung dafür ist allerdings, daß das Geld, das heute für die Erbringung der Sozialleistungen via Zivildienst und für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit ausgegeben wird, weiter von den jeweiligen bisherigen Kostenträgern bereitgestellt wird.
III. Notwendige Schritte
Allgemein wird davon ausgegangen, daß dann, wenn bei einem Wegfall der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfällt, die Kosten beim Bund eingespart werden, der Finanzminister sich freut und die Alten, Kranken und Behinderten in die Röhre schauen. Diese (Horror-)Vision wird vor allem von Vertretern der Verbände der freien Wohlfahrtspflege immer wieder gerne vertreten - wohl auch, um Veränderungen zu blockieren. Sozialpolitische Weitsicht ist solchen Stellungnahmen nicht gerade anzumerken.
Angesichts der sicherheitspolitischen Situation Deutschlands und der Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr sowie der Wehrpflicht ist es mehr als ungewiß, ob der Zivildienst erhalten bleibt. Es kann durchaus sein - und das wäre für den Sozialbereich finanziell mehr als problematisch -, daß die Wehr- und Zivildienstdauer auf fünf bis sechs Monate verkürzt wird (21). Dann müßte der Bund den Zivildienst wohl allein finanzieren, weil die Dienstleistenden für die sozialen Einrichtungen mit einer so kurzen Dienstzeit keine Hilfe im Sinne von zupackenden Arbeitskräfte mehr wären. Sie wären dann „nur noch" Praktikanten, für die keine Einrichtung „Lohn" zahlen würde und könnte. Zusätzlich müßten die bisher durch die Zivildienstleistenden erbrachten Arbeitsleistungen fast vollständig durch andere Arbeitskräfte ersetzt werden. Bei der Finanzierung dieser neu geschaffenen Arbeitsplätze könnten die „Zivildienstkosten", wie oben geschehen, aber nicht eingerechnet werden. Sie müßten dann tatsächlich zum Teil über die Beitragszahler finanziert werden.
In diesem Sommer wurde die sozialpolitische Planlosigkeit von Teilen der Wohlfahrtsverbände besonders offensichtlich, als der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes forderte, die Einführungslehrgänge für die Zivildienstleistenden zu streichen und das so eingesparte Geld zu nutzen, um die Dauer des Zivildienstes bei 13 Monaten zu lassen (22). Es kommt diesem Verband offensichtlich nicht mehr auf Qualität sozialer Dienstleistungen, sondern nur noch auf Quantität an.
Für die gleiche Planlosigkeit spricht, daß die Wohlfahrtsverbände nur gegen die Verkürzung der Dienstzeit protestierten, nicht aber dagegen, daß der Bund die Kostenerstattungen an die Zivildienststellen um 100 Millionen DM verringerte. Dabei werden diese 100 Millionen DM nur beim Bund eingespart und müssen nun aber von den Kostenträgern sozialer Dienstleistungen aufgebracht werden. Hier wird nicht gespart, sondern verschoben, letztlich zu Lasten der Beitragszahler. Sozialplanerisch gibt es hier eigentlich nur zwei Optionen, zu denen dann aber auch bewußt Stellung genommen werden sollte: Entweder werden möglichst viele Kosten des Zivildienstes auf die Kostenträger sozialer Dienstleistungen verschoben, die zivildienstleistende Arbeitskraft also möglichst teuer gemacht. Dann fällt der Schritt zur tariflich bezahlten Arbeitskraft bei Wegfall des Zivildienstes nicht so schwer. Dieser Schritt geht zu Lasten des Beitragszahlers. Oder aber die Kosten bleiben in möglichst großer Höhe beim Bund, damit bei Wegfall des Zivildienstes mit diesem Geld die Konversionsplanung besser gestaltet werden kann, ohne daß die Adressaten sozialer Arbeit stärker belastet werden. Die Wohlfahrtsverbände haben sich mit ihrem (Nicht-)Verhalten für die erste Option entschieden, für die zu Lasten der Beitragszahler.
1996 ist in den Niederlanden die Wehrpflicht weggefallen und damit auch der Zivildienst. Dort ging es aber nur um etwa 1.000 Zivildienstplätze. Arbeitsverwaltung und soziale Einrichtungen haben dort gemeinsam einen Plan für den Ersatz der wegfallenden Zivildienstleistenden erarbeitet und den Umbau organisiert (23). Solche notwendigen gemeinsamen Aktionen werden erfreulicherweise seit kurzem auch von einzelnen Wohlfahrtsverbänden gefordert. So ruft der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband nach einer Zivildienst-Kommission, die Alternativen zum Zivildienst erörtern soll (24), und das Diakonische Werk hat für den Oktober ein Gespräch mit der Bundesanstalt für Arbeit zu diesem Thema vereinbart. Das für den Zivildienst zuständige Jugendministerium und das Arbeits- und Sozialministerium rühren sich in dieser Frage nicht - wohl schon deshalb, weil der Bundesminister der Verteidigung allen staatlichen Stellen verbietet, die Wehrpflicht in Frage zu stellen.
Dabei bieten sich vor dem Hintergrund der oben genannten Zahlen zahlreiche Möglichkeiten konkreter Zusammenarbeit an, die auch arbeitsmarktpolitisch bedeutsam sein werden. Zunächst muß es darum gehen, die tatsächlichen Kostenverhältnisse deutlich zu machen. Wenn bekannt ist, wer welchen Kostenanteil an der Finanzierung des Zivildienstes und der Arbeitslosigkeit hat, können die Kooperationspartner für eine Konversion festgelegt werden. Unter der Maxime: Es wird nicht teurer, werden Bund, Arbeitsverwaltung und die Träger der sozialen Arbeit sich mit Sicherheit als Kooperationspartner zusammenfinden können.
Der Bund hat mit der jetzigen Regierung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zum wichtigsten Ziel allen Regierungshandelns erklärt. Die Bundesanstalt für Arbeit hat zahlreiche Beschäftigungsprogramme aufgelegt, die langfristig Arbeitsplätze schaffen sollen. Die Vorstöße einiger Verbände der freien Wohlfahrtspflege lassen hoffen, daß es ein wenig mehr in Richtung einer konstruktiven Sozialpolitik geht.
Gesellschaftlich ist die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze für gering oder gar nicht qualifizierte Arbeitskräfte von größter Bedeutung. Für sie gibt es größte Probleme, Arbeit zu finden. Dabei ist es offensichtlich, daß die Arbeitsplätze, die zur Zeit durch Zivildienstleistende blockiert werden, bestens geeignet sind für diese Zielgruppe: Die Tätigkeiten setzen keine Berufsausbildung voraus, die Arbeitsplätze sind integriert in größeren Betrieben mit vielen Mitarbeitern. Die Tätigkeitsarten sind breit gefächert, von der Pflegehilfe über den Pförtner oder Kraftfahrer bis hin zum Hauselektriker oder EDV-Spezialisten.
IV. Fazit
Der Zivildienst kann durch reguläre Arbeitsplätze ersetzt werden.
Die potenziellen Arbeitskräfte für diese neu zu schaffenden Arbeitsplätze gehören zur Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt, denen wegen fehlender Qualifikation bisher kaum Arbeit angeboten werden kann.
Die Bereitstellung der Mittel, die bisher Zivildienst und Arbeitslosigkeit finanzieren, würden die zukünftigen Arbeitsplätze komfortabel ausstatten.
Auf die Adressaten der sozialen Arbeit (vor allem alte, kranke, und behinderte Menschen) werden keine höheren Kosten zukommen.
1. Vortrag im Rahmen der Studientagung „Die Krise der Allgemeinen Wehrpflicht" von pax christi am 16.9.1999 in der Katholischen Akademie in Berlin.
2. In den „Richtlinien zur Durchführung des § 4 des Zivildienstgesetzes" in der seit dem 20.4.1999 geltenden Fassung (wie auch in allen früheren Fassungen) heißt es in Ziffer 3.3.2: „Zivildienstplätze dürfen nicht anerkannt werden, wenn sie nachweislich einen bisherigen Arbeitsplatz ersetzen oder eine Einrichtung eines neuen Arbeitsplatzes erübrigen sollen. Diese Arbeitsmarktneutralität ist insbesondere gewährleistet, wenn die Arbeiten ohne den Einsatz von ZDL nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden oder auf dem Arbeitsmarkt keine Nachfrage besteht. Die Einrichtung hat diese Arbeitsmarktneutralität zu erklären und zu begründen."
3. Frankfurter Rundschau vom 6.8.1999
4. Volksblatt Schweinfurt vom 7.9.1999
5. Die Tageszeitung vom 4.8.1999
6. So meldete die Bonner Rundschau am 9.6.1990: „Notärzte: Fiasko durch Zivildienst-Verkürzung" und die Rhein-Zeitung am 6.6.1990: „Sie sind ‚Mädchen' für alles - Auf Zivildienstleistende ist nicht zu verzichten"
7. Es gelang im Bundesland Bremen, das Verhältnis von Zivildienstleistenden und Hauptamtlichen in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung umzukehren. Bis Oktober 1990 wurde die Hauptarbeit durch Zivildienstleistende getragen und Hauptamtliche fungierten als „Springer". Danach erfolgte eine Abdeckung der Hauptarbeit durch festangestellte Helfer und die Zivildienstleistenden waren fortan die „Springer".
8. Besonders eindrücklich nachzulesen in dem Bericht über den Ersatz von 46 Zivildienstleistende durch reguläre Arbeitskräfte: Alfred L. Lorenz „Raus aus der Zivildienstfalle" - Über den Abbau von Zivildienstplätzen in einem Krankenhaus; in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 2/1998, Seite 71 ff.
9. So titelten die Nürnberger Nachrichten am 27./28.1.1996: Dienstzeit der ‚Zivis' wurde von 15 auf 13 Monate verkürzt - "Nicht mehr zumutbar" - Ständiger Wechsel der Behindertenbetreuer - Klage der Verbände
10. Jürgen Blandow „Wenn es keinen Zivildienst mehr gäbe ... - Zu den Erträgen, Kosten und dem Wiederbeschaffungswert wegfallender Zivildienstleistenden", in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 2/1994, Seite 63 ff.
Hanno Beck „Zur Ökonomie von Pflichtdiensten"; in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 3/1994, Seite 94 ff.
Dietmar von Bötticher „Die Ersetzung Zivildienstleistender durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte - eine Modellrechnung" in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 2/1994, Seite 56 ff
Beate Finis-Siegler „Konversion des Zivildienstes - eine sozialpolitische Betrachtung"; in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 4/1996, Seite 138 ff.
Jürgen Kuhlmann „Wehrpflicht- und Freiwilligenarmee im Vergleich - Anmerkungen - vor allem Ökonomischer Art - zur Armeeform, zu Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst in Deutschland"; in: Auslaufmodell Wehrpflichtarmee - Dokumentation einer Fachtagung im November 1996; Hrsg. von der Zentralstelle KDV in Bremen, Seite 15 ff.
Klaus Zimmermann „Zivildienst schadet dem Arbeitsmarkt", in: Süddeutsche Zeitung vom 13.8.1999
11. Jürgen Kuhlmann benutzt diesen treffenden Begriff in seinem Vortrag (a.a.O.) unter der Kapitelüberschrift: „Ökonomische Logik 4: Was billig erscheint, wird tendenziell verschwendet. Was teuer erscheint, wird sparsam bewirtschaftet."
12. Es gibt natürlich auch Verbände, die den Mahlzeitendienst in einen Mobilen Hilfsdienst eingebunden haben und die verfügbare Arbeitskraft der Zivildienstleistenden sinnvoll nutzen. Aber durch die „billigen" Zivildienstleistenden werden allzuviele soziale Einrichtungen zu nachlässiger Arbeitsorganisation verführt.
13. Beirat Zivildienst des Diakonischen Werkes Württemberg „Konversion des Zivildienstes - Soziale Dienste ohne Zivis möglich, Ein Positionspapier für die Zeit nach der Wehrpflichtabschaffung"; in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 1/1999, Seite 18 ff.
14. Jürgen Blandow „Wenn es keinen Zivildienst mehr gäbe ... - Zu den Erträgen, Kosten und dem Wiederbeschaffungswert wegfallender Zivildienstleistenden"; in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst, Heft 2/1994, Seite 63 ff.
15. So der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider am 4.8.1999 in der Frankfurter Rundschau unter der Überschrift „Kürzung bei Zivis trifft Verbände".
16. So Ingrid John vom Arbeiter Samariter Bund in der Frankfurter Rundschau vom 6.8.1999 unter der Überschrift „Rettungseinsätze gefährdet". Merkwürdigerweise scheinen die Rettungsdienste gar nicht zu wissen, daß sich der Zivildienst im nächsten Jahr sowieso bei ihnen verabschiedet, weil der neue Euro-Führerschein nur noch das Führen von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen zuläßt. Die meisten Rettungswagen sind aber schwerer. Zivildienstpflichtige mit entsprechenden Führerscheinen wird es ab Mitte 2000 kaum noch geben.
17. In seiner Studie sind die genauen Zahlen für die jeweiligen Tätigkeitsgruppen im Zivildienst und die zugehörigen Ersatzarbeitskräfte aufgeführt. Außerdem ist aufgelistet, wo die Ersatzkräfte vermutlich zu finden sind und welche weiteren günstigen gesellschaftlichen Folgen zu erwarten sind, so z.B. der erleichterte Berufseinstieg für Frauen über Teilzeitbeschäftigungen nach der Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen Kindererziehung.
18. So u.a. Beate Finis-Siegler, Klaus Zimmermann, Diakonisches Werk Württemberg
19. Wie wichtig hier neu geschaffene Arbeitsplätze sein können, wird deutlich in einer von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn Ende August 1999 vorgestellten Studie „Jugendliche ohne Berufsausbildung"; in „Warteschleifen bringen den Jugendlichen nichts", Frankfurter Rundschau vom 2.9.1999. Prof Jürgen Blandow führt in seiner Untersuchung detailliert weitere Nutznießer dieser potenziellen neuen Arbeitsplätze auf, die von in den Beruf zurückkehrenden Müttern über die Berufsorientierung suchende Abiturienten bis hin zu qualifizierten, aber zur Zeit arbeitlosen Handwerkern reichen.
20. Die Zahlen zur Unterstützung Arbeitsloser und zu den (nicht) gezahlten Steuern habe ich der Studie von von Boetticher entnommen. Nicht berücksichtigt habe ich die Mehreinnahmen der Sozialversicherung, die von Boetticher mit knapp 800 Millionen DM angibt, und die sogenannten „Opportunitätskosten, die durch Effizienzverlust entstehen, z.B. wenn eine Gesellschaft es sich leistet, den jungen Wissenschaftler statt in die Forschung in den Wachdienst bei der Bundeswehr oder in die Bettenzentrale eines Krankenhauses zu schicken.
21. Diese Überlegungen hört man aus der SPD, von der FDP und vom Deutschen Bundeswehrverband. Der Spiegel (Ausgabe vom 13.9.1999, Seite 42 ff. „Die intelligente Armee") berichtet über entsprechende Pläne in den Schubladen auf der Hardthöhe.
22. „Angst vor der Lücke" in: Der Spiegel vom 9.8.1999, Seite 66
23. Frankfurter Rundschau vom 6.8.1999: „Verträglicher Abschied - Niederlande ersetzten Zivildienst durch ABM-Stellen"
24. Frankfurter Rundschau vom 7.8.1999 „Zivildienst-Kommission gefordert - Wohlfahrtverband: Gremium soll Alternativen erörtern"
|