Wehrpflicht und Freiwilligenarmee im Vergleich
Jürgen Kuhlmann
Dr. Jürgen Kuhlmann ist tätig am George C.Marshall European Center for Security Studies in Garmisch - Partenkirchen. Vortrag auf der Fachtagung "Auslaufmodell Wehrpflichtarmee", die die Zentralstelle KDV und die Evangelische Akademie Thüringen am 1./2. November 1996 in Eisenach durchführte. Die Dokumentation der Tagung kann als Broschüre bestellt werden. Anmerkungen - vor allem öknomischer Art - zur Armeeform, zu Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst in Deutschland
"Wir könnten uns in Zukunft enorm viele Gedanken und Debatten zum Problem der allgemeinen Wehrpflicht ersparen, wenn wir zuerst eine einfache Frage beantworten würden. Warum sollen junge Männer in irgendeiner Gesellschaft eine Pflicht haben - die gegen ihren Willen erzwungen werden kann - für andere zu kämpfen? Wo steht das geschrieben?" Martin Anderson 1991
(Berater von Präsident Nixon zum Zeitpunkt der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht in den USA)
"Solange ich etwas zu sagen habe, bleibt die Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee."
Bundeskanzler Helmut Kohl 1991
("Die Zeit", Nr. 6/92, 31.1.1992)
Die Wehrpflicht entspricht "nicht mehr den militärischen Erfordernissen und auch nicht mehr den Charakterzügen unserer modernen Gesellschaft".
Staatspräsident Jaques Chirac 1996
("Süddeutsche Zeitung", 28.11.1996)
Die Frage - kurzgefaßt: Kippt die Wehrpflicht in Deutschland oder nicht? - ist ein Dauerbrenner in Deutschland und das nicht erst seit dem Fall der Berliner Mauer, nicht erst seit der Vereinigung beider deutscher Staaten und nicht erst als Folge der grundlegenden Veränderungen im weltweiten sicherheitspolitischen Kontext.
Bereits im Jahre 1973 hatte die Wehrstruktur Kommission befunden: "Freiwilligen Streitkräfte entsprechen einer arbeitsteiligen Industriegesellschaft am besten. Sie sind leistungsfähig und kosteneffektiv. Sie sind nicht mit den Problemen von Wehrpflicht Streitkräften belastet. Es gibt keine Wehrungerechtigkeit, und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verliert seine Relevanz."1) Folgerichtig empfahl denn auch die Wehrstruktur Kommission, "im Falle einer wesentlichen Veränderung der sicherheitspolitischen Lage, die eine beträchtliche Verringerung der Präsenz ermöglicht, die Frage der Umwandlung der Streitkräfte" abermals zu prüfen.2)
Im Prinzip schloß sich dieser Empfehlung auch die sogenannte Jacobsen Kommission der frühen 90er Jahre an - und jeder kann zur Kenntnis nehmen, daß beide Kommissionen in Hinblick auf das Schicksal der Wehrpflicht in Deutschland nicht viel bewirkt haben. Des Kanzlers Wort scheint nach wie vor zu gelten, obwohl es um die Wehrpflicht tatsächlich schlecht bestellt ist.
Nur der Vollständigkeit halber ist hier zu erwähnen, daß die Wehrstruktur Kommission des Jahres 1973 ebenfalls festgestellt hatte, daß Wehrpflichtige mit abnehmender Grundwehrdienstdauer zunehmend unwirtschaftlicher werden.3) Nach ihren Berechnungen würde ein Grundwehrdienst von 12 Monaten Dauer dazu führen, daß 92 Prozent der mit Wehrpflichtigen besetzten Dienstposten billiger kämen, wenn man dort Freiwillige beschäftigen würde. Bei9 Monaten Grundwehrdienstdauer stiege der Anteil unwirtschaftlich besetzter Wehrpflichtigendienstposten gar auf 95 Prozent. Heute dauert der Grundwehrdienst 10 Monate, der Rest der Schlußfolgerung ist naheliegend.
Beide Kommissionen - die Wehrstruktur - Kommission und die Jacobsen Kommission -hatten auch weitverbreiteten Vorbehalten gegen eine Freiwilligenarmee recht deutlich den Boden entzogen, nämlich daß allein die allgemeine Wehrpflicht das legitime Kind der Demokratie sei, daß nur die allgemeine Wehrpflicht die Verteidigungslasten gerecht auf viele Schultern verteile und daß Freiwilligenstreitkräfte recht schnell zu einem Staat im Staate werden könnten. Es paßt in das Bild der parteipolitischen Streitkultur in Deutschland, daß die genannten Empfehlungen der Kommissionen praktisch öffentlich nicht mehr zur Kenntnis genommen werden und daß die alten Argumente- obwohl widerlegt - gebetsmühlenhaft immer noch fröhlich Urständ feiern - und das bei Politikern aller Couleur - ob schwarz, gelb, grün oder rot, es gibt nur wenige Ausnahmen.
Der anerkannte Militärhistoriker Messerschmidt hat zu Recht diese "erstarrten, zu politischen Floskeln gewordenen" Behauptungen aus dem Wunsch von Politikern und Militärs erklärt, komplizierte geschichtliche Zusammenhänge auf "opportune Vorstellungen" zu reduzieren.4)
Nun muß man freilich konzedieren, daß die öffentlich und offiziell geführte Diskussion um die Wehrstruktur in Deutschland zunehmend in Argumentationsnot gerät. Während die nicht dem Befehl Gehorsam Muster unterworfenen Experten bereits das Requiem der Wehrpflicht formulieren, dürfen die Experten aus dem Bundesverteidigungsministerium und in den Streitkräften an dem Thema nicht rühren, wenn sie damit der offiziellen Diktion widersprechen: "Das rigorose Festhalten der Regierung an der Wehrpflicht und die Tabuisierung des Themas verhindere eine offene Erörterung der Vor- und Nachteile", lautete das Resümee einer Dienststellenleiter Tagung im Frühjahr dieses Jahres. Man kann es aber auch so sagen: Es besteht in der Bundeswehr offenkundig ein "Maulkorberlaß", der vielfältig und listig umgesetzt wird.
Während man sich in Bonn nach Ruhe sehnt und das Thema der Wehrstruktur auf möglichst kleiner Flamme kochen will, sorgen die Nachbarn Deutschlands für ein Aufflammen der unwillkommenen Diskussion auch in der deutschen Medienlandschaft. Nach Belgien und Holland liefert Frankreich wieder den Anlaß - Spanien wird demnächst wohl folgen, denn auch dort steht die Abschaffung der Wehrpflicht im Koalitionsvertrag der neuen konservativen Regierung.
Kanzler, Verteidigungsminister und Generalinspekteur stehen jedoch wie ein Fels in der Brandung "in Treue fest zur Wehrpflicht", wie es die "Süddeutsche Zeitung" formulierte.5) Der Kanzler erklärte im Fernsehen sinngemäß, die "Verteidigung des Vaterlandes sei Sache des ganzen Volkes und dürfe nicht nur einer kleinen Elite vorbehalten bleiben", und der Minister kam gar zu dem Schluß, "die Wehrpflichtarmee sei die vitalere und intelligentere Armee, sie beuge einer Verengung des Rekrutierungspotentials hinsichtlich geistiger Ausprägung, schulischer Bildung und beruflicher Ausbildung vor"6), "die Qualität der Bundeswehr würde dramatisch abstürzen, wenn sie nicht mehr auf Wehrpflichtige zurückgreifen könnte."7)
Wer diesen Einschätzungen nicht von Amts wegen zustimmen muß, weiß allerdings zu berichten, daß sich die Verweigerungsraten in Deutschland zur 50 Prozent Marke hin bewegen. und daß vor allem die - an formalen Schulabschlüssen gemessen - intelligenteren jungen Männer diesen Weg wählen. Dennoch: Der Presse - und Informationsstab des Bundesverteidigungsministeriums verpflichtet in einer sogenannten Argumentationshilfe vom Februar 1996"alle politisch Verantwortlichen und auch die Bundeswehr selber, die Bedeutung der Wehrpflicht für unser Staatswesen herauszustellen. Wehrdienst und Bewahrung der Sicherheit unseres Landes gehören zusammen. Wehrdienst in der Demokratie ist Ehrendienst. Wer als Soldat dient, übernimmt eine Pflicht für unser Land und alle seine Bürger, die zur Sicherung des Friedens unverzichtbar ist."8)
Länder wie Großbritannien, Holland, Belgien, Frankreich und Spanien (um sich auf Europa zu beschränken) sehen dies offenkundig anders, ohne sich selbst der Nicht Demokratie zu zeihen.
Kosten und Nutzen von Wehrpflicht- und Freiwilligenstreitkräften
Zu den Argumenten, die in der Diskussion um die Vor- und Nachteile von Wehrstrukturen stereotyp ins Feld geführt werden9),gehört die Behauptung, Wehrpflichtige wären" billiger" als freiwillige Soldaten. Auf den ersten Blick plausible Belege, die dieses Argument stützen sollen, sind meist schnell zur Hand. Etwa: Hätte man 1996 in der Bundesrepublik an Stelle der tatsächlich dienenden etwa120.000 wehrpflichtigen Mannschaften Zeitsoldaten der gleichen Dienstgrade eingesetzt, wären die Personalausgaben um 2,8 Milliarden Mark höher ausgefallen.10)
Eine derartige Argumentation enthält allerdings latent eine Reihe von ökonomischen Prämissen, die jede für sich kritisch zu befragen ist. Diese kritische Auseinandersetzung endgültig, kompetent und bündig geleistet zuhaben, ist dem sogenannten Wandsbeker Kreis anzurechnen.11) Die folgenden Ausführungen orientieren sich mit geringfügigen Änderungen an der Argumentationsführung des Wandsbeker Kreises.
Ökonomische Logik 1: Die allgemeine Wehrpflicht ist eine Naturalsteuer.
Jeder junge Mann wird zugunsten der Gesellschaft zwangsverpflichtet, einen Dienst zu erfüllen. Hierfür wird er nur partiell entschädigt.
Wäre die Entlohnung nämlich marktgerecht, könnte auf die Zwangsverpflichtung verzichtet werden. Der Beruf eines Soldaten würde dann als alternative Möglichkeit zu anderen Tätigkeiten verstanden und freiwillig ergriffen.
Es ist somit systemimmanent, das Entgelt für soldatische Diensterfüllung in einem zwangsverpflichtenden System auf jeden Fall weit unter jenem Lohn zu lassen, der für eine entsprechende soldatische Leistung auf dem freien Arbeitsmarkt gezahlt werden müßte. Weil die Entschädigung (Sold) für militärische Leistungen der Wehrdienenden im Vergleich zu zivilen Löhnen zu niedrig ist, werden Wehrdienende mit einer impliziten Einkommenssteuer belegt, welche der Differenz zwischen dem zivilen Lohn und der militärischen Entschädigung entspricht.
Störend hierbei ist, daß diese in Naturalleistungen (vor allem Zeitkosten) zu erbringende Steuer nicht explizit in staatlichen Budgets erscheint, sondern nur implizit erhoben und damit einer direkten demokratischen Legitimation entzogen wird.
Männer (und Frauen) für Tätigkeiten zwangszuverpflichten, entstammt einer veralteten Staatsgläubigkeit und widerspricht den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten einer modernen arbeitsteiligen Marktwirtschaft.
Ökonomische Logik 2: Maßgeblich für die Kosten einer Wehrpflicht und einer Freiwilligenarmee sind die realen volkswirtschaftlichen Kosten und nicht nur die beim Staat budgetwirksamen Ausgaben oder die bei der Armee direkt anfallenden Ausgaben.
Neben den direkten Kosten, die unmittelbar durch die Entschädigung, Entlohnung oder Besoldung der Soldaten entstehen, sind ebenso die Opportunitätskosten zu berücksichtigen, also jene Kosten, die in Form von Effizienzverlusten entstehen.
Für beide grundsätzlich möglichen Rekrutierungsmuster, für die Wehrpflicht und für eine Freiwilligenarmee, ist der jeweilige gesamtgesellschaftliche Nutzenentgang (opportunity costs) zu ermitteln.
"Opportunitätskosten werden als der Entgang jenes Nutzens aufgefaßt, den die Andersverwendung knapper, wirtschaftlicher Güter gebracht hätte".12) Die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft würde also in Höhe der Opportunitätskosten steigen, wenn man junge Männer nicht zum Wehrdienst verpflichtet, sondern im Zivilberuf läßt. Jedoch rechtfertigt man diese Kosten in der Regel mit dem Hinweis, daß der militärische Nutzen der Wehrpflicht die Opportunitätskosten aufwiegt, wenn nicht gar übersteigt. Diese These wird hier, obwohl sie empirisch - so oder so - kaum zu belegen ist, eher angezweifelt.13)
Es mag zutreffen (muß aber nicht),daß eine Rekrutierung von Freiwilligen höhere direkte Kosten verursacht. Keinesfalls müssen deswegen aber auch die Opportunitätskosten einer Freiwilligenarmee höher ausfallen als in einer Wehrpflichtigenarmee.
Aus ökonomischer Sicht ist zu erwarten, daß eine Freiwilligenarmee weit geringere Opportunitätskosten verursacht als jedes andere Rekrutierungssystem. Die Vermutung höherer Opportunitätskosten einer Wehrpflichtarmee ergibt sich ganz allgemein aus einigen weiteren ökonomischen Gesetzmäßigkeiten:
Ökonomische Logik 3: Arbeitsteilung und Spezialisierung erlauben in aller Regelkostengünstigste Lösungen. (Spezialisierungsdegression der Kosten). Profis sind effizienter als Amateure.
In 10 Monaten Wehrpflicht kann man nicht zum Profi ausgebildet werden.
Wehrdienende Profis, selbst wenn sie gutwillig wären, haben kaum Zeit, ihr Wissen unter den Rahmenbedingungen der Bundeswehr anzuwenden. Von durchschnittlich 220 Arbeitstagen eines W 10 bleiben höchstens 150 Tage.14) In dieser verbleibenden Zeit kann der wehrdienende Profi militärischen Nutzen nur produzieren, wenn er in Arbeitsplatz und Gerät eingewiesen ist und keine Fehlermehr machen kann - man stelle sich vor, wie lange dies etwa auf einer Fregatte der Marine braucht.
Die Bundeswehr wertet neuerdings -folgerichtig - die Grundwehrdienstleistenden bei ihrer Entlassung nach 10 Monaten denn auch nicht als "ausgebildet", sondern als" weiter ausbildungsfähig" und setzt - wiederum folgerichtig - Grundwehrdienstleistende zum Beispiel im Deutschen SFOR - Kontingent15) auf dem Balkan nur in Ausnahmefällen ein.16)
Ökonomische Logik 4: Was billig erscheint, wird tendenziell verschwendet. Was teuer erscheint, wird sparsam bewirtschaftet.(Lenkungsfunktion von Kosten - Pretiale Lenkung)
Wehrpflichtige werden nicht marktgerecht entlohnt. Dies führt zu einem volkswirtschaftlich ineffizienten Einsatz des Faktors Arbeit. Weil Arbeitskräfte für die Bundeswehrführung und die Budgetplaner zu billig erscheinen, wird menschliche Arbeitskraft im Militär verschwendet.
Der Kundige weiß in diesem Zusammenhang eine Reihe von Verschwendungen zu nennen: Ordonnanzdienste etwa in Offiziers- und Unteroffiziersheimen; übermäßig besetzte militärische Wachen; Einüben von Appellen, das mehr Zeit beansprucht als der eigentliche Appell; Reinigungs- und Putzdienste dort, wo es einer Reinigung kaum noch bedarf; Wartung von Waffen und Gerät als "Verlegenheitsdienst"; sinnentleertes "Türkenbauen", wenn eine Dienstaufsicht oder hochrangiger Besuch ins Haus stehen.17)
Viele Aufgaben in den Streitkräften können nur bezahlt werden, weil man auf Wehrpflichtige als vergleichsweise billige Arbeitskräfte zurückgreifen kann. Müßten Marktpreise gezahlt werden, würden diese Aufgaben schnell entfallen, weil sie zu teuer kämen. Anders ausgedrückt: Marktgerechter Wehrsold würde den Umfang wehrpflichtiger Arbeit in den Streitkräften reduzieren und die freigesetzten Teile sehr schnell in produktivere Verwendungen des zivilen Wirtschaftssektors lenken.
Folge des Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital ist ein Overmanning (im Verhältnis zum eingesetzten Kapital (Waffen, Transport und Beförderungsmittel, Geräte und Material). Overmanning kostet die Gesellschaft mehr Ressourcen, als für die Erfüllung des sicherheitspolitischen und militärischen Auftrages eigentlich nötig sind.
Ökonomische Logik 5: Die allgemeine Wehrpflicht führt tendenziell zu einer ineffizienten Nutzung menschlicher Begabung.
Der volkswirtschaftliche Verlust ist dann besonders groß, wenn hochqualifizierte Arbeitskräfte, die in einer zivilen Beschäftigung eine hohe Produktivität erzielen würden, in der Armee nicht entsprechend eingesetzt werden.
Hochqualifizierte Spezialisten werden beim Militär benötigt. 10 Monate Wehrdienst bieten jedoch kaum Gelegenheit, Produktivität zu erzielen.
Zudem leisten alle Wehrpflichtigen zum gleichen Lohn Militärdienst, während im Zivilleben Lohnhöhe und Produktivität übereinstimmen müssen. Deshalb sieht sich der Unternehmer veranlaßt, den Hochqualifizierten so einzusetzen, daß er eine dem Lohn adäquate Leistung vollbringen kann.
Dies ist in der Armee nicht der Fall. Der finanzielle Anreiz fehlt sowohl beim Wehrdienstpflichtigen wie beim "Arbeitgeber". Guter Wille und militärische Führung sind nur unvollkommene Ersatzmechanismen im Vergleich zur Steuerung über Preise.
Das Geschäft mit der Wehrpflicht - Zur ökonomischen Ausbeutung der Zivildienstleistenden
Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst sind als solche in der BRD nicht mehr umstritten - sie sind selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Umstritten aber - das teilweise recht kontrovers - ist die tatsächliche Ausgestaltung des Zivildienstes.
Das Bundesamt für den Zivildienst als Vertreter der Bundesregierung gibt dem Zivildienst seit 1984 gute Noten. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besondere Qualität der Zivildienstplätze - gemeint ist damit die Auflage, Zivildienst zu einer lästigen Alternative zu machen - sei realisiert. Dies offensichtlich ohne nachhaltige Auswirkung auf die Dienstbereitschaft der Zivildienstleistenden, denn die überwiegende Zahl von ihnen sei engagiert, pflichtbewußt und fleißig: die Situation vor Ort sei gekennzeichnet "durch erfreuliche Akzeptanz bei Dienststellen und Bürgern sowie durch hohe Motivation der Zivildienstleistenden".18)
Im Grunde scheinen aber alle beteiligten Organisationen der Meinung zu sein, daß das unbestritten hohe soziale Engagement der Zivildienstleistenden ökonomisch ausgebeutet wird. Hinter vorgehaltener Hand werden im Grundsatz Ergebnisse von zwei empirischen Untersuchungen (aus dem Jahre 1987) bestätigt.19)
Beide Studien kommen unabhängig voneinander zu einem nahezu übereinstimmenden Ergebnis, nämlich daß im Jahre 1987 jeder Zivildienstleistende einen Nettogewinn von 33.000 Mark erwirtschaftet hat (bewertet nach dem im Öffentlichen Dienst geltenden Bundes - Angestellten Tarif).
Den Gesamtgewinn aus den Tätigkeiten der Zivildienstleistenden berechnen beide Studienfür 1987 auf insgesamt etwa 2,3 Milliarden Mark, wovon 75 Prozent den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und deren Mitgliedsorganisationen zu Gute kommen. Hier findet also offensichtlich eine Verlagerung finanzieller Mittel von öffentlichen Haushalten zu den privaten Budgets der Wohlfahrtsverbände statt.
Unter dem Diktat eines zunehmenden Finanzdrucks sind die Mittelzuweisungen des Bundes an die Wohlfahrtsorganisationen im Jahre 1993um etwa 1 Milliarde Mark gekürzt worden - was sofort zu Klagen der Verbände führte, die Wohlfahrtspflege in Deutschland stehe vor dem finanziellen Zusammenbruch. Dennoch ist auch nach diesem Aderlaß die Zahl der Zivildienstplätze ständig stetig gestiegen.
Blandow hat kürzlich in einer Modellrechnung auch für das Jahr 1993 belegt, daß die Wohlfahrtsverbände mit den Zivildienstleistenden über ein Arbeitskräftepotential im Marktwert von 3,3 Milliarden Mark verfügen.20) Davon finanzieren die Verbände allerdings nur etwa 500 Millionen Mark - der Rest fließt aus den Kassen des Bundes und der Solidarversicherungen.
Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, warum es 1984 nach Einführung des neuen Anerkennungsverfahrens so schnell gelang, die Anzahl der Zivildienstplätze innerhalb von 12Jahren von damals 60.000 auf gegenwärtig fast 175.000 zu steigern. 21)
Ohne bestreiten zu wollen, daß die Wohlfahrtsverbände auch gemeinwirtschaftliche Ziele im Auge haben, darf man dennoch begründet auch ökonomische Motive vermuten. Bedenklich daran ist, daß sich ansammelnde Beträge einer öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen sind. Es ist Außenstehenden nahezu unmöglich, den Verbleib und die Verwendung der Gelder nachzuprüfen.
Zur staatlichen Ermunterung, ein Grundrecht zu mißbrauchen: Motive der Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistenden 22)
Das seit 1984 praktizierte Verfahren der Anerkennung ermöglicht es de facto jedem jungen Mann, daß er zwischen den Alternativen Wehrdienst und Zivildienst frei wählen kann. Obwohl das Grundgesetz also eine politische Ablehnung bestimmter Feindbilder, Kriegsarten und Waffen formal nicht als Gewissensentscheidung gegen den Wehrdienst wertet, läßt das Anerkennungsverfahren tatsächlich solche Beweggründe zu, kann sie zumindest kaum identifizieren und schon gar nicht ausschließen.
Der Verlauf der KDV Anträge seit 1968 stützte her die Vermutung, daß andere als Gewissensgründe entscheidend gewesen sind. In einigen Jahren der Verlaufskurve fallen extrem hohe Abweichungen auf. Deutlich sind Niveauverschiebungen etwa in den Jahren 1968, 1977,1983 und 1988 zu erkennen. Ab 1991 bewegen sich die Verweigererzahlen sogar auf einem Sockel, der ständig das Volumen des Jahres1990 verdoppelt - was nicht allein aus dem größeren Einzugsgebiet für Wehrpflichtige nach der deutschen Vereinigung erklärbar ist.
1968 (11.952 Anträge) verdoppelte sich die Zahl der Anträge im Vergleich zum Vorjahr. Damals beschäftigte sich die öffentliche Diskussion besonders intensiv mit dem Engagement der USA im Vietnamkrieg. Es formierten sich die sog. Außerparlamentarische Opposition (APO) und die sog. 68er Studentenbewegung.
1977 stieg die Zahl der Anträge wiederum auf ein Spitzenniveau von fast 70.000 - eine Zunahme von 215 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Hintergrund war die damals viereinhalb Monate lang geltende gesetzliche Regelung, sich quasi "per Postkarte" vom Wehrdienst abzumelden. Diese Liberalisierung des Anerkennungsverfahrens trieb die Zahl der Anträge verständlicherweise in die Höhe. Dieses Verfahren wurde deshalb schnell wieder abgeschafft.
1983 (68.334 Anträge) befand sich Deutschland mitten in der Nachrüstungsdebatte. Zudem konnten Kriegsdienstverweigerer noch damit rechnen, einen Zivildienst von gleicher Dauer wie beim Wehrdienst leisten zu müssen. Ab 1984 dauerte der Zivildienst dann jeweils ein Drittel länger.
1988 (77.068 Anträge) war abzusehen, daß die Bundesregierung eine Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate beabsichtigte, um den dramatischen Rückgang der Wehrpflichtigen Jahrgangsstärken aufzufangen. Damit wäre der Zivildienst von 20 Monaten auf zwei Jahre verlängert worden. Diese von Anfang an umstrittene Maßnahme mußte Bundeskanzler Kohl im Frühjahr 1989 wieder zurücknehmen.
Die Entwicklung der KDV Anträge in1991 (151.212 Anträge) läßt ahnen, wie sehr politische Beweggründe das Verweigererverhalten beeinflussen. Der Golfkrieg im Frühjahr1991, die Vereinigung Deutschlands und das Ende des Ost West Konflikts wie des Kalten Krieges haben hier gewiß Einfluß genommen.
Die Vorstellung - offiziell immer noch hochgehalten - Kriegsdienstverweigerung sei eine Gewissensentscheidung, wird durch diese Entwicklung sicher wenig gestützt. Sie steht aufrecht tönernden Füßen. De facto war Kriegsdienstverweigerung schon immer eine im weitesten Sinne politische Entscheidung. Obwohl Personen des öffentlichen Lebens beklagen(vor allem Politiker aller Couleur und hohe Militärs), das Gewissen degeneriere zunehmend, ist das Verhalten der jungen Männer im Grunde folgerichtige Konsequenz einer jahrelang öffentlich geduldeten Lebenslüge. Diese erscheint auch heute noch deshalb politisch opportun, weil hohe Verweigererzahlen letztlich erforderlich sind, um das ohnehin fragile System sozialer Vorsorge in Deutschland nicht völlig zusammenbrechen zu lassen.
Was an dieser Regelung besonders stört, ist die Tatsache, daß sich Kriegsdienstverweigerer in der sozusagen regierungsamtlich veröffentlichten Meinung auch heute noch in die moralische Ecke abgedrängt sehen. Wer sich heute gegen den Wehrdienst entscheidet, kann dieses nämlich nicht von vornherein sozusagen einfach erklären, sondern muß das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung mit seinen höchstrichterlich festgelegten, realitätsfremd hohen moralischen Anforderungen - letztlich staatlich geduldet - als Umweg nehmen. Die schwindende Glaubwürdigkeit des Staates hat sicher auch hier eine ihrer Ursachen: Welch moralische Integrität kann ein Staatfür sich beanspruchen, der diesen "Umweg" von seiner Jugend verlangt?
Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst: Selektive "Zwangsarbeit" am Grundgesetz vorbei? 23)
Artikel 12 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit der Berufswahl. Er schließt den Zwang zu einer bestimmten Arbeit aus, es sei denn, sie bestünde im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle (nämlich für Männer und Frauen) gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Daß junge Männer Wehrdienst und als Kriegsdienstverweigerer auch Zivildienst leisten müssen, ist neben der Zwangsarbeit bei einem gerichtlich angeordneten Freiheitsentzug die gegenwärtig einzige Ausnahme von diesem Verfassungsgebot. Der Zwangsdienst junger Männer in den Streitkräften oder im Zivildienst bleibt im Grunde genommen allein durch die militärische Abwehr äußerer Bedrohung gerechtfertigt, denn der Zivildienst gilt nach wie vor als Ableistung der Wehrpflicht aber ohne Waffen. Darauf hat kürzlich Bundespräsident Herzog ausdrücklich verwiesen: "Die vielfältigen Vorteile für Staat und Streitkräfte reichen aber meines Erachtens nicht als Begründung aus, ebensowenig wie wolkige Rufe nach mehr Pflichtgefühl der jungen Leute. Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. Es ist vor allem die Landes und Bündnisverteidigung und nicht die Beteiligung an internationalen Missionen, die Umfang und Struktur der Bundeswehr und die Beibehaltung der Wehrpflicht rechtfertigen."24)
Wer sich allerdings die zahlenmäßige Entwicklung der Plätze für Wehrpflichtige und für Zivildienstleistende anschaut, gerät eher ins Zweifeln.25) Zu Beginn des Jahres 1996dienten tatsächlich etwa 120.000 Grundwehrdienstleistende. Etwa 130.000 Zivildienstleistende waren bei den Zivildienststellen eingesetzt. Das gesamte Zivildienstsystem hielt sogar 175.000 Zivildienstplätze vor. Dazu kommen noch etwa 35.000 Freistellungen für die Polizei, für den Bundesgrenzschutz, für den Zivilschutz und für den Entwicklungsdienst. Insgesamt hält das gesamte Zivildienstsystem mithin 210.000 Ersatzplätze vor - wesentlich mehr Plätze als für den Grundwehrdienst.
Schleichend, so darf man hier vermuten, bewegen wir uns auf eine Aushöhlung des Grundgesetzes zu. Obwohl verboten, wird eine allgemeine Arbeitspflicht über den Umweg der Wehrpflicht de facto eingeführt. Wehrdienende und die "Ausnahme" Zivildienstleistende geraten zunehmend in ein ungesundes Verhältnis. Dieser Zwangssozialdienst ist in mehrfacher Weise selektiv. Er gilt zunächst nur für Männer und schließt damit den größeren Teil der deutschen Bevölkerung, nämlich die Frauen, aus. Und er gilt nur für wehrpflichtige junge Männer, d.h. für "Taugliche". Nur 70 Prozent der Männer eines Geburtsjahrganges sind wehrdienstfähig, weil der Rest aus verschiedenen gesundheitlichen und auch administrativen Gründen nicht tauglich ist.
Natürlich muß hier nicht zwangsweise ein kausaler Zusammenhang bestehen. Zumindest grundsätzlich ist die Vermutung zulässig, hier geht es um eine zufällige Parallelentwicklung zwischen Verweigerungsverhalten junger Männer auf der einen Seite und dem Bedarf an sozialen Arbeitsplätzen auf der anderen Seite.
Daß die Wehrpflicht benötigt wird, um auf dem Umweg über den Zivildienst preiswerte Arbeitskräfte für den sozialen Bereich zu schaffen, machte die im Oktober 1990 mit der Reduzierung der Wehrdienstzeit ebenfalls verfügte Verkürzung des Zivildienstes von damals 20 auf 15 Monate deutlich. Während die Trägerorganisation des Zivildienstes einen Pflege und Betreuungsnotstand befürchteten, stellte der damalige Bundesbeauftragte für den Zivildienst und heutige Generalsekretär der CDU, Hintze, in verblüffender Offenheit in Aussicht, vermehrt Wehrpflichtige einzuziehen, um die entstandenen Lücken im Zivildienst füllen zu können.26)
Hier wird eine bedenkliche Instrumentalisierung des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung für tagespraktische Rekrutierungsprobleme deutlich. Es ist deshalb nicht so sehr weit hergeholt, mißtrauisch zu vermuten, derPflegenotstand zwinge dazu, die allgemeine Wehrpflicht beizubehalten, weil man eben genügend Zivildienstleistende haben muß. Eine Pervertierung der eigentlichen gesetzlichen Absicht, nämlich daß dieser Staat nicht Wehrpflichtige in der Bundeswehr braucht, sondern Wehrpflichtige, die den Wehrdienst verweigern, um die jetzt schon vorgehaltenen Ersatzplätze auch tatsächlich zu füllen.
Was wäre, wenn...
das Kanzlerwort nicht mehr gälte, die Wehrpflicht - damit auch der Zivildienst - ausgesetzt würde oder gar völlig entfiele?
Freie und öffentliche Wohlfahrt
Man kann ermessen, in welche Schwierigkeiten die freie und öffentliche Wohlfahrtspflege in Deutschland und besonders die Budgets der freien Träger gerieten, würde man mit der allgemeinen Wehrpflicht auch den Zivildienst aufgeben.
Die derzeit von den etwa 130.000 Zivildienst leistenden betreuten Menschen müßten auf die bisher erbrachten Leistungen der Zivildienstleistenden verzichten.
In den Haushalten der freien Trägerwürde jährlich etwa eine Milliarde DM fehlen.
Opportunitätskosten
Die gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten würden nicht mehr anfallen, d.h. definitionsgemäß müßten sie an anderen Stellen der Gesamtwirtschaft als vergleichsweise höherer Nutzen anfallen.
Allerdings bereitet es einige Schwierigkeiten, die Höhe der Opportunitätskosten in Markund Pfennig zu belegen. Es gibt jedoch einige Schätzungen. Dieter S. Lutz veranschlagt in seiner jüngsten Veröffentlichung zu diesem Thema vom Juli dieses Jahres den Nutzenentgang der Wehrpflicht auf Beträge zwischen 4,2und 13,2 Milliarden Mark pro Jahr - er bezieht sich dabei auf unterschiedliche Literaturquellen.27)
Direkte Kosten - Ausgaben im Budget des Einzelplan 14, Personalausgaben
Würde die Wehrpflicht entfallen, müßten Wehrdienstleistende durch kurzdienende SaZ ersetzt werden (die besser motiviert sind, längere Stehzeiten in ihren Verwendungen haben und deshalb besser ausgebildet werden können).
Man darf von der Annahme ausgehen, daß bei einer Umstellung auf Freiwilligen Streitkräfte die "Kopf" Stärke der Bundeswehr nicht erhalten bleiben muß: Es muß nicht jeder Wehrpflichtige durch einen Freiwilligen ersetzt werden. Schon die Wehrstrukturkommission der Bundesregierung im Jahre 1973 unterstellte, daß acht Freiwillige zehn wehrpflichtige Soldaten ersetzen können, ohne die militärische Effektivität einzuschränken.
Dieses Substitutionsverhältnis von 1,25 Wehrpflichtige zu 1 Freiwilligem dürfte sich heute auf 2 verschoben haben. Das strategische Konzept der Vorneverteidigung und umfassenden Raumdeckung, das "eben am Ende ... (viele)... Menschen erforderlich macht"28),ist seit der Vereinigung Deutschlands und dem Zusammenbrechen des Warschauer Paktes gegenstandslos geworden. Der Schwerpunkt der Streitkräfte verlagert sich von "Masse" zu "funktionaler" Qualität.
Für die Bundeswehr schafft ein Freiwilliger mithin so gut wie zwei Wehrpflichtige. Ein Freiwilliger belastet die Staatskasse nach den Kostenstandards der Bundeswehr mit etwa48.000 Mark jährlich, zwei Wehrpflichtige bringen es zusammen immerhin auf 49.000 Mark- jeweils alle Nebenkosten eingerechnet. Hier wäre also bei gleichem militärischen Nutzen Ausgabenneutralität zu erwarten.
Allerdings würde der Mannschaftsbestand um die Hälfte sinken - unterstellt man eine tatsächliche Dienstantrittsstärke von 120.000Wehrdienstleistenden pro Jahr, würde dies eine Verringerung der Bundeswehr um 60.000Dienstposten bedeuten.
Dieter S. Lutz hat darauf verwiesen - und dies in Zahlen verdeutlicht - , daß bei geringerer Friedensstärke der Bundeswehr entsprechend weitere direkte Ausgaben des Bundes anteilig geringer ausfallen würden:
Einsparungen durch Reduzierung des Zivilpersonals
Einsparungen bei den Ausgaben für Materialerhaltung und Betrieb
Fortfall oder jedenfalls doch Einschränkung der Ausgaben für Wehrerfassung und Wehrüberwachung
Weil mit der Wehrpflicht natürlich auch der Zivildienst entfiele, würden die gesamten Ausgaben des Bundes für den Zivildienst entfallen. Lutz gibt diesen mit 2,3Milliarden Mark jährlich an.
Allerdings bleibt hier anzumerken, daß derartige direkte Einsparungen im Verteidigungsbudget unmittelbar zur Aufgabe von Arbeitsplätzen (Kreiswehrersatzämter, Bundesamt für den Zivildienst) und zu Kostenverlagerungen auf andere Teilhaushalte des Bundes (Bundesanstalt für Arbeit) führen würden. Dieser Effekt kann aber kein Argument zur Aufrechterhaltung der Wehrpflicht sein.
An Stelle einer Zusammenfassung
"Die Annahme, eine Wehrpflichtarmee sei billiger als eine Freiwilligen-Streitkraft, ist ... ebenso weit verbreitet wie falsch." Dieter S. Lutz
"Ist eine Freiwilligen Streitkraft billiger?"
Juli 1996, S. 39
"Die Wehrpflichtigen haben der Bundeswehr gutgetan, die Zivis vielen geholfen. Aber der Abschied von beiden ist unvermeidlich. Das Pfeifen im Walde hilft nicht mehr. Die Wehrpflicht kann und muß jetzt ruhen. Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei."
Christoph Bertram
"Soldat nur noch aus freien Stücken?"
"Die Zeit", 5.7.1996, S. 3
"Die Wehrpflicht, einst das legitime Kind des Kalten Krieges, würde illegitimes Kind einer Heil und Krankenpflege, die lieber auf Zwangsverpflichtete zurückgreift, als geeignetes Personal auf dem Arbeitsmarkt anzuwerben und zu entlohnen... Wenn Krankenhäuser Helfer brauchen, müssen sie sich ans Arbeitsamt wenden." Christoph Bertram
"Soldat nur noch aus freien Stücken?"
"Die Zeit", 5.7.1996, S. 3
"Die bundesdeutsche Gesellschaft ist gerade dabei, der Wehrpflicht den Boden zu entziehen. Der entscheidende Gesichtspunkt hierbei ist die Entwicklung Deutschlands zu einer Dienstleistungsgesellschaft. ... In dieser Umgebung ist die Wehrpflicht zum Anachronismus geworden. ... Eigentlich ist die Wehrpflichtlängst abgeschafft. Ihre Funktion wird nur aufrechterhalten, weil Staat und Gesellschaft auf die automatisch anfallenden Zivildienstleistenden nicht verzichten können." Hans Rühle
"Bundeswehr und Gesellschaft"
in: "Soldat und Technik" 10/1996, S. 619ff.
">Sie können sicher sein, daß unter Bundeskanzler Helmut Kohl die Wehrpflicht erhalten bleibt<, sagte Staatssekretär Bernd Wilz (CDU). Das derzeitige System sei kostengünstiger als andere Alternativen, gewährleiste die Landesverteidigung und bringe den Streitkräften intelligente, flexible Leute, die man für die Auftragstaktik benötige."
Oberst Gertz, Bundesvorsitzender des Bundeswehrverbandes
"Landesverteidigung ist ohne Wehrpflicht kaum vorstellbar"
"Die Bundeswehr" 10/96, S. 5
"Nicht so sehr die Bundeswehr braucht die Wehrpflicht, die Gesellschaft der Bundesrepublik braucht die Wehrpflicht". Oberst Gertz, Bundesvorsitzender des Bundeswehrverbandes
"Landesverteidigung ist ohne Wehrpflicht kaum vorstellbar"
"Die Bundeswehr" 10/96, S. 5
Anmerkungen
1) Wehrstruktur Kommission der Bundesregierung (1972/1973). Die Wehrstruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse und Optionen. Bericht an die Bundesregierung. Bonn, S.29
2) Ebenda
3) A.a.O., S. 78
4) Messerschmidt, Manfred. Der Mythos von der allgemeinen Wehrpflicht als dem legitimen Kind der Demokratie. Eine historische Analyse. In: Katholische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst. Wehrpflicht ohne Zukunft? Alternativen in der Diskussion. Köln: Rundbrief, Themenheft IV1990, S. 4 ff.
5) Süddeutsche Zeitung, 24./25.2.1996, S. 4
6) Jahresbericht 1995 der Wehrbeaufragten des Deutschen Bundestages, Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung, Bonn1996, Kapitel 6, Rahmenbedingungen für die allgemeine Wehrpflicht
7) Süddeutsche Zeitung, 2.3.1996, S. 5
8) Fernschreiben Pressezentrum Luftwaffe vom10.2.1996
9) Vgl. deren zusammenfassende Wertung in: Bericht des Vorstandes zur Mitgliederversammlung (der Zentralstelle KDV) am 11. November1995 in Eisenach, in: Zentralstelle KDV, Der Widerstreit zwischen Wehrpflicht und Gewissen, Dokmentation einer Fachtagung, Bremen März 1996, S. 37 ff. sowie ausführlicher: Wehrpflichtarmee - Freiwilligenstreitkräfte. Ein Vergleich. Zentrum Innere Führung, Arbeitspapier 1/94, Koblenz, Dezember 1993
10) 120.000 Wehrpflichtige kosten 2.938Milliarden DM, während gleich viele Zeitsoldaten etwa DM 5.76 Milliarden DM erforderlich machten. Zugrunde liegen die Personalkostenstandards des BMVg FÜS VI 5 von 1996 für wehrpflichtige Mannschaften von jährlich DM24.483.-- und für freiwillige Mannschaftsdienstgrade von durchschnittlich DM 48.000.--pro Jahr.
11) Der Wandsbeker Kreis ist ein Diskussionsforum von Volkswirten an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Wandsbek. Vgl. Wandsbeker Kreis, Ökonomische Überlegungen zu einer Reform der Bundeswehr: Von der Ineffizienz der Wehrpflicht. In: Eckardt Opitz, Frank S. Röder (Hrsg.), Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte, Probleme, Perspektiven. Bremen1994, S. 170 ff. Vgl. ebenfalls mit weitgehend identischer Argumentation Jürgen Kuhlmann / Ekkehard Lippert, Wehrpflicht ade?, SOWI-- Arbeitspapier Nr. 48, München März 1991.
12) Oettle, Karl, Opportunitätskosten mangelhafter oder fehlender Verteidigungsbereitschaft. In: Guss, Kurt (Hrsg.), Der Mensch im Mittelpunkt der Militär-- Ökonomie, Festschrift zum fünfundsechzigsten Geburtstag von Günter Kirchhoff, Koblenz 1987, S. 313 ff.
13) Zu den gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten vgl. vor allem Krelle, Wilhelm. Volkswirtschaftliche Kosten und Belastung des Bundeshaushalts durch Freiwilligen-- Streitkräfte. In: Wehrstruktur-- Kommission der Bundesregierung 1972/73, S. 357 ff. sowie Ehlert, Wolfgang, Die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland im Blickpunkt aktueller Entwicklungen. Eine Darstellung der Argumente für und wider die Wehrpflicht. Koblenz 1990:Zentrum Innere Führung [ZInFü], Arbeitspapiere, S. 10 f. und Zumpfort, Wolf-- Dieter, Wehrpflicht versus Freiwilligenarmee. Zur Oekonomik der Wehrstruktur. Wirtschaftsdienst 1973,Heft 4, S. 203 ff.
14) 24 Tage entfallen auf den Mindesturlaub nach dem BUrlG, etwa 14 Tage gehen für Einstellungs-- und Entlassungsmodalitäten verloren, mindestens 30 Arbeitstage werden für die Grundausbildung verbraucht
15) Stabilization Force zur Durchsetzung des Friedensabkommens von Dayton.
16) Allerdings mit dem Hinweis, daraus doch bitte keinen Rechtsanspruch abzuleiten. Das Grundgesetz lasse in Artikel 87 den Einsatz von Wehrpflichtigen ausdrücklich zu.
17) Die seit 1989 geltende Regelarbeitswoche für Soldaten-- auch der Freiwilligen - sowie der bei Mehrarbeit zu gewährende Dienstzeit-- bzw. Geldausgleich haben zu einer Verknappung militärischer Arbeitskraft geführt. Mit Erstaunen kann man seitdem erkennen, daß die
Bundeswehr zu einem sparsameren Umgang mit ihrer manpower übergeht. Allzu üppiger Zeitausgleich für Mehrarbeit zehrt jetzt nämlich an den Restarbeitstunden, die für den eigentlichen militärischen Auftrag zur Verfügung bleiben müssen. Finanzielle Ausgleichszahlungen stoßen recht schnell an die Grenzen knapper Haushaltsmittel.
18) Wortprotokoll der 40. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit des Deutschen Bundestages, Drucksache 11/1942 (Bonn: Deutscher Bundestag,1988), S. 12
19) Jürgen Blandow, Zivildienstleistende als Personalgruppe des Wohlfahrtswesens. Ergebnisse einer regionalen Arbeitsmarktstudie. In: Reinhard Becker und Gerhard A. Hoffmann, Ein Anlaß zum Jubeln? 25 Jahre Zivildienst in der Bundesrepublik Deutschland. In: Zivildienst und Militärersatzdienst. Hrsg. EAK, Bremen1988 S. 77. Cornelius Kraus, Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des Zivildienstes (Darmstadt: TU, 1988)
20) Vgl. Jürgen Blandow, Wenn es keinen Zivildienst mehr gäbe.... Zu den Erträgen, Kosten und dem Wiederbeschaffungswert wegfallender Zivildienstleistender, 4/3, Fachzeitschrift zu Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienst und Zivildienst, Mai 1994, S. 63 ff.
21) Seit Beginn des Zivildienstes gab es immer mehr Zivildienstplätze als Zivildienstpflichtige. Bis 1984 wurden allerdings nur etwa zwei Drittel der Antragsteller - oft in jahrelangen Verfahren - anerkannt. Zum ersten Mal in 1984 und seitdem ständig (mit Ausnahme von 1991) übersteigt sogar die Zahl der vorgehaltenen Zivildienstplätze die der tatsächlich dienenden Zivildienstleistenden.
22) Vgl. Zum folgenden Jürgen Kuhlmann, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst in Deutschland - Anspruch und Realität, in: Theodor Heuss Akademie (Hrsg.), Wehrpflicht- oder Berufsarmee? Die Zukunft der Bundeswehr, Gummersbach 1993, S. 102 ff. Vgl.
23) Zum folgenden Jürgen Kuhlmann, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst in Deutschland - Anspruch und Realität, in: Theodor Heuss Akademie (Hrsg.), Wehrpflicht-- oder Berufsarmee? Die Zukunft der Bundeswehr, Gummersbach 1993, S. 105 ff.
24) Roman Herzog, Vierzig Jahre Bundeswehr -Bilanz und Perspektiven, 35. Kommandeurtagung der Bundeswehr in München am 15. November1995.
25) Zu den Zweiflern gehört offenkundig auch Christoph Bertram: Ginge es nur nach Effizienz, ließe sich auch eine Dienstpflicht für Polizisten und Krankenschwestern mit denselben guten Argumenten durchsetzen, wie sie für die Wehrpflicht vorgebracht werden. Soldat nur noch aus freien Stücken?, DIE ZEIT5.7.1996, S. 3
26) Daß Herr Hintze mit seiner Einstellung nicht völlig allein steht, belegt ein Interview der SPD-- MdB Christine Kurzhals in der Wochenpost (vom 15.2.1996, S. 9.). Auf die Frage Wehrpflicht abschaffen oder nicht? : Es geht auch darum, daß junge Männer (sic! Anm. Verf.) etwas für das Gemeinwohl leisten müssen. Wenn wir den Wehrdienst abschaffen, stehen viele Verbände ohne Zivildiensleistende da.
27) Ist eine Freiwilligen-- Streitkraft billiger? In: Jürgen Groß/Dieter S. Lutz (Hrsg.), Wehrpflicht ausgedient? Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Hamburg Juli 1996, S. 39
28) Vgl. Krelle, a.a.O., S. 357
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