1957 - 1982 25 Jahre Zentralstelle KDV
Die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. 1957 bis 1982
Helmut Donat, Günter Knebel, Karl-Ludwig Sommer, Peter Tobiassen
Am 2. März 1957 trafen sich die Mitglieder des Deutschen Ausschusses für Wehrdienstverweigerungsfragen im Sozialpädagogischen Seminar Dortmund, der Wirkungsstätte von Prof. Siegmund-Schultze. Ein Punkt der Tagesordnung lautete: Konstituierung der »Deutschen Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen«. In der von den Vertretern der elf Organisationen (1) einstimmig angenommenen Satzung (2) wurde »nochmals festgestellt, dass es nicht Aufgabe der Zentralstelle ist, Propaganda für die Kriegsdienstverweigerung zu treiben«. Man wollte vielmehr Wehrpflichtige über die gesetzlichen Bestimmungen der Kriegsdienstverweigerung aufklären, da die zuständigen Behörden der Bundeswehrverwaltung keine entsprechende Informationsarbeit leisteten (3). Als erster Schritt wurde die Broschüre »Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung -- Richtlinien zur rechtlichen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in der Bundesrepublik Deutschland« erarbeitet, die den Mitgliedsverbänden und den der Zentralstelle bekannten Beratern zur Verfügung gestellt wurde. Die Richtlinien gaben Auskunft darüber, »was ein Wehrpflichtiger in der Bundesrepublik zu beachten und zu erwarten hat, wenn er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden will« -- einerseits über die gesetzlichen Bestimmungen zur Erfassung und Musterung des Wehrpflichtigen, zum Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, zu Prüfungsausschuss- und Prüfungskammerverfahren, zu Rechtsmitteln und zur Wehrüberwachung, andererseits über den vorgesehenen Ersatzdienst für Kriegsdienstverweigerer. (4)
Dass die Behörden zwar für den Dienst in der Bundeswehr warben, aber keine Informationen über das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gaben, hing offenbar mit der Befürchtung zusammen, die Zahl der Kriegsdienstverweigerer könnte bis zu 30 % der Wehrpflichtigen eines Jahrganges ausmachen (5). Diese Zahl hatte einen hohen politischen Stellenwert -- war sie doch als eine Aussage der Betroffenen über Zustimmung oder Ablehnung der gerade eingeführten Wehrpflicht anzusehen. Es war daher auch nicht verwunderlich, dass es zum Streit über die ersten Zahlen der Antragsteller kam. Während die Wehrbehörden behaupteten, lediglich 140 von 100000 Wehrpflichtigen hätten einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt, wussten die KD V-Verbände und Beratungsstellen aus ihrer Arbeit von erheblich mehr Kriegsdienstverweigerern zu berichten (6). Erst später erhielt der Vorsitzende der Zentralstelle auch von den Prüfungsbehörden Informationen, dass von 80000 tauglich gemusterten Wehrpflichtigen mindestens 3 500 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt hatten (7).
Wenn auch der Anteil der Kriegsdienstverweigerer an den Wehrpflichtigen eines Jahrganges bis heute immer wieder zu politischen Diskussionen Anlass gibt, war von Beginn an die eigentliche Problematik der KD V-Verfahren in der Überprüfung der Gewissensentscheidung durch die Ausschüsse und Kammern der Wehrbehörden zu suchen.
Über einen für jene Zeit bezeichnenden Fall aus dem Jahre 1957, der sich im Prinzip noch heute ähnlich abspielen könnte, berichtete die vom Deutschen Zweig der Internationale der Kriegsdienstgegner herausgegebene »Dokumentation zur Kriegsdienstverweigerung« im Herbst 1957 (8):
»Horst B. trat am l. Oktober als Freiwilliger und Offiziersanwärter bei der Bundeswehr ein (der Ausdruck »Freiwilliger« ist hier freilich, wenn man bedenkt, dass das Wehrpflichtgesetz bereits in Kraft getreten war und B. dem der Rekrutierung unterworfenen Jahrgang 1937 angehört, seines Sinnes entkleidet). Seine Einstellung erfolgte beim Pz. Jag. Lehr. - Btl. in Bremen - Grohn. Am l. Februar 1957 wurde er zum Gefreiten befördert. Einen Monat später trat er der Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) bei, nachdem er mehrmals ohne Urlaub den Zapfenstreich überschritten hatte und kündigte Ende März seinen Dienstvertrag mit der Bundeswehr zum 30. April 1957. Als ihm eröffnet worden war, dass er nicht entlassen werden würde, sondern seinen restlichen Grundwehrdienst abzuleisten hätte, suchte er mit Schreiben vom 27. April 1957 um die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach. Dabei berief er sich nicht auf religiöse Gründe im streng kirchlichen Sinne, sondern auf die allgemeine christliche Anschauung und auf die Grundsätze der Ethik. Der Krieg bringe soviel Elend und Leid, dass er sich mit seinem ganzen Sein dagegen auflehne, durch seine eigene Mitwirkung dazu beizutragen. Er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, auf Menschen zu schießen. Auch aus rein verstandesmäßigen Gründen ergeben sich für ihn die Sinnlosigkeit und das Verbrecherische des Krieges. Als B. versuchte, die Kaserne zu verlassen, wurde er festgenommen und am 20. Mai 1957 wegen versuchter Fahnenflucht zu vier Wochen Jugendarrest verurteilt. Diese Strafe hat er verbüßt. «
Der zuständige Prüfungsausschuss beim Kreiswehrersatzamt Bremen erkannte B. \'s Antrag auf Kriegsdienstverweigerung im Sommer 1957 an. In dem Bescheid wurde ausgeführt:
»Nach § 25 WG ist ein Wehrpflichtiger berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, wenn er sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt. Bei dem Antragsteller liegen diese Voraussetzungen vor. Sein freiwilliger Eintritt in die Bundeswehr kann zwar zu der Annahme verleiten, dass ihn nicht Gewissensgründe zur Verweigerung des Kriegsdienstes veranlasst haben, sondern dass er den Dienst bei der Bundeswehr als unbequem und lästig empfand, weil er sich nicht in die straffe militärische Ordnung und in das Gemeinschaftsleben einfügen konnte. Der Antragsteller hat aber im einzelnen darzulegen vermocht, dass sich während des Dienstes in der Bundeswehr bei ihm Gewissensgründe im Sinne des § 25 WG gebildet haben. Seine Ausführungen, dass er durch den Dienst bei der Bundeswehr und durch die Gespräche mit seinen Kameraden zu der Auffassung gekommen sei, er müsse den Wehrdienst ablehnen, weil dieser der Vorbereitung zum Kriege diene, erschienen dem Ausschuss glaubwürdig. Das bisherige Verhalten des Antragstellers zeigt, dass aus seiner freiwilligen Meldung zur Bundeswehr ein gegenteiliger Schluss nicht gezogen werden darf«. Der Ausschuss zieht dabei auch in Betracht, »dass er in seinem bisherigen Leben schon wiederholt einen sprunghaften und unbeständigen Charakter gezeigt bat« und stellt -- nachdem der frühere Lehrer und der vorgesetzte Bundeswehr-Hauptmann als Zeugen gehört worden waren (B. selbst hatte einen Rechtsanwalt als Beistand) -- abschließend fest: »Der Ausschuss ist demgemäß unter Berücksichtigung aller Umstände zu der Auffassung gelangt, dass bei dem Antragsteller echte Gewissensgründe in Sinne des § 25 WG vorliegen. Er hat deshalb anerkannt, dass der Antragsteller berechtigt ist, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern mit der gesetzlichen Folge, dass er für den zivilen Ersatzdienst zur Verfügung steht«.
Das Kreiswehrersatzamt Bremen I legte am 18. Juni Widerspruch ein und reichte am 26. Juni eine Begründung nach, in der das Verhalten B. \'s als widersprüchlich bezeichnet und aus dieser Eigenschaft gefolgert wird, dass keine echten Gewissensgründe vorliegen könnten. Daraufhin befasste sich in einer Sitzung am 12. 7. 1957, die zehn Stunden dauerte, die Prüfungskammer für Kriegsdienstverweigerer in Hannover mit dem Fall B., der mit dem Vorsitzenden der Landesgruppe Bremen der Internationale der Kriegsdienstgegner, Detlef Dahlke, als Verfahrensbevollmächtigtem erschien. Er hatte die Vorladung von acht Zeugen beantragt. Soweit diese nicht selbst erschienen, wurde ihre schriftliche Aussage in der Verhandlung verlesen. Von der Kammer wurden außerdem sieben weitere Zeugen zur Aussage herangezogen, deren Berücksichtigung zum Teil vom Kreiswehrersatzamt gefordert worden war. Bemerkenswert ist, dass keiner dieser fünfzehn Zeugen die Glaubwürdigkeit der Gewissensentscheidung B. \'s in Zweifel zog. Dennoch entschied die Kammer, im Gegensatz zur Auffassung des Ausschusses, dass bei B. keine echten Gewissensgründe vorlägen. Sie stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass die Entscheidung des Prüfungsausschusses »letzten Endes entscheidend allein auf der Aussage des Zeugen Hauptmann Seh. «, des militärischen Vorgesetzten von B., beruhe. Seh. habe sich aber widersprochen. . . . A außerdem sei die Prüfungskammer in eigener umfangreicher Beweiserhebung zu dieser Auffassung gelangt. »Den eigenen Einlassungen des Wehrpflichtigen konnte mangels Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit keine ausschlaggebende Bedeutung zuerkannt werden«. Sein Verhalten, seine »Freiwilligmeldung« insbesondere, wird als widersprüchlich bezeichnet. Durch die Tatsache, dass er sich das Abzeichen der Internationale der Kriegsdienstgegner, das zerbrochene Gewehr, eines Tages an seine Bundeswehruniform geheftet habe, habe er »die Frage seiner Wehr- und Kriegsdienstverweigerung ins Ironisch-Lächerliche hinabgezerrt«. Zusammenfassend stellt der Widerspruchsbescheid der Kammer fest: »Der KDV-Antrag ist hiernach von der Prüfungskammer nicht als Folgerung und Ausdruck einer echten und tiefen Gewissensentscheidung des Wehrpflichtigen in der Wehr- und Kriegsdienstverweigerungsfrage, sondern als eine reine Zweckmäßigkeitsmaßnahme gewertet worden, von einem als lästig empfundenen und nutzlos gewordenen Wehrdienst möglichst schnell freizukommen. Die Zweifel an einer echten Gewissensentscheidung des Wehrpflichtigen, die nach der Beweisaufnahme und den sonstigen Verfahrens- und Verhandlungsergebnissen der Prüfungskammer bestehen bleiben mussten und nicht unerheblich waren, mussten bei der Entscheidung der Prüfungskammer entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des Wehrpflichtigen zu dessen »Lasten gehen«. Der Wehrpflichtige hat ein Grundrecht in Anspruch genommen. Die erfolgreiche Inanspruchnahme eines Grundrechts ist aber, wie auch sonst bei Inanspruchnahme eines anderen Rechtes, nur möglich, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dieses Rechtes in vollem Umfange bejaht werden können und müssen. Solange dies aber nicht der Fall ist, kann ein Recht, insbesondere auch ein Grundrecht, nicht mit Erfolg vertreten werden. -- Nach allem musste die Entscheidung des Prüfungsausschusses für Kriegsdienstverweigerer beim Kreiswehrersatzamt Bremen aufgehoben und der Antrag des Wehrpflichtigen auf Anerkennung seiner Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, als unbegründet zurückgewiesen werden. . .
B., dessen Grundwehrdienst am 30. 9. 57 abgelaufen ist, wurde nach dem Widerspruchsbescheid zur Ableistung des Militärdienstes gezwungen. Er verweigert weiterhin den Dienst mit der Waffe, wurde aber auf strengen Sonderbefehl seines Kommandeurs gezwungen, am Scharfschießen teilzunehmen. Vom 9. bis 30. August erhielt er eine Arreststrafe, der eine verschärfte Ausgangsbeschränkung bis 19. September folgen soll. Es dürfte sich dabei um den ersten Fall von Freiheitsentziehung wegen Kriegsdienstverweigerung in Deutschland seit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes handeln. «
Das Vorgehen der Prüfungsinstanzen, auch in den vielen Verfahren für bislang ungediente Kriegsdienstverweigerer, bestärkte den Eindruck, dass die Freiheit der Gewissensentscheidung durch einen einengenden Grundrechtsbegriff willkürlich eingeschränkt wurde, zumal Kreiswehrersatzämter häufig den anerkennenden Bescheiden von Ausschüssen und Kammern widersprachen. Gleichzeitig häuften sich in der Öffentlichkeit Diffamierungen der Kriegsdienstverweigerer als Außenseiter und Drückeberger. Am 12. März 1959 äußerte sogar Bundespräsident Heuss in einer Rede vor Offizieren der Bundeswehr: »Die Situation von damals (9) will ich nicht vertiefen. Aber zu dem Unfug der alliierten Sieger, den deutschen Berufssoldaten als solchen zu einer Art nichtswürdigen Verbrecher zu erklären -- die Gescheiten unter den anderen haben längst die Missgeburt des Kriegshasses als solche erkannt -- kam unter Berufung auf die Staatsverfassung das »ohne-mich« Gerede auf. Aus den Reden wurden Verbände, Büros, Sekretäre -- das achtbare Individualethos, etwa aus religiösen Gründen, war in Mitgliedsbeiträgen bei Verbänden ausgelöscht -- das »ohne-mich« aber ist die Zerstörung aller demokratischen Gesinnung. Ich hoffe, mein Eindruck täuscht nicht . . .: die Geschichte des »ohne-mich« Geredes ist vorbei.« (10)
Der Vorsitzende der Zentralstelle, Prof. Siegmund-Schultze, antwortete Heuss mit einem offenen Brief, der freilich ein erheblich weniger starkes Echo fand als die Äußerung des Bundespräsidenten:
»Ich will hier nicht die Frage aufwerfen, ob der Bundespräsident, der ein Hüter der Verfassung ist, sich in dieser Weise von einem Grundartikel der Verfassung distanzieren kann . . . aber zu der Sache selbst, zu der das Volk sich feierlich bekannt hat, muss ich auf Verlangen einiger Gesinnungsfreunde einige Worte sagen:
Nach unserer Meinung steht es im krassen Widerspruch zu dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, wenn Sie die darauf gegründete Stellungnahme der deutschen Kriegsdienstverweigerer im ganzen und eindeutig mit dem Worte »ohne-mich-Gerede« abtun. Etwas mehr Achtung vor der Gewissensentscheidung deutscher Staatsbürger, die sich im Einklang mit der Verfassung befindet, dürfen wir doch wohl nach der Überwindung des nationalsozialistischen Irrtums in unserem Volke von unserm Staatsoberhaupt erwarten. Sie fahren fort, indem Sie behaupten, dass aus jenem Gerede Verbände, Büros und Sekretäre hervorgewachsen seien. Es scheint Ihnen nicht bekannt zu sein, dass diese mit wenigen Ausnahmen schon längst vor jenem Paragraphen der Staatsverfassung . . . vorhanden waren. Es ist umgekehrt gewesen als Sie sagen, nämlich so, dass der Artikel des Grundgesetzes, der das Recht der Kriegsdienstverweigerung statuiert, aus den Anschauungen jener Verbände hervorgewachsen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben bekanntlich diese Gedanken im ganzen Volke einen großen Auftrieb erfahren, der freilich in unserer schnelllebigen Zeit allzu schnell vergessen worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat immerhin noch im Jahre 1949 diese Verbände mit feierlichen Segenswünschen zu ihrem Kongress in Münster begrüßt. Aber auch in den letzten Jahren ist den von Alters her bestehenden Kriegsdienstverweigerer-Verbünden von amtlicher Seite oft bezeugt worden, dass sie in ihrem Verhalten eine Disziplin bewiesen haben, wie sie den gegen sie stehenden Verbänden und Rednern nicht immer zu eigen gewesen ist. Zu der von Ihnen ausgesprochenen Zukunftserwartung kann ich Ihnen sagen: Schon heute ist ein Krieg, der mit den heutigen Waffen geführt wird -- und fast alle Sachverständigen der Kriegsführung und der Politik sind der Meinung, dass ein Krieg heute mit Atomwaffen geführt werden muss -- eine Angelegenheit, bei der alle Bürger eines Krieg führenden Landes, ob sie wollen oder nicht, zu einer Rolle verurteilt sind, bei der ihnen jede Entscheidung über ein »mit-mir« oder »ohne-mich« abgenommen ist.
Wenn die Atomgranaten über Bonn oder Magdeburg platzen . . . dann ist sowohl für Zivil wie Militär der Zustand des »ohne-mich« tatsächlich gegeben . . . Weil die heutige Jugend instinktiv erkennt, dass der Untergrund der heutigen Kriegsbereitschaft der Völker brüchig ist, hat sie eine ganz andere Stellung zum Soldaten turn und zum Kriegsdienst, als in den offiziellen Mitteilungen über Kriegsdienst und Kriegsdienstverweigerung in Erscheinung tritt . . . Die Zahl derer, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst ablehnen, ist zweifellos gewachsen . . . Ein wesentlicher Teil der jungen Menschen, die zum Entschluss der Kriegsdienstverweigerung kommen, erkennt im jugendlichen Alter besser die Situation, die in der Geschichte der Menschheit eingetreten ist, als die ältere Generation, die zwar nicht mehr an den frischen, fröhlichen Krieg glaubt . . . wohl aber auf die alten Begriffsschemata festgelegt ist, denen zufolge, ganz gleich, was dabei herauskommt, einem Angriff mit Atomwaffen durch eine Verteidigung mit Atomwaffen begegnet werden muss. Die junge Generation hat es offenbar leichter, zu erkennen, dass diese Regelung Wahnsinn ist, dass sie den Selbstmord der Menschheit bedeutet« (11).
In seiner Antwort hob Heuss zunächst hervor, dass er »auf die so genannten \'offenen Briefe\'...nie zu antworten« pflege, er aber aus Achtung vor der Lebensarbeit Siegmund-Schultzes einmal eine Ausnahme machen wolle. Sodann bezeichnete er Siegmund-Schultzes Äußerungen als »emotionale oder sentimentale Angriffe« und hielt ihm »anklagendes Pathos« vor, um dann auf seine »alte Position« zu verweisen, dass für die religiös motivierten Kriegsdienstverweigerer »Sondergesetze, wie in den angelsächsischen Ländern« genügten. Heuss schloss mit den Worten: »Schmerzliche Folge ist nun die, dass ihr \'offener Brief -- ich will es sorgsam ausdrücken -- nur einen limitierten Grad der Wahrheit enthält.« (12)
Dieser Vorgang dokumentierte einen Wandel der öffentlichen Meinung. Heuss, dessen Vorstellungen zur Kriegsdienstverweigerung im parlamentarischen Rat keine Chance gehabt hatten, vertrat zehn Jahre später als höchster Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland noch immer seine alte Meinung, die fernab davon war, den Auftrag des Grundgesetzes ernst zu nehmen. Nur mit dem Unterschied, dass seine damalige Minderheitsposition -- nicht zuletzt mit Hilfe der Medien und anderer Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung -- zur »herrschenden Meinung« erhoben worden war.
Die Zentralstelle musste aber nicht nur immer wieder derartigen Diffamierungen entgegentreten. Von Anfang an war sie auch gezwungen, gegen die Auffassung zu protestieren, es sei Aufgabe der Prüfungsinstanzen, die Antragsteller von ihrer Entscheidung wieder abzubringen. (13) Hier lag in den ersten Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Schon die Information und Beratung der Kriegsdienstverweigerer durch kirchliche Beistände und KDV-Verbände wurde von den Wehrbehörden abgelehnt. Insbesondere die Anwesenheit eines Rechtsbeistandes in der Prüfungsverhandlung, der den Kriegsdienstverweigerer dabei unterstützte, seine Entscheidung vorzutragen, veranlasste einige Prüfungsausschussvorsitzende, den Ausschluss der Rechtsbeistände zu betreiben. Man bediente sich dabei des »Gesetzes zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiet der Rechtsberatung« aus dem Jahre 1935 (14), in dessen Durchführungsverordnung damals unter anderem festgehalten worden war: »Juden wird die Erlaubnis (zur Rechtsberatung, d. Verf.) nicht erteilt. « Zwar war diese Bestimmung mit dem Zusammenbruch des Naziregimes hinfällig geworden, das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz aber hat bis heute in modifizierter Form seine Gültigkeit behalten. Unter Berufung auf dieses Gesetz verlangte man von den Beiständen eine »amtliche Erlaubnis zur Rechtsberatung«. Erst nach Protesten und nach Vorlage einiger Gutachten (15) gelang es, sich dieser Praktiken zu erwehren. Im Oktober 1961 stellte das Landgericht Stuttgart erstmals fest, dass ein Prüfungsausschuss nicht berechtigt sei, einen als Beistand auftretenden Pfarrer wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz zurückzuweisen (16). Da eine grundsätzliche Regelung für Beistände auf gerichtlichem Wege nicht erzielt werden konnte, wurde bei der dritten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes 1965 ein eigener Absatz in § 26 aufgenommen, der die Zulassung von Beauftragten der Kirchen und Religionsgemeinschaften sicherstellt, soweit diese Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Andere Beistände, insbesondere aus den KDV-Verbänden, bleiben weiter ausgeschlossen. Noch im Jahre 1973 erstattete ein Wehrbereichskommando insgesamt 88 Anzeigen gegen Mitglieder von DFG-IDK und VK, weil sie in Veröffentlichungen Beratungsstellen genannt und »Rechtsberatung« angeboten hätten. Zudem würden in Veranstaltungen der Verbände »Gewissensgründe« eingepaukt. Obwohl es sich hier allenfalls um Ordnungswidrigkeiten handelte, wurden die Ermittlungen von den Staatsschutzdezernaten der Staatsanwaltschaften und den Kommissariaten für »politische Strafsachen« der Kriminalpolizei übernommen. Dabei kam es sogar zu Hausdurchsuchungen in Geschäftsstellen der KDV-Verbände. Die Verfahren wurden jedoch schon bald nach starkem öffentlichem Protest eingestellt, zumal die von der Wehrbereichsverwaltung erhobenen Beschuldigungen juristisch unhaltbar waren. Dass diese Serie von Strafanzeigen eine »politische Aktion auf Wunsch der Bundeswehr« (17) war, blieb unwidersprochen.
Die Verschärfungen und Willkürmaßnahmen der Gewissensprüfung waren ein ständiges Thema der Zentralstelle. Trotzdem war ihre Abschaffung in den sechziger Jahren noch keine zentrale Forderung. Die grundsätzliche Problematik, ob es in einer Demokratie überhaupt rechtens sein könne, die Anerkennung der Gewissensentscheidung eines Bürgers von ihrer Überprüfung durch Staatsorgane abhängig zu machen, wurde in der Zentralstelle ebenfalls nicht diskutiert. Man ging vielmehr davon aus, dass die Schwierigkeiten mit dem Prüfungsverfahren durch dessen »Vereinfachung« behoben werden könnten, wobei eine Herauslösung aus dem Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministeriums, die Auswahl qualifizierter Beisitzer und der Verzicht auf unsachliche Befragungsmethoden als Möglichkeit zur Behebung der dringendsten Notstände angesehen wurden.
Daneben galt die besondere Aufmerksamkeit der Zentralstelle in den späten fünfziger und den sechziger Jahren der Gesetzgebung über den Ersatzdienst der Kriegsdienstverweigerer. Bereits vor Gründung der Zentralstelle hatten die »Mülheimer Empfehlungen« (18) einen entscheidenden Impuls gegeben.
Die Diskussion im Parlament und die Gespräche zwischen Behörden, Abgeordneten und den so genannten »interessierten Kreisen«, insbesondere den Kirchen, den Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und den in der Zentralstelle zusammengeschlossenen KD V-Verbänden, dauerten mehr als drei Jahre, bis im Januar 1960 das erste Gesetz über den zivilen Ersatzdienst in Kraft trat. Ein weiteres Jahr verging, bis im April 1961 die ersten Kriegsdienstverweigerer zum Ersatzdienst herangezogen wurden.
Auch nach den »Mülheimer Empfehlungen« wurde weiter sehr kontrovers über die Einführung des Ersatzdienstes und dessen Einbeziehung in die Wehrgesetzgebung diskutiert. Zu einer Mitgliederversammlung der Zentralstelle am 3.2.1958 wurde Dr. Nikolaus Koch, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sozialpädagogischen Seminars Dortmund, als fachkundiger Referent eingeladen. Im Protokoll dieser Versammlung heißt es dazu:
»Dr. Koch folgert aus Art. 4,3 des Grundgesetzes, dass niemand zur Ableistung des Ersatzdienstes gezwungen werden kann und demnach die Auf gäbe der Zentralstelle darin bestehe, den von ihm festgestellten 6. Gewissensfall (19), die unmilitärische Verteidigung, das Nein zum Militär- und Ersatzdienst gegenüber den Bundesbehörden zu vertreten. Der Referent stellt fest, dass der 6: Gewissensfall in manchen Kreisen sehr ernst diskutiert wird. Er bezweifelt, dass die Zentralstelle auf die Dauer den Schutz der Kriegsdienstverweigerer übernehmen kann, wenn sie sich nicht in dieser Frage einsetzt. Sie würde letztlich nur eine Organisation zum Schütze der Ersatzdienstpflichtigen sein. Man muss die Tatsache gelten lassen, dass der Ersatzdienst ebenso wie der Militärdienst abgelehnt wird. Das »Ja« zum Ersatzdienst geschieht unter der Voraussetzung der Anerkennung des Wehrpflichtgesetzes. H. H. Köper (20) bestätigt, dass diese Vorstellung allgemein im Wachsen begriffen ist. In der Praxis aber ist es unmöglich, diesen 6. Gewissensfall von Organisationen tragen zu lassen. Das aber habe der Referent von der Zentralstelle gefordert. Damit würde sich aber jede Organisation in Widerspruch zu Staatsgesetzen stellen.
In seinem geschichtlichen Überblick über die Entstehung des »Alternativdienstes« in den verschiedenen Ländern weist der Präsident (21) der Zentralstelle nachdrücklich daraufhin, dass es gegolten habe, etwas Positives an die Stelle des Kriegsdienstes zu setzen. Man habe sich damals vor die Frage gestellt gesehen: »Wie können wir die Kriegsdienstverweigerer vor dem Tode retten? « Insofern war der Alternativdienst damals geradezu die größte Hilfe für die Sache der Kriegsdienstverweigerer. Das Grundgesetz der Bundesrepublik hat einen weiteren Schritt getan, indem es den Kriegsdienstverweigerer grundsätzlich zu seiner Haltung berechtigte. Da ist auch nach unserer Meinung kein »Ersatz« mehr zu verlangen. Hierzu bemerkt Dr. Koch, dass der Ersatzdienst in bestimmten Zeiten richtig motiviert war. Heute aber, da Deutschland überhaupt nicht mehr militärisch zu sichern sei, müsse den verantwortlichen Stellen in aller Eindeutigkeit gezeigt werden, dass von unten herauf eine Revolution im Wehrdenken entstehen kann. Dr. Koch sieht es nicht als Aufgabe der Zentralstelle an, 5 von den 6 Gewissensfällen zu vertreten. Der 6. Gewissensfall ist notwendige Konsequenz bei der heutigen Situation. Es geht um die Korrektur des öffentlichen Bewusstseins.
Der Präsident stellt fest, dass die Stellung der Zentralstelle zu dem Gesamtfragenkomplex immer eindeutig gewesen ist. In den Empfehlungen der Zentralstelle wird in der Einleitung gesagt, dass nach Auffassung der Zentralstelle diejenigen, die das Grundrecht einer Gewissensverweigerung des Kriegsdienstes für sich in Anspruch nehmen, nicht zu einer Ersatzleistung für einen Dienst gezwungen werden dürfen. Nachdem aber durch das Wehrpflichtgesetz ein ziviler Ersatzdienst rechtens geworden ist, versucht die Zentralstelle, nach Kräften zu einer möglichst gedeihlichen Durchführung eines solchen Alternativdienstes beizutragen. « (22)
Ein Grund für die Verzögerung der Einführung des Ersatzdienstes war sicher die abwartende Haltung der Regierung, die erst einmal einen Eindruck von der Zahl der anerkannten Kriegsdienstverweigerer und ihrer Größenordnung im Verhältnis zur Gesamtzahl der Wehrpflichtigen eines Jahrganges gewinnen wollte. Dafür wurden vor allem organisatorische Überlegungen angeführt, so etwa, ob man für eine Durchführung des Ersatzdienstes eine eigene Behörde einrichten müsse oder ob man die entsprechenden Aufgaben wegen der geringen Zahl der Kriegsdienstverweigerer einer bereits bestehenden Behörde zuteilen könne. Im Grunde handelte es sich aber um ein politisches Problem, denn schließlich wäre es ein auch qualitativer Unterschied gewesen, wenn für den Dienst der Kriegsdienstverweigerer ein selbstständiger Verwaltungsapparat mit eigenem Etat eingerichtet und seine Eigenständigkeit durch Gesetz und Dienstpraxis unter Beweis gestellt worden wäre, statt ihn ausdrücklich als »Ersatz«dienst zu behandeln. Die Zentralstelle hat damals Eigenständigkeit gefordert, die Bundesregierung aber »Ersatz« praktiziert. Auch der Streit um die Worte »Alternativdienst« oder »Ersatzdienst« war Ausdruck dieser unterschiedlichen politischen Haltung.
Dennoch oder gerade deshalb versuchte die Zentralstelle, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. In vielen Verhandlungen mit Abgeordneten und Vertretern des zuständigen Arbeitsministeriums trug man Erwartungen und Wünsche der Kriegsdienstverweigerer vor, wobei immer wieder auf Erfahrungen entsprechender Dienste im westlichen Ausland hingewiesen wurde. Gegen Ende der parlamentarischen Beratung stellte Prof. Siegmund-Schultze fest: »Das Ersatzdienstgesetz ist fast in allen wesentlichen Punkten entsprechend den Wünschen, die unsere Zentralstelle ansprechen konnte, redigiert worden. Wegen der Mitarbeit der Zentralstelle bei der Durchführung des Ersatzdienstes wurden uns freundliche Zusagen gegeben. « (23) Diese optimistische Einschätzung wurde keineswegs von allen Mitgliedsverbänden der Zentralstelle geteilt, wie etwa die Kritik der »Internationale der Kriegsdienstgegner« zeigte, die einen Ersatzdienst nach den Vorschriften dieses Gesetzes ablehnte (24). Einmal mehr kam hier das schon damals sehr auf die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen angelegte Selbstverständnis der Zentralstelle zum Ausdruck. Man bemühte sich selbst dann noch um Einfluss auf Entscheidungen bei Behörden und Mandatsträgern, wenn einzelne Mitgliedsverbände längst die Hoffnung aufgegeben hatten, dass von dort mit grundsätzlichem Entgegenkommen hinsichtlich einer dem Grundrecht gemäßen Ausgestaltung der Regelungen für die Kriegsdienstverweigerer zu rechnen sei.
Die Behörden unterstützten diese Vermittlerrolle der Zentralstelle. Der für den Ersatzdienst zuständige Bundesarbeitsminister ließ sich über ihre Arbeit unterrichten und entsandte bis Ende der sechziger Jahre regelmäßig einen kompetenten Vertreter seines Hauses zu den Sitzungen der Zentralstelle. Sie zählte auch zu den »interessierten Kreisen«, die vom Ministerium vor beabsichtigten Gesetzesänderungen oder anderweitigen gravierenden Neuregelungen um Stellungnahme gebeten wurden. Auf diese Weise wurden zwar verschiedene Fragen zum Nutzen aller Beteiligten und Betroffenen geregelt, aber Regierung und Behörden konnten so auch erfolgreich verhindern, dass es zu einer breiteren Diskussion über die politische Bedeutung der mit der Ersatzdienstregelung vorgenommenen Einschränkung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung kam.
Im September 1959 legte Prof. Siegmund-Schultze den Vorsitz der Zentralstelle aus gesundheitlichen Gründen nieder. Sein Amt übernahm Oberkirchenrat Dr. Heinz Kloppenburg. Auch er engagierte sich weit über eine »normale« Amtsführung hinaus für die Belange der Kriegsdienstverweigerer. Aus der Mitarbeit im Versöhnungsbund brachte er pazifistisches Engagement, aus seiner kirchlichen Arbeit wichtige, in der Verfolgungssituation während der Naziherrschaft bewährte persönliche Beziehungen und diakonische Fachkenntnisse mit. Die Verpflichtung des Erbes der Bekennenden Kirche zu kritischem politischem Handeln kam so der Arbeit der Zentralstelle zugute.
Die ersten Erfahrungen mit dem Ersatzdienstgesetz zeigten, dass die Einschätzung Friedrich Siegmund-Schultzes viel zu optimistisch gewesen war. In einem Schreiben an Kriegsdienstverweigerer und Ersatzdienstpflichtige im Dezember 1961 stellte Dr. Kloppenburg fest: »Unsere Bemühungen zum Aufbau eines echten Friedensdienstes, der sich auch auf das Ausland erstrecken sollte, sind aber bisher nicht zum Zuge gekommen. « (25) Dennoch hoffte man weiterhin, durch konstruktive Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und den Trägerverbänden der Wohlfahrtspflege zu einer positiven Fortentwicklung des neu geschaffenen Ersatzdienstes zu gelangen. Allerdings befand sich die Zentralstelle dabei in den sechziger Jahren weitgehend in der Defensive. Sie musste sich darauf beschränken, dem Abbau des ohnehin kümmerlichen Restes an Gewissensfreiheit entgegenzutreten, der den Kriegsdienstverweigerern nach Einführung der Wehrpflicht und der Gewissensprüfung sowie angesichts der Praxis des Ersatzdienstes noch verblieben war.
Typisch für diese Situation war eine Stellungnahme der Mitgliederversammlung vom November 1964 zur bevorstehenden Novellierung des Ersatzdienstgesetzes, in der es hieß, die Verabschiedung des Gesetzentwurfes werde:
1. die dem Gesetz nach mögliche Ableistung des Dienstes im Ausland in ihrer Realisierung »auf unbestimmte Zeit vertagen«,
2. bürokratische Unzulänglichkeiten bei der Organisation und Durchführung des Ersatzdienstes nicht etwa beseitigen, sondern nur vom Arbeitsministerium auf das Bundesverwaltungsamt verschieben,
3. die bis dahin vorhandene Möglichkeit, die Beschäftigungsstelle auszuwählen, erheblich beschränken und die beratende Mithilfe der KDV-Verbände bei der Dienstplatzbeschaffung »außerordentlich erschweren«,
4. die Tauglichkeitskriterien zu Ungunsten der Kriegsdienstverweigerer verändern,
5. anstelle inhaltlicher Gesichtspunkte die Heranziehung aller Kriegsdienstverweigerer zum Ersatzdienst in den Vordergrund stellen,
6. durch die ausdrückliche Verpflichtung der Kriegsdienstverweigerer auf die Achtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung politischer Disziplinierung Vorschub leisten.
Insgesamt sah man in der beabsichtigten Novellierung einen »Schritt in Richtung auf eine Militarisierung der Kriegsdienstverweigerung und die Entliberalisierung des ganzen Ersatzdienstes« (26).
Diese Kritik fand teilweise Gehör. In der Zentralstelle wurde erfreut vermerkt, dass es Politiker und auch Beamte und Angestellte in Ministerien und anderen Behörden gebe, die die Vorschläge und Einwände durchaus beachteten. Doch im Gesetzgebungsverfahren wurde ihnen kaum noch Bedeutung zugemessen. Der Ausbau und die Perfektionierung der Verwaltung und wohl auch der mangelnde politische Wille des Gesetzgebers standen und stehen einer freiheitlichen Neuregelung der entsprechenden Gesetze und ihrer Ausführungsbestimmungen entgegen.
Mitte der sechziger Jahre griff besonders bei der jungen Generation die Unzufriedenheit mit der »politischen Idylle« in der Bundesrepublik stärker um sich. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise waren die Studentenbewegung, die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Aktionen der APO gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition Ausdruck einer wachsenden Unruhe, die auch zu einer nachhaltigen Politisierung der Diskussion um die Kriegsdienstverweigerung führte. Während die etablierten Parteien darauf zunächst mit Vorschlägen reagierten, die auf eine weitere Einschränkung des Grundrechtes hinausliefen, argumentierte man in der Zentralstelle nun in zunehmendem Maße auch politisch. Dies wurde in einer kurz nach der Bundestagswahl von der Zentralstelle am 16. Oktober 1969 abgegebenen Erklärung besonders deutlich, die zugleich die Schwerpunkte ihrer Arbeit in den siebziger Jahren markierte:
»Die stark angestiegene Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat in öffentlichen Erklärungen von Vertretern fast aller politischen Parteien im Wahlkampf die Tendenz erkennen lassen, die Bestimmungen über den zivilen Ersatzdienst zu verschärfen, mit dem offenbaren Ziel, die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer durch Abschreckung zu verringern. Notwendig ist der weitere Ausbau ethisch sinnvoller Einsatzmöglichkeiten, durch die der Ersatzdienst stärker Mitträger am Aufbau einer auf Frieden und Gerechtigkeit ausgerichteten Gesellschaft wird . . . Ein Versuch, die Ersatzdienstzeit gegenüber der Militärdienstzeit einseitig zu verlängern, würde den Bestimmungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland widersprechen. Was die Forderung nach Abschaffung des gegenwärtigen Anerkennungsverfahrens anlangt, so vertritt die Zentralstelle die Auffassung, dass eine Reform dieses Verfahrens sich aus der Praxis als dringend erforderlich erwiesen hat und dass die Schaffung eines eigenen Amtes für Fragen der Kriegsdienstverweigerung und des Ersatzdienstes in die Erörterung einbezogen werden sollte« (27).
Die steigende Zahl der Kriegsdienstverweigerer (28) führte teilweise zu heftigen Reaktionen. So ereiferte sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Zimmermann: »Diese Zahlen sagen alles. Die außerordentlich weitgehende Regelung unseres Grundgesetzes in dieser Frage beginnt durch einen organisierten Missbrauch ausgenützt zu werden . . . In keinem Land der Welt tritt das Problem so extrem in Erscheinung wie gegenwärtig bei uns in der Bundesrepublik Deutschland . . . Die Minderheiten, die versuchen, unsere staatliche Ordnung und die Bundeswehr anzugreifen und auszuhöhlen, sollten daran denken, dass sie letzten Endes nur durch unsere demokratische Verfassung die Möglichkeit der Betätigung und Meinungsäußerung haben . . . Meine Fraktion erwartet in dieser Frage Vorschläge der Bundesregierung, insbesondere über die Möglichkeit einer unverzüglichen Überführung von Antragstellern aus der Truppe in einen zivilen Ersatzdienst, der in jeder Beziehung dem Truppendienst vergleichbar ist« (29).
Der Ausdruck »Minderheiten« war offenbar auf die Kriegsdienstverweigerer gemünzt, die ihren Gewissensentscheid politisch begründeten, wie es infolge der Diskussion um die Notstandsgesetze zunehmend der Fall war. Dies als »organisierten Missbrauch« demokratischer Freiheiten zu bezeichnen und politische Motive nicht als Gewissensgründe anzuerkennen, ist allerdings nur auf der Grundlage eines verkürzten Demokratie- und Gewissensbegriffes möglich und stand darüber hinaus bereits damals im Widerspruch zur geltenden Rechtsprechung. Der Anfang 1970 von der Bundesregierung in das neu geschaffene Amt des Bundesbeauftragten für den zivilen Ersatzdienst berufene ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Iven, der Möglichkeiten für eine Reform des Ersatzdienstes erkunden sollte, schlug dennoch mit ersten Modellversuchen den von der Opposition geforderten »harten Weg» ein: Schon seit Ende 1969 waren in Schwarmstedt bei Hannover Ersatzdienstleistende in einem mit Stacheldraht eingezäunten Barackenkomplex, der von einem Bundeswehrdepot abgetrennt war, kaserniert worden. 40 km von ihrer Einsatzstelle entfernt untergebracht, mussten die Ersatzdienstleistenden täglich mit Bussen hin- und hergefahren werden -- eine offensichtlich unsinnige und den Dienstbetrieb schädigende Maßnahme. Ihr Protest, begleitet von bundesweiten Solidaritätsstreiks der Ersatzdienstleistenden und aktiver Solidarität mehrerer Mitgliedsverbände der Zentralstelle, insbesondere der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, führte schon im Februar 1970 zur Auflösung dieses Lagers (30).
· Die Ersatzdienstleistenden bauten sich mit der Selbstorganisation eine eigene gewerkschaftsähnliche Interessenvertretung auf, wobei sie von den KDV-Verbänden unterstützt wurden, die jede Form der Militarisierung des Ersatzdienstes strikt ablehnten. (31)
· Die Kirchen, insbesondere ihre Arbeitsgemeinschaften zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, übten ebenfalls scharfe Kritik an diesen Modellversuchen. Einige Gemeinden und Kirchenkreise richteten als Alternativmodelle »soziale Friedensdienste« ein, die als anerkannte Ersatzdienststellen einen Zivildienst nach den Vorstellungen der Kriegsdienstverweigerer verwirklichen helfen sollten. (32)
· Auch die Wohlfahrtsverbände, bei denen die meisten anerkannten Kriegsdienstverweigerer ihren Ersatzdienst ableisteten, befürchteten für den bisher reibungslos laufenden Dienst Unruhe und dadurch Schaden für die Patienten. Sie sprachen sich gegen eine Verstärkung des Zwangscharakters des Ersatzdienstes aus, wie sie etwa in der Kasernierung oder in der Missachtung der Einverständniserklärung zwischen dem Ersatzdienstleistenden und »seiner« Dienststelle zum Ausdruck kam.
· Die Gewerkschaften schließlich lehnten vor allem die beabsichtigte Ausweitung des Ersatzdienstes über den sozialen Bereich hinaus in andere Sparten mit arbeitsmarktpolitischer Bedeutung ab. (33)
Die Zentralstelle wandte sich in dieser Situation einerseits gegen jegliche Militarisierungsbestrebungen, andererseits befürwortete sie aber eine von den damaligen Gegebenheiten ausgehende Fortentwicklung des zivilen Ersatzdienstes. Damit vertrat sie eine deutlich andere Position als einzelne Kriegsdienstverweigererverbände, die eine grundlegende Änderung der Regelungen für die Kriegsdienstverweigerung für notwendig hielten. Wiederum nahm die Zentralstelle eine Vermittlerrolle ein und blieb für Bundestag und Bundesregierung nach wie vor das Sprachrohr der Betroffenen und ihrer Verbände. Ihre Aufgabe für die Ersatzdienstleistenden sah die Zentralstelle damals vor allem in Information und konkreter Hilfeleistung in Notfällen. Dabei bemühte sie sich auch, Verständnis für die rechtlichen Voraussetzungen und Konsequenzen politischer und behördlicher Entscheidungen zu wecken. Dies trug ihr einmal sogar den Vorwurf der »Abwiegelei« ein, denn die Zentralstelle schürte Konflikte nicht, sondern war im Interesse der Sache stets bemüht, einen Beitrag zu einer einvernehmlichen Lösung zum Nutzen aller Beteiligten zu leisten.
Anfang 1971 wurde Oberkirchenrat Dr. Kloppenburg zum Präsidenten der Zentralstelle gewählt. Sein bisheriges Amt als Vorsitzender übernahm der Bremer Pastor Ulrich Finckh. Er nahm sich dieser Aufgabe mit dem gleichen Engagement wie seine Vorgänger an und stellte in der Diskussion um die Neuregelung des Ersatzdienstes seine Fähigkeit unter Beweis, als ein von den verschiedenen Gruppierungen der Kriegsdienstverweigerer gleichermaßen anerkannter Repräsentant zwischen deren Auffassungen und den in Regierung und Behörden eingenommenen Positionen zu vermitteln. Die Auseinandersetzungen hielten nämlich auch nach der Umwandlung des »Zivilen Ersatzdienstes« in den »Zivildienst« im Juli 1973 an. Zwar war mit dem Bundesamt für den Zivildienst endlich eine eigene Bundesbehörde für die Organisation und die Durchführung des Dienstes der anerkannten Kriegsdienstverweigerer geschaffen worden, die grundsätzlichen Probleme des Ersatzdienstes gingen aber in den Zivildienst über, teilweise sogar in verschärfter Form. So bot die Formulierung in § l des Zivildienstgesetzes, dass nämlich der Dienst nur noch »vorrangig« im sozialen Bereich stattzufinden habe, Anlass für verschiedene Versuche, dem Zivildienst paramilitärische Aufgaben aus dem Bereich des Zivilschutzes zuzuweisen. Das seit Einführung des zivilen Ersatzdienstes praktizierte Verfahren, durch die Art des Dienstes Wehrpflichtige von der Kriegsdienstverweigerung abzuschrecken, wurde im Zivildienst fortgesetzt. Daran änderten auch vorübergehende Erleichterungen -- wie etwa die Erlaubnis für Zivildienstleistende, in der eigenen oder der elterlichen Wohnung zu schlafen -- nichts, denn sie entsprachen ohnehin dem Wesen eines sozialen Dienstes und waren nicht zuletzt aus Ersparnisgründen angeordnet worden. Außerdem führten sie zur Beruhigung und Entpolitisierung, was den staatlichen Stellen nicht unangenehm war.
Auch der neu geschaffene Beirat für den Zivildienst, der den zuständigen Bundesminister bei der Durchführung des Zivildienstes beraten soll, brachte von der Sache her nur wenig Fortschritte. Zwar war damit formal alten Forderungen der Beteiligten entsprochen worden, die von ihnen über den Beirat angestrebte Mitwirkung in der Zivildienstpolitik kam jedoch nicht zustande: Der Beirat wurde in der Regel erst nachträglich über wichtige politische und behördliche Entscheidungen informiert und dabei eigentlich immer wieder nur aufgefordert, der Politik des Bundesbeauftragten für den Zivildienst zuzustimmen. Er sollte nachträglich etwas »raten«, was bereits beschlossen worden war. Insofern sind mit dem Beirat lediglich die Kontakte der Zentralstelle mit den für Zivildienstleistende zuständigen Behörden auf eine verbindliche Grundlage gestellt worden.
Neben diesen Aktivitäten, die rechtlichen und praktischen Gegebenheiten des Dienstes der anerkannten Kriegsdienstverweigerer zu verbessern, bildete die bislang vernachlässigte Diskussion über grundsätzliche Probleme des Prüfungsverfahrens einen zweiten Schwerpunkt der Arbeit der Zentralstelle in den siebziger Jahren. Mit dem Anwachsen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer vom Ende der sechziger Jahre an zu einer »tendenziellen Massenbewegung« (34) und deutlichen Verschlechterungen in den Verfahren wurde zunehmend die Abschaffung der Gewissensprüfung gefordert. Dabei ging es um einen ganzen Katalog von Forderungen, mit denen der Willkür und den Verstößen gegen die Menschenwürde Einhalt geboten werden sollte, wie sie in vielen Prüfungsverfahren festzustellen waren. Kritisiert wurden vor allem:
· Die Diffamierung der Kriegsdienstverweigerer als »Drückeberger«, verbunden mit dem Vorwurf des »Missbrauchs« der grundgesetzlich garantierten Gewissensfreiheit:
· die Rechtsprechung in Sachen Kriegsdienstverweigerung, die nach dem zweimaligen Wechsel der zuständigen Senate beim Bundesverwaltungsgericht 1967 und 1970 in Zusammenhang mit einer Überhöhung der Existenz der Bundeswehr zum »Verfassungsauftrag« erheblich verschärft worden war (35);
· die in den Kultusministerien einiger Bundesländer ausgearbeiteten Richtlinien und Erlasse, nach denen im Schulunterricht »die Einsicht in die Notwendigkeit militärischer Verteidigung« gefördert werden sollte; (36)
· die skandalöse Praxis der »Gewissensinquisition« in Prüfungsausschüssen und -kammern, die Antragsteller sogar bis zum Selbstmord getrieben hatte; (37)
· die Kriminalisierung des Engagements für die Gewissensfreiheit durch Strafanzeigen der Wehrbehörden gegen Berater aus den Kriegsdienstverweigererorganisationen; (38)
· die Bespitzelung und Diskriminierung von Kriegsdienstgegnern im Zuge des Radikalenerlasses. Dabei musste häufig als »amtlicher« Beweis für die Verfassungsfeindlichkeit herhalten, dass seit der Fusion von DFG-IdK und VK zur DFG-VK im Jahre 1974 diese neue Organisation regelmäßig im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums erwähnt wurde; (39)
· die von Politikern und Behörden praktizierte Zivildienstpolitik, die sich gegen das zunehmende Bedürfnis nach einem echten Friedensdienst richtete.
Im April 1974 forderten 225 kirchliche Berater und Beistände auf dem gemeinsamen Kongress der Evangelischen und der Katholischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK und KAK) »Gegen die Inquisition des Gewissens« in Bonn die »sofortige Einstellung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer« und eine »grundsätzliche Neuregelung«, die berücksichtigen müsse, dass das »Gewissen nicht justitiabel« ist. (40) Einen Monat später versprachen Bundestagsabgeordnete der SPD und FDP auf der Großveranstaltung »Grundrechte schützen« der KD V-Verbände zum 25. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes, die parlamentarische Initiative zur Abschaffung des Prüfungsverfahrens zu ergreifen. (41) Obwohl die Abgeordneten ihr Versprechen einlösten, kam es nicht zur Abschaffung der Gewissensprüfung. Ihre Gesetzesinitiative, die das Bundesverteidigungsministerium schon bald an sich zog und die dabei die ursprüngliche Intention -- freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst -- verlor, scheiterte zweimal:
Der Vorschlag des Bundesverteidigungsministers vom Oktober 1974, das Prüfungsverfahren lediglich bis auf Widerruf auszusetzen, wurde nach Beratungen in verschiedenen Ausschüssen im Sommer 1976 vom Bundestag als Gesetz verabschiedet. Dagegen lehnte der Bundesrat das Gesetz mit den Stimmen der unionsregierten Länder ab und erklärte es für zustimmungspflichtig.
Der damalige Bundespräsident Walter Scheel schloss sich dieser Auffassung an und verweigerte die von der Bundesregierung geforderte Unterschrift. Da es vor Ende der 7. Legislaturperiode im Oktober 1976 zu keiner erneuten Beratung im Bundestag kam, war die Initiative zunächst gescheitert, die Sache wurde in den Wahlkampf gezogen. Zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wurde dann von SPD und FDP eine Neuregelung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes verabschiedet, die allerdings nur vorübergehend gültig war. Sie trat am l. August 1977 in Kraft, setzte das Prüfungsverfahren für »ungediente« Kriegsdienstverweigerer aus und verlängerte die Dauer des Zivildienstes auf 18 Monate. Das Gesetz rief heftigen Widerspruch vor allem bei konservativen Kräften hervor. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einige unionsregierte Bundesländer beantragten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die Neuregelung für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären und aufzuheben, weil sie angeblich den Bestand der freiheitlichen Demokratie gefährde.
Wer gehofft hatte, die Regierungsparteien würden diesem Vorwurf offensiv gegenübertreten, wurde enttäuscht: In der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts war der Regierung an der Verteidigung ihres Gesetzes offensichtlich nicht viel gelegen. Ihre Argumentation zielte lediglich darauf ab, einer anderen Form der Gewissensprüfung das Wort zu reden. Anstelle der formalrechtlich höchst fragwürdigen Gewissensüberprüfung in Ausschüssen und Kammern sollte der »Nachweis« einer Gewissensentscheidung dadurch erbracht werden, dass der Kriegsdienstverweigerer bereit sein müsste, länger als der Wehrdienstleistende zu dienen und dadurch zusätzliche finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen. Mit anderen Worten:
Der Zivildienst sollte zu einer lästigen Alternative ausgestaltet werden. Faktisch wurde das Gewissen mit der Elle der Zeit gemessen und nach materiellen Wertmaßstäben beurteilt. Für zum Wehrdienst einberufene Kriegsdienstverweigerer sollten weiterhin die bisherigen Regelungen der Gewissensüberprüfung gelten. Doch selbst dieser, dem Grundgesetz zuwiderlaufenden »Logik« vermochte sich das Verfassungsgericht nicht anzuschließen. In der Verhandlung wurde vor allem über die zu erwartende Zahl von Kriegsdienstverweigerern und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die »Verteidigungsbereitschaft« der Bundesrepublik diskutiert. Außerdem wurde erörtert, ob die Bundesländer dem Gesetz hätten zustimmen müssen, weil es ihnen Aufgaben im Bereich der Zivildienstverwaltung zuwies.
Mit einer einstweiligen Anordnung setzte das Bundesverfassungsgericht im Dezember 1977 das umstrittene Gesetz außer Kraft -- die Gewissensprüfung war generell wieder eingeführt. Angesichts der Tatsache, dass die obersten Hüter der Verfassung »nur« der politisch\' von CDU/CSU repräsentierten Bundesratsmehrheit zustimmten und ihre Haltung auch von Teilen der SPD und FDP nicht ungern gesehen wurde, waren die Aktionen von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gleiches gilt für die Proteste der Zentralstelle, die sich erneut zum Rufer in der Wüste machte. Der letzte Akt sollte nicht lange auf sich warten lassen. Am 13. April 1978 erklärte das Karlsruher Gericht das Gesetz für verfassungswidrig. (42).
Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Mehrheitsentscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts von den konservativen Kräften in der Bundesrepublik weithin begrüßt. CDU und CSU hatten ihr Ziel erreicht, während die Koalitionsparteien ihren politischen Handlungsspielraum noch stärker eingeengt sahen als es die ihrem Verständnis nach »vorsichtige« Prozess-Strategie hatte erwarten lassen.
In der kritischen Öffentlichkeit und nicht zuletzt in der juristischen Fachwelt stieß die Entscheidung des Verfassungsgerichts allerdings fast nur auf Vorbehalte oder Ablehnung. Besondere Aufmerksamkeit erregte das abweichende Votum des Verfassungsrichters Martin Hirsch. Er bezeichnete Teile des Mehrheitsentscheids als verfassungswidrig, weil die rechtliche Möglichkeit einer Verfahrensreform generell in Frage gestellt und damit ein Verfahren festgeschrieben werde, das in der Praxis »die Ausübung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung unter einen Erkenntnisvorbehalt anderer stellt«. Verfassungswidrig wäre es, »die Ausübung des uneingeschränkten Grundrechts der Gewissensfreiheit von einer staatlichen Entscheidung dergestalt abhängig zu machen, dass die Behörde von der Gewissensnot des Petenten \'überzeugt\' werden müsste. « (43)
Wohlwissend, dass aber eben dies tagtägliche Praxis in Prüfungsausschüssen und -kammern und Verwaltungsgerichten ist, argumentierte die Zentralstelle ähnlich. In einer ersten Stellungnahme zu dem Urteil bedauerte sie, irrtümlich davon ausgegangen zu sein, »dass das Bundesverfassungsgericht sich streng an das Grundgesetz und seine Rechtsprinzipien halten würde. Stattdessen hat es sich zum Herrn der Verfassung, zum Obergesetzgeber und zum Überverteidigungsministerium selbst ernannt«. (44)
Dass diese Stellungnahme nicht übertrieben war, verdeutlichen die Umstände, auf deren Grundlage das Verfassungsgericht seine Entscheidung getroffen hatte. Das von Georg Leber (SPD) geführte Verteidigungsministerium, das eigentlich die Neuregelung positiv begründen sollte, hatte de facto vor allem Befürchtungen Ausdruck gegeben, dass nach der Abschaffung des Prüfungsverfahrens einer künftig sinkenden Wehrpflichtigenzahl eine »Lawine« von KDV-Anträgen gegenüberstünde. (45) Das Verfassungsgericht hatte sich dieser Argumentation angeschlossen und ordnete seine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes praktisch den Wünschen des Militärs unter. Pastor Ulrich Finckh konnte nachweisen, dass die statistischen Grundlagen des Urteilspruchs widersprüchlich und irreführend waren. (46) Der größte Fehler in der Statistik -- die Umstellung der Basisdaten -- wurde allerdings erst später erkannt. (47)
Nach dem Urteil war die Rechtsunsicherheit bei den Kriegsdienstverweigerern groß. Wer in der Zeit vom l. 8. 1977 bis 15. 12. 1977 seine Kriegsdienstverweigerung rechtsgültig erklärt hatte, wusste nicht, ob er damit nach der nun wieder geltenden alten Regelung das Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eingeleitet hatte. Unklar waren ebenso, die Verfahrensregeln für diejenigen, die schon vor der Novelle einen Antrag auf Anerkennung gestellt hatten. Viele Ausschüsse und Kammern hatten nämlich kurz vor dem Inkrafttreten der Novelle ihre Entscheidungen in Erwartung des neuen Gesetzes zum Teil vertagt oder ausgesetzt; die Gerichte hatten bei ihnen anhängige Verfahren rechtskräftig eingestellt und beide Seiten glauben gemacht, der Antragsteller sei als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.
Von der Zentralstelle sofort verfasste und in großer Auflage an die Mitgliedsverbände und sonstige Interessierte verteilte Merkblätter halfen vielen Kriegsdienstverweigerern, sich in dieser widersprüchlichen Situation zurechtzufinden und ihr Recht zu behaupten. (48) Behörden und das Bundesverfassungsgericht trugen nämlich ihrerseits erheblich dazu bei, die Kriegsdienstverweigerer zu verwirren. So sprach das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Beispiel von »Annahmebescheiden« durch das Bundesamt für den Zivildienst, die die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bedeuten sollten. Das Bundesamt bestritt dann jedoch, jemals solche »Annahmebescheide« erstellt und ausgegeben zu haben. Erst zwei Jahre später wurde vom Bundesverwaltungsgericht definiert, (49) welche Briefe und Postkarten des Bundesamtes als »Annahmebescheide« zu gelten hätten, welche Kriegsdienstverweigerer damit anerkannt waren und welche nicht. Ebenso hatte das Bundesverfassungsgericht die nach neuem Recht abgegebenen Erklärungen für null und nichtig erklärt. Kriegsdienstverweigerer, die vom l. 8.- 15. 12. 1977 ihre Kriegsdienstverweigerung rechtsgültig erklärt hatten, mussten neue Anträge stellen. Diejenigen, die nicht genau informiert waren, kamen in schwierige Situationen. Wer nichts unternahm, erhielt früher oder später die Einberufung zur Bundeswehr, wie zum Beispiel zwei Kriegsdienstverweigerer aus dem Emsland, die im Sommer 1978 mit gepackten Koffern und Flugtickets nach Berlin im Büro der Zentralstelle erschienen, um Rat zu suchen. (50)
Wie problematisch das Karlsruher Urteil war und ist, sollte die bis heute andauernde Diskussion um die gesetzliche Regelung der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern zeigen. Für diejenigen, die das Grundgesetz auf ihrer Seite wissen, wenn sie den Kriegsdienst verweigern, ist die Situation in den Prüfungsausschüssen und -kammern unerträglich geworden. Dem Tenor des Karlsruher Urteils folgend häuften sich in den wieder in Gang gesetzten Prüfungsverfahren Verhandlungen im Inquisitionsstil und Ablehnungen aus fadenscheinigen Gründen. Die Amtsführung zahlreicher Ausschussvorsitzender widerspricht Auftrag und Geist des Grundgesetzes eklatant. Dabei wird die Würde des Menschen, die zu achten oberstes Verfassungsgebot ist, mit Füßen getreten. Ein Staat, der sich rühmt, die Prinzipien der freiheitlichen Demokratie erstmals in Deutschland verwirklicht zu haben, erzwingt ständig Gewissensnot. Betroffen sind nicht nur die ausgefragten Kriegsdienstverweigerer, sondern auch viele Menschen aus ihrer Umgebung, über die staatliche Stellen zahllose Informationen erhalten, die in Akten gesammelt und vom Militärischen Abschirmdienst ausgewertet werden können -- private Daten, die den Staat nichts angehen.
Auf andere Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes wurde die Öffentlichkeit stärker aufmerksam. So hatte der Bundesbeauftragte für den Zivildienst im Auftrag der Bundesregierung bereits das vorweggenommen, was das Bundesverfassungsgericht später anempfahl: Ausweitung der Einsatzbereiche und eine weitere Verminderung der Qualität. In der mündlichen Verhandlung am 30. 11./l. 12. 1977 hatte Hans Iven ein 8-Punkte-Programm erläutert, das bis dahin mit Rücksicht auf das laufende Gerichtsverfahren nicht veröffentlicht worden war. Unter anderem sollte die Zahl der Massenunterkünfte für Zivildienstleistende erhöht werden, um damit die Möglichkeit abzuschaffen, zu Hause zu wohnen. Außerdem sollten in der individuellen Alten- und Behindertenbetreuung und im Zivil- und Katastrophenschutz neue Arbeitsplätze eröffnet, sowie Aufgaben des Umwelt- und Landschaftsschutzes übernommen werden. Darüber hinaus kündigte der Bundesbeauftragte eine »umfangreiche Werbungskampagne« an, mit der die »Sinnhaftigkeit des Dienstes in der Bundeswehr« herausgestellt werden sollte. (51) Die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden kommentierte dieses Programm in ihrer Zeitung »diskofo« unter der Überschrift »Iven lügt«. Denn noch im Oktober 1977 hatte er allen im Dienst befindlichen Zivildienstleistenden im offiziellen Organ des Bundesamtes »der Zivildienst« erklärt: »Es ist nicht daran gedacht, Zivildienstleistende zu kasernieren«. (52)
Schon im September 1977 hatten 30 Zivildienstleistende eines Einführungslehrganges in der neu eingerichteten Zivildienstkaserne »Vinckehof« in Castrop-Rauxel, einer Massenunterkunft für mehr als 200 im weiteren Umkreis eingesetzte Zivildienstleiste, gegen die Kasernierungspläne der Bundesregierung protestiert. Sie nahmen nur noch passiv an den Unterrichtsveranstaltungen des Lehrganges teil. Nach einer Woche wurde der Lehrgang auf Weisung des Bundesbeauftragten abgebrochen, die Zivildienstleistenden durch Versetzung über das Bundesgebiet verstreut. Die offizielle Begründung, besonderer Bedarf in bestimmten Zivildienststellen, stellte sich schnell als unwahr heraus: Ein Zivildienstleistender musste an eine zweite und dritte Zivildienststelle »weitergereicht« werden, bis endlich Beschäftigung für ihn gefunden war, ein anderer wurde sogar einer Einrichtung zugewiesen, die gar nicht mehr existierte. Selbst die zehn Zivildienstleistenden, die bereits vor ihrer Einberufung von bestimmten Einrichtungen angefordert worden waren, wurden in alle Himmelsrichtungen versetzt, aber nicht den vorgesehenen Dienststellen zugewiesen.
Eine Bundesdelegiertenkonferenz der »Selbstorganisation der Zivildienstleistenden« am 17./18. Dezember 1977 bereitete den schon lange erwogenen Streik und eine Demonstration vor. Am 27. l. 1978 streikten ca. 5000 Zivildienstleistende. Am 28. l. 1978 demonstrierten ca. 12000 Menschen, vor allem ZDL und von ihnen betreute Behinderte, in der Dortmunder Innenstadt und vor dem nahe gelegenen »Vinckehof«. Auf der Kundgebung in Dortmund sprach neben anderen auch ein Vorstandsmitglied der Zentralstelle, Herbert Froehlich, von der »Arbeitsstelle für Katholische Seelsorge an Zivildienstleistenden«.
Das Bundesamt für den Zivildienst und der Bundesbeauftragte versuchten, durch drastische Strafandrohungen die Zivildienstleistenden von ihren Aktionen und ihrer Kritik abzuhalten. Dieses Vorgehen entbehrte allerdings einer gesicherten gesetzlichen Grundlage, wie sogar der zuständige Ministerialrat Manfred Harrer, Verfasser eines Kommentars zum Zivildienstgesetz, öffentlich feststellte. (53) In dieser Auseinandersetzung um die strafrechtliche Bedeutung des Zivildienststreiks war die Zentralstelle immer wieder gefragt. Über die Beratung der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden hinaus hatte sie eine Reihe von Einzelfragen betroffener Zivildienst -leistender zu beantworten, die durch widersprüchliche Informationen der offiziellen Stellen verunsichert worden waren. Als das Bundesdisziplinargericht in vielen Fällen die Disziplinarstrafen aufgehoben oder herabgesetzt hatte, musste das Bundesamt für den Zivildienst weitere Strafmaßnahmen einstellen.
Die öffentlichen Proteste gegen die Pläne des Bundesbeauftragten -- nicht nur der Zivildienstleistenden, sondern auch der Wohlfahrtsverbände, die keine Zivildienstleistende vom »Vinckehof« abrufen und beschäftigen wollten -- hatten Erfolg: Der »Vinckehof« diente seitdem nur noch als Zivildienstschule. Ende 1982 wurde der Betrieb völlig eingestellt.
Derartige Versuche, das Grundrecht einzuschränken und die Verfassung auszuhöhlen, bewirkten allerdings weniger die erhoffte Abschreckung. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt. Hinzu kommt ein neues Phänomen: die Totalverweigerung. Immer mehr Kriegsdienstverweigerer lehnen jegliche Zusammenarbeit mit den Militärbehörden ab. Sie machen nicht einmal mehr das Prüfungsverfahren mit oder verweigern auch den Zivildienst (54).
Schon Ende der sechziger Jahre hatten Einzelne begonnen, sich der Wehrerfassung, Musterung und Einziehung zum Wehrdienst zu verweigern, weil ihnen die gesetzlichen Regelungen der Kriegsdienstverweigerung lediglich als Bestandteil der staatlichen Militär- und Rüstungspolitik erschienen. Bis 1978 war die Zahl der Totalverweigerer so angestiegen, dass sie sich in der Gruppe »Kollektiver Gewaltfreier Widerstand gegen Militarismus (KGW)« organisierten. Diese Gruppe wurde in die Zentralstelle aufgenommen.
Die Entstehung dieser Gruppe war Ausdruck einer grundsätzlich neuen Einschätzung des Zivildienstes. War man bis dahin häufig davon ausgegangen, dass der Zivildienst zu einem echten Friedensdienst weiterentwickelt werden konnte, so wurde jetzt deutlicher, dass auch der Zivildienst fester Bestandteil der verteidigungspolitischen Planungen ist. Schon 1977, als das Prüfungsverfahren für eine kurze Zeit ausgesetzt war, hatte der Vorsitzende der Zentralstelle im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren an die für den Zivildienst zuständigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages geschrieben: »Durch die fragwürdige Parallele zum Militärdienst wird der Zivildienst einseitig militaristisch ausgelegt. Wie der Bundesbeauftragte für den Zivildienst mehrfach zur Begründung ausgeführt hat, geschieht dies ausdrücklich, um die Zahl der Kriegsdienstverweigerer klein zu halten. . . Die Abschreckungsabsicht und die einzelnen Maßnahmen verletzen grundlegende Garantien des Grundgesetzes über die Freiheit der Gewissensentscheidung (Art. l GG) und das Gleichheitsprinzip (Art. 3 GG)« (55). Bezugnehmend auf die Diskussion in den Kirchen stellte Vorstandsmitglied Pfarrer Herbert Froehlich in seinen 13 Thesen zum »Friedensdienst der Kriegsdienstverweigerer« fest: »Die Kirchen sprechen nicht selten vom Friedensdienst, wenn sie den staatlichen Zivildienst meinen. Falls sie damit den Ist-Zustand beschreiben, fördern sie damit eine Illusion, die für den einzelnen Betroffenen gefährlich werden kann« (56).
im September 1979 griff die Mitgliederversammlung ein weiteres Thema auf, das viele Zivildienstdiskussionen bestimmte: Arbeitsdienst im Umweltschutz. Im Gespräch mit der Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Forsten wurde deutlich, wie sehr die Sorgen um Arbeitsplätze beim Einsatz von Zivildienstleistenden in Wäldern, Parks und Grünanlagen berechtigt waren. Andererseits ergab das Gespräch mit dem Umweltbeauftragten der EKD, Pfarrer Oeser, wie nötig an vielen Stellen zusätzliche Mitarbeiter für echten Umweltschutz sind. Dabei wurden Kriterien für qualifizierte Modellversuche des Einsatzes von Zivildienstleistenden im Umweltschutz deutlich (57).
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.4.1978 hatte nicht nur Diskussionen im Zivildienstbereich zur Folge, sondern stellte auch die Politiker erneut vor die Aufgabe, sich mit einer gesetzlichen Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts zu befassen. In einer interfraktionellen Arbeitsgruppe, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagte, wurde ein neues Gesetzgebungsverfahren vorbereitet. Da sich die Regierungsparteien und die Opposition nicht in allen Punkten einigen konnten, wurden im Herbst 1979 zwei bereits fertige Gesetzentwürfe vorgelegt, noch bevor die Fachleute und Verbände gehört worden waren. Die Zentralstelle verbreitete diese Entwürfe mit kritischen Anmerkungen.
Am 16.1.1980 führte der zuständige Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales dann eine öffentliche Anhörung zu diesen Entwürfen zur Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechtes durch. Fast einmütig kritisierten die Fachleute sowie die Vertreter der Kriegsdienstverweigerer-Organisationen, Jugend- und Wohlfahrtsverbände, dass die Entwürfe nicht der Verfassung entsprächen und wenig praktikabel seien. Der Vorsitzende der Zentralstelle berichtete: »Das Hearing hat unsere Kritik bestätigt und wichtige neue Hinweise gegeben. Konsequent haben bis zuletzt Kirchenrat Eitel und -- noch schärfer -- der Vertreter des Deutschen Bundesjugendringes auf die Folgen in der jungen Generation hingewiesen, die die Kriegsdienstverweigerer-Prüfungen und die schlechten Gesetzentwürfe bewirken und schon bewirkt haben. Nicht die Unterschiede der Gesetzentwürfe standen im Mittelpunkt, sondern die grundlegende Kritik. Den Versuchen des Bundesbeauftragten für den Zivildienst, den Zivildienst schon auf das neue Gesetz hin noch mili ärähnlicher umzugestalten, ist nun öffentlich der Boden entzogen worden.« (58) In den schließlich im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfen waren diese Einwände nicht berücksichtigt.
Der Gesetzesentwurf von SPD und FDP erhielt aber nicht die notwendige Mehrheit, weil sich einige SPD-Abgeordneten die Kritik der Zentralstelle zu eigen gemacht hatten. Auch der noch schlechtere Gesetzentwurf der CDU/CSU Fraktion wurde abgelehnt (59).
Schon im Jahre 1979 hatte die Zentralstelle eine Dokumentation mit dem Titel »Theorie eines Grundrechtes -- Praxis einer Wehrbehörde« herausgegeben, um auf die tägliche Unrechtspraxis in den Prüfungsverfahren aufmerksam zu machen. Mit Hilfe der betroffenen Kriegsdienstverweigerer wurden über 20 wortgleiche Ablehnungsbescheide eines Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Ravensburg gesammelt. Die Sammlung belegte, dass ein Vorsitzender, ohne zu beachten, was der einzelne Kriegsdienstverweigerer vortrug, die Ablehnungsbescheide serienmäßig erstellte. Ein anderer Vorsitzender desselben Ausschusses wurde im Jahre 1982 in den Ruhestand versetzt, nachdem durch eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Conradi (SPD) bekannt geworden war, dass der Vorsitzende während der Naziherrschaft am Volksgerichtshof gearbeitet und geurteilt hatte (60).
Im Herbst 1980 beschloss die Mitgliederversammlung der Zentralstelle, im März 1981 einen Kongress in Köln zu veranstalten. Der Öffentlichkeit sollte vor Augen geführt werden, dass zwar die Verfassung das »Menschenrecht Gewissensfreiheit« garantiert, aber die Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis dem widerspreche. In Vorbereitung auf diesen Kongress legte die Zentralstelle weitere Beispiele vor, die die unerträgliche Situation für Kriegsdienstverweigerer in den Prüfungsausschüssen und -kammern belegten:
· Vor einem Prüfungsausschuss in Nürnberg führte im Januar 1981 ein Kriegsdienstverweigerer aus, dass er sich als Mörder fühlen würde, wenn er einen Gegner tödlich träfe. So etwas würde ihm bis zum Lebensende nachgehen. Der Prüfungsausschuss schrieb dazu: »Die vorstehenden Sätze waren sorgfältig erwogen. Sie überzeugten aber in wesentlichen Punkten nicht. Denn zu sehr drängte sich der Gedanke auf, dass durch vorsichtig gewählte Worte eine behauptete Gewissensnot glaubhaft gemacht werden sollte. Natürlich schießt im Ernstfall ein Feldposten, um seine Kameraden zu retten. Ist der Gegner bei der Abwehr getötet worden, so mag dies den Todesschützen einige Zeit bewegen. Es ist aber nicht ersichtlich, warum der angenommene Todesschuss, wenn er Wirklichkeit wäre, dem Wehrpflichtigen bis zum Lebensende, also dauernd, nahe gehen sollte. Ein Angreifer muss im Krieg damit rechnen, dass er auf Abwehr stößt und dabei umkommt. Der Verteidiger, welcher mit der Waffe abgewehrt hat, war im Recht. Es sind keine Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden, dass in etwa der Antragssteller ein besonders religiöser oder sonst außerordentlich feinfühliger Mensch wäre, den ein Ereignis der geschilderten Art auf Dauer innerlich schädigen würde. Endlich schlägt die Erwähnung der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder der Mutter nicht durch. Hitler ließ sich wiederholt in die Rolle des Angreifers drängen. Später machten dann die Feindmächte nicht den leisesten Versuch, eine rasche und möglichst schonende Beendigung des Krieges anzustreben. So kam es bei der Deutschen Wehrmacht zu hohen Verlusten, von denen kaum eine Familie verschont blieb. Die westdeutschen Gesetzgeber haben daraus Lehren gezogen. Art. 115a und andere Bestimmungen des Grundgesetzes zeigen, dass der Einsatz der Bundeswehr nur in äußersten Notfällen zugelassen wird. Im Ergebnis ist eine ernste und tiefgründige, also eine echte Gewissensentscheidung aus Art. 4 Abs. 3 Satz I GG nicht bewiesen. Daher steht der Wehrpflichtige für den Wehrdienst zur Verfügung« (61).
Mit einer derartigen Landser-Mentalität lassen sich wohl schwerlich »Anhaltspunkte« erkennen, »dass in etwa der Antragssteller ein besonders religiöser oder sonst außerordentlich feinfühliger Mensch wäre«. Es kann dann auch eigentlich nicht mehr verwundern, dass »die Erwähnung der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder der Mutter nicht durchschlägt«, und dass »Artikel 115a und andere Bestimmungen des Grundgesetzes« die »Lehre« aus den »hohen Verlusten der Deutschen Wehrmacht« sind, die allerdings nur zustande kommen konnten, weil »die Feindmächte nicht den leisesten Versuch« machten, »eine rasche und möglichst schonende Beendigung des Krieges anzustreben«. Damit gerät der Ablehnungsbescheid letztlich zur (Selbst)Rechtfertigung für das während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangene Unrecht. Der Ausschussvorsitzende hält es offensichtlich für selbstverständlich, dem Antragssteller bindend vorzuschreiben, wann, in welcher Weise und wie lange sein Gewissen sich regen dürfe. Nicht die Verfassungsnorm, sondern das subjektive Verständnis eines Vorsitzenden, der das Prinzip des Tötens und Getötetwerdens im Krieg offenbar vorbehaltlos bejaht, bilden den »Maßstab« einer »Prüfung« in einem Verfahren, in dem noch nicht einmal die ohnehin problematische »Überprüfung« des Gewissens des Kriegsdienstverweigerers stattfindet, sondern er de facto der Einstellung des Prüfenden unterworfen wird.
· Die Entscheidung eines »unabhängigen« Gerichtes vom September 1980 lässt nicht nur ein problematisches Verständnis von »Gewissensgründen« und einen bedenkenlosen Umgang mit herabsetzenden Urteilen über die Person des Antragstellers erkennen. Schwerwiegender ist, dass das Gericht in klarer Erkenntnis der Konsequenzen seiner Entscheidung das »Zerbrechen« des Kriegsdienstverweigerers an der Bundeswehr in Kauf nimmt und damit verfahrensrechtliche Bestimmungen höher bewertet als den ihm im Grundgesetz ausdrücklich aufgetragenen Schutz der Menschenwürde:
»Bei Würdigung aller Umstände kam das Gericht zu der Überzeugung, dass das Vorbringen des Klägers zwar noch als widerspruchsfrei und der Kläger unbedingt als allgemein glaubwürdiger und ehrlicher Mensch anzusehen ist, der aufgrund seiner seelischen Situation und aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung in besonderem Maße sensibel und im Übrigen wenig belastbar ist; der Kläger hat das Gericht aber nicht davon überzeugen können, dass er aus Gewissensgründen im genannten Sinne, bei einem Waffendienst in schwere Not geraten würde.
Die Kammer ist zwar davon überzeugt, dass der Kläger derzeit nicht in der Lage ist. Dienst in der Bundeswehr zu tun, dass er eingezogen, an der Bundeswehr zerbrechen würde. Dies aufgrund der besonderen Sensibilität und psychischen Schwäche des Klägers und der Tatsache, dass sich das Kriegsdienstverweigerungsverfahren des Klägers über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren hingezogen hat, was bereits für einen seelisch stabilen Menschen eine erhebliche Belastung darstellen würde, um so mehr für den Kläger, der durch das Kriegsdienstverweigerungsverfahren in einem Maße geprägt worden ist, das es dem Kläger unmöglich macht, von der einmal getroffenen Entscheidung abzurücken. Diese im seelischen Bereich des Klägers geschehene Fixierung beruht nach der Auffassung des Gerichts aber auf der allgemeinen Sensibilität des Klägers, auf seiner seelischen und körperlichen Labilität und auf dem Wunsch des Klägers, durch Beharren Festigkeit zu finden. Da im Kriegsdienstverweigerungsverfahren aber allein Gewissensgründe, die einen Kläger wehruntauglich machen, Berücksichtigung finden können, ist der Kläger gehalten, die anderen Gründe im Rahmen der Überprüfung seiner Wehrdienstfähigkeit geltend zu machen.«Ergebnis derartiger Erwägungen war die Ablehnung der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (62).
· Die Entscheidung eines Prüfungsausschusses in Hannover macht das. im Grundgesetz garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen vollends zur Farce. Die Berufung auf das eigene Gewissen wird als Übertretung der »alle Bürger bindenden Regelungen unserer Verfassung« bezeichnet und damit schlicht für verfassungswidrig erklärt:
»Auch von der Person her ist der Wehrpflichtige nicht als Kriegsdienstverweigerer geprägt. So begrüßenswert seine Mitarbeit in der kirchlichen Jugendarbeit auch ist, lässt er andererseits jedes soziale Engagement im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz vermissen. Auffallend ist auch, wie wenig der Wehrpflichtige die Konsequenz aus den für sich in Anspruch genommenen hohen Wertvorstellungen für seine Persönlichkeit gelten lässt, Letztlich sucht der Wehrpflichtige deshalb in der Verweigerung einen Gesinnungsschutz und verkennt damit den Schutzbereich von Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz. Vielmehr nimmt der Wehrpflichtige für sich einen Standpunkt ein, erhebt ihn zur Norm und setzt sich über die alle Bürger bindenden Regelungen unserer Verfassung hinweg. Damit folgt er der Theorie vom geschulten Gewissen. Das ist nicht Merkmal eines ernsthaften Kriegsdienstverweigerers. Bei seiner Entscheidung hat der Prüfungsausschuss nicht die Entwicklungsfähigkeit der Persönlichkeit des Antragstellers verkannt. Der Antrag muss abgelehnt werden. Über die Glaubwürdigkeit des Antragstellers brauchte der Prüfungsausschuss nicht mehr zu entscheiden« (63).
Zwar ist der für diesen Bescheid verantwortliche Vorsitzende inzwischen abgelöst worden, aber die große Zahl ähnlicher Missachtungen des Grundgesetzes verdeutlicht, dass die staatliche Überprüfung von Gewissensentscheidungen -- noch dazu durch Wehrbehörden -- unmöglich ist. Schutz braucht ja gerade der, der anders denkt, der in der Minderheit ist, der den staatlichen Wünschen im Wege steht.
Vor den 380 Fachleuten, die aus den Mitgliedsverbänden als Kriegsdienstverweigerer, Zivildienstleistende, Total Verweigerer, Berater, Beistände, Anwälte und Richter zu dem Kölner Kongress »Menschenrecht Gewissensfreiheit« gekommen waren, führte der Vorsitzende der Zentralstelle in seinen Begrüßungsworten aus: »An dem zentralen Punkt der Gewissensfreiheit erleben wir Tag für Tag unseren Staat hundertfach als Unrechtsstaat. An jedem Arbeitstag werden über 250-mal junge Menschen unter Verletzung ihrer Menschenwürde ausgefragt, über 150-mal abgewiesen. « Nach den Einführungsreferaten des Schriftstellers und ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Lattmann (64) und Dr. Hans Liskens (65), diskutierten die Kongressteilnehmer in Arbeitsgruppen verschiedene Themenbereiche (66) und trugen die Ergebnisse später dem Plenum vor. Der Sprecher der Arbeitsgruppe »25 Jahre Gewissensprüfung -- Theorie und Praxis der KDV-Verfahren«, der Vorsitzende der bayerischen Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, Pfarrer Hansjörg Meyer, fasste zusammen: »Es wurde deutlich, dass das gegenwärtig geübte KDV-Verfahren dem Menschenrecht der Gewissensfreiheit nicht entsprechen kann. Es geht nicht um persönliche Unvollkommenheit der Verfahrensbeteiligten. Es geht darum, dass das Fehlen verbindlicher Kriterien für eine so genannte Gewissensentscheidung das Verfahren automatisch von persönlichen Meinungen, Vorurteilen, politischen Anschauungen und militärischen Zwängen abhängig macht. « (67).
Die Arbeitsgruppe »Die Folgen für abgelehnte KDV: Emigration -- Krankheit -- Kriminalisierung« hatte Fragen an die Politiker vorbereitet, die für den späten Nachmittag auf dem Kongress erwartet wurden:
· »1. Sind Sie bereit, den Wehrpflichtigen offen einzugestehen, dass ein Menschenrecht Gewissensfreiheit in unserem Staat mit der allgemeinen Wehrpflicht unvereinbar ist?
· 2. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass für die geflüchteten Wehrpflichtigen, die in der Emigration oder der Illegalität leben müssen,
a. unverzüglich eine Amnestie gewährt wird,
b. die Verfolgungsverjährung auf ein Jahr verkürzt und die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nur bis zum 28. Lebensjahr zu vollziehen ist,
c. die Freiheitsstrafe als Regelsanktion abgeschafft wird?
3.Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass Kriegsdienstverweigerer, die auch den Zivildienst verweigern, einer Kriminalisierung entgehen können, indem ihnen ermöglicht wird, einen Friedensdienst nach ihren Vorstellungen zu leisten ?« (68)
Diese Fragen wurden aber nicht beantwortet, weil die zuständigen Abgeordneten trotz vorheriger Zusagen zu dem angekündigten Kongressteil »Kongress fragt -- Politiker antworten« nicht erschienen. Für den Verlauf des Kongresses blieb dieses Verhalten allerdings ohne Bedeutung. Der Kongress forderte einmütig die Abschaffung des Prüfungsverfahrens und die Amnestie verfolgter Kriegsdienstverweigerer. In der Einschätzung des Zivildienstes erzielte man keine Einigkeit, sondern legte Alternativen vor, die die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsorganisationen zeigten:
a. »Ausbau des Zivildienstes zu einem Friedensdienst, der die Gewissensentscheidung der Kriegsdienstverweigerer positiv aufnimmt und nicht mehr an Wehrrecht und Kriegswichtigkeit orientiert ist«;
b. »Einen Zivildienst, der die Gewissensentscheidung der Kriegsdienstverweigerer positiv aufnimmt, politische Handlungsfreiheiten garantiert und nicht mehr an Wehrrecht und Kriegswichtigkeit orientiert ist«;
c. » Volle Anerkennung des Grundrechts Gewissensfreiheit, das über die Verweigerung des Kriegsdienstes hinaus die Freiheit des Bürgers beinhaltet, sich entsprechend seiner Gewissensentscheidung für den Frieden zu engagieren«. (69)
Infolge des Presseechos (70)der Diskussion über die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung und der wachsenden Zahl der Kriegsdienstverweigerer wurde die Zentralstelle immer mehr in Anspruch genommen. Das Jahr 1981 war geprägt durch die Erarbeitung von Merkblättern, um die Betroffenen auch in speziellen Fragen sachgerecht zu informieren. »Ersatzdienst im Zivilschutz oder Katastrophenschutz«, »Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe«, »Mietbeihilfe und Mietkostenerstattung für Zivildienstleistende« entstanden neu, die Liste »Rechtsanwälte in Sachen KDV/ZD/Wehrrecht« erschien in 4. und das Heft »Wenn Soldaten und Reservisten den Kriegsdienst verweigern« in 5. Auflage. Im Oktober wurde ein Bericht für die Mitgliederversammlung erstellt, der die Entwicklung im Bereich der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes von 1977 bis 1981 aufzeigte.
Das 25-jährige Bestehen der Zentralstelle im März 1982 war Anlass, über die tagespolitischen Probleme hinaus auf die bisherige Tätigkeit zurückzublicken.
· Die Zahl der Mitgliederverbände ist von elf auf 25 Organisationen angewachsen. (71) Die von der Zentralstelle übernommenen Aufgaben der Informationsbeschaffung, -aufbereitung und -weitergäbe werden von Jahr zu Jahr umfangreicher. Das gilt auch für die Beratung der Kriegsdienstverweigerer in Einzelfällen. Etwa 400 Anfragen pro Monat sprechen für sich. Die damit verbundene Arbeit kann eigentlich schon lange nicht mehr allein auf ehrenamtlicher Basis geleistet werden. Die Finanzmittel reichen nicht aus, um ein diesen Anforderungen personell und materiell entsprechend ausgestattetes Büro zu unterhalten. Deshalb ist die Zentralstelle weiterhin auf freiwillige Mitarbeit angewiesen, häufig genug muss auch improvisiert werden.
Von großer Bedeutung sind daher die Beiträge der fördernden Mitglieder. Diese Form der Mitgliedschaft hilft einerseits, die Arbeit für das Menschenrecht Gewissensfreiheit zu unterstützen, andererseits ermöglicht sie auch den fördernden Mitgliedern -- in der Regel kirchliche Berater und Beistände oder Rechtsanwälte, aber auch schlicht: »Förderer einer guten Sache« -- den regelmäßigen Zugang zu Informationen, die sie sich sonst unter erheblichem Zeit- und Arbeitsaufwand selbst beschaffen müssten. Im April 1982 wurde die Zentralstelle als gemeinnützige und besonders förderungswürdige Einrichtung anerkannt.
Am 5./6. März 1982 führte die Zentralstelle in Bremen eine erweiterte Mitgliederversammlung durch. Als Gäste erschienen neben vielen Vorstandsmitgliedern der Mitgliedsorganisationen auch Gründungsmitglieder. Sie konnten in der Diskussion mit den Politikern verfolgen, wie ähnlich der damaligen Auseinandersetzung der Streit um das Recht der Kriegsdienstverweigerer auch heute nach 25 Jahren noch ist. (72) Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Diskussion mit Bundesverfassungsrichter Simon zum Thema »Grundrechte in der Demokratie«. (73)
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1. 1 Folgende Organisationen waren vertreten: Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend in Deutschland; Deutsche Friedensgesellschaft; Evangelische Konferenz; Gruppe der Wehrdienstverweigerer; Internationale der Kriegsdienstgegner; Internationaler Zivildienst;
Nothelfergemeinschaft der Freunde; Religiöse Gemeinschaft der Freunde (Quäker); Vereinigung Deutscher Mennoniten; Versöhnungsbund; Weltorganisationen der Mütter aller Nationen. Die Evangelische Kirche wurde nicht Vereinsmitglied, sondern unterstützte die Zentralstelle fortan finanziell.
2.
2 Die Satzungsentwürfe und diesbezüglichen Korrespondenzen befinden sich heute im Nachlass von Prof. Siegmund-Schultze, insbesondere Archivmappe K 11 b und K II c. Der Nachlass wird im Zentralarchiv der EKD, Berlin (West), aufbewahrt.
3.
3 Zunächst konnten Vertreter der Kriegsdienstverweigerer von den Einwohnermeldeämtern Listen der erfassten Wehrpflichtigen erhalten und diese dann persönlich zu Informationsveranstaltungen einladen. Wenig später wurde diese Praxis geändert, es durften dann nur noch Plakate in den Erfassungslokalen ausgehängt werden. Auch diese Praxis wurde schnell aufgehoben. Die Vertreter der Kriegsdienstverweigerer hatten nur noch die Möglichkeit, im Auto vor dem Erfassungslokal die Einladungsplakate auszuhängen, da alle außen angebrachten Hinweise auf Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz sofort entfernt wurden (nach mündlicher Auskunft von Dr. Mertens, Vertreter der Quäker in der Zentralstelle).
4.
4 Zentralstellenordner 531
5.
5 Guido Grünewald, Zur Entwicklung der Kriegsdienstverweigerung und ihrer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Friedensanalysen 4, Frankfurt/Main 1977, Seite 109
6.
6 F. Siegmund-Schultze, Archivmappe K II d 8
7.
7 F. Siegmund-Schultze, Junge Kirche, Sonderdruck 4/5/6 1959, Seite 5
8.
8 Ausgabe Nr. 11, September 1957
9.
9 bei der Behandlung des Artikels 4 Abs. 3 im Parlamentarischen Rat 1948/49 (d. Verf.)
10.
10 Der vollständige Briefwechsel zwischen Theodor Heuss und Friedrich Siegmund-Schultze ist abgedruckt in »Junge Kirche«, Heft 4/5/6 1959.
11.
11
12.
12 ebda.
13.
13 Korrespondenzen und Materialien Friedrich Siegmund- Schultzes, aus seinem Nachlass im Ökumenischen Archiv, Zentralarchiv der EKD, Berlin (West), insbesondere Archivmappe K II d 8
14.
14 § l, Abs. l des »Gesetz zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung«: Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, darf geschäftsmäßig -- ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit -- nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt worden ist.«
15.
15 Diese waren vor allem von sozialdemokratischen Juristen wie Adolf Arndt und Gustav W. Heinemann ausgearbeitet worden. (Korrespondenzen dazu im Nachlass Friedrich Siegmund-Schultzes)
16.
16 So in dem Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az: 371a-154vom 11. Oktober 1961:»Der Erteilung einer generellen Erlaubnis nach Art. l § l RBMG an einen Pfarrer, als Rechtsbeistand eines Wehrdienstverweigerers aus Gewissensgründen vor Prüfungsausschüssen aufzutreten, bedarf es indessen nicht. «
17.
17 Albert Krölls, Kriegsdienstverweigerung -- Ein unbequemes Grundrecht, Frankfurt 1981, Seite 205 -- 207, Klaus Mannhardt/ Winfried Schwamborn, Schwarzbuch Kriegsdienstverweigerung, Köln 1974, Seite 20-58; siehe auch entsprechende Dokumente in den Akten der Zentralstelle in Bremen
18.
18 siehe Seite 172 ff.
19.
19 Darunter versteht Dr. Koch: »Wer sich dem revidierten Kriegsverständnis verantwortlich und gewissenhaft stellt, kann nicht mehr Soldat werden oder Soldat bleiben. Er kann ebenso wenig zu einem surrogathaften Ersatzdienst bereit sein oder sich mit praktischen Einsätzen an einzelnen sozialen Übeln begnügen. Er muss die entscheidenden zivilen Aufgaben erkennen und sich ihnen mit allen Kräften widmen, die zu ihrer Meisterung nötig sind. Es liegt auf der Hand, dass der zivile Einsatz keine befristete Sache einiger Jahre von Dienstpflichtigen ist, sondern bleibende Sache aller Demokraten, der Alten und Jungen, der Männer und Frauen, der Gesunden und Kranken, je an ihrem Platz und mit ihren Mitteln.« (aus »Gutachten über das Grundrecht der Gewissensfreiheit in der Militärdienstfrage«); vgl. Nikolaus Koch, Seite 165 ff.
20.
20 H. H. Köper war der Vertreter der Gruppe der Wehrdienstverweigerer in der Mitgliederversammlung der Zentralstelle.
21.
21 Friedrich Siegmund-Schultze
22.
22 Protokoll aus den Akten der Zentralstelle, Ordner 53, 1957- 1961
23.
23 aus dem »Arbeitsbericht des geschäftsführenden Präsidenten« zur Mitgliederversammlung der Zentralstelle am 9. September 1959, Seite 2 (Zentralstellenakten)
24.
24 G. Grünewald, Die Internationale der Kriegsdienstgegner (ldK), Köln 1982, Seite 232-237; vgl. auch Interview mit Hans A. deBoer, Seite 64 ff.
25.
25 aus einem Brief des »Referat Ersatzdienst« der Zentralstelle vom Dezember 1961 (Zentralstellenakten)
26.
26 Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst, Stellungnahme der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e. V., beschlossen in der Sitzung am 11. November 1964 in Frankfurt (Main), (aus den Zentralstellenakten)
27.
27 Falscher Alarm um den Ersatzdienst, Presseerklärung der Zentralstelle vom 16. 10. 1969
28.
28 Als »registrierte« Kriegsdienstverweigerungsanträge wurden 1967 5 963, 1968 11 952, 1969 14 420 und 1970 19363 gemeldet. Wie problematisch solche Zahlen sind, ergibt sich aus den Anmerkungen in »Hinweis auf statistische Manipulationen«, siehe Seite 177 ff. Die Registrierung von Anträgen hängt ab von der Tauglichkeit, von sonstigen Freistellungen, von der Ausschöpfung der Jahrgänge u.a.m.
29.
29 zitiert nach »Junge Kirche«, Heft 1/1969, Seite 8.
30.
30 vgl. Mannhardt/Schwammborn, Zivildiensthandbuch, Köln, 1977
31.
31 DFG-IdK/VK (Hg.),Jugend gegen Kriegsdienst, Dokumentation eines Kongresses der Kriegsdienstgegnerverbände, Essen 1970, darin: Projektgruppe 2, Ersatzdienst -- Alternativdienst -- Friedensdienst, Seite 43- 73; Autorenkollektiv, in: Haug/Maessen, Kriegsdienstverweigerer: Gegen die Militarisierung der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1971, Seite 96 - 109
32.
32 vgl. heute: Zivildienst in Kirche und Diakonie, Hg. Zivildienstreferenten der Diakonischen Werke, Frankfurt/Main 1980
33.
33 So z. B. 9. DGB-Kongress, Entschließung Nr. 290, Berlin 1973, Protokoll Seite 231 f.
34.
34 Guido Grünewald, Zur Entwicklung der Kriegsdienstverweigerung und ihrer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Friedensanalysen Nr. 4, Frankfurt/Main, 1977, Seite 116/117
35.
35 vgl. dazu Krölls, a. a. 0., Seite 30-42, insbesondere Seite 32 f.
36.
36 vgl. Schwammborn/Schmitt, Wehrkunde in Schulen, Köln 1973
37.
37 siehe z. B. Todesanzeige f. Hermann Brinkmann Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. l. 1974
38.
38 siehe S. 37 f.
39.
39 Ein Beispiel dafür ist der Fall einer Lehramtsanwärterin, der wegen DFG-VK-Mitgliedschaft die Übernahme in den öffentlichen Dienst (des Landes Bayern) verwehrt worden war und die erst mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Az. 2 AZR 144/81) ihren Anspruch auf Einstellung als Lehrerin durchsetzen konnte. Frankfurter Rundschau vom 9. 4. .83 und 11. 4. 83 (Dokumentation)
40.
40 EAK/KAK (Hg.): Gegen die Inquisition des Gewissens, Bonn -- Bad Godesberg 1974
41.
41 DFG-ldK/VK (Hg.): Dokumentation »Grundrecht schützen«, Essen 1974 Seite 21 und 31
42.
42 Prozessdokumentation in: Dieter Blumenwitz, Wehrpflicht und Ersatzdienst München 1978
43.
43 Abweichende Meinung des Richters Hirsch zum Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 4. 1978, zitiert nach: Europäische Grundrechte, 5. Jg., Heft 7/1978, Seite 179 f.
44.
44 Zentralstellenerklärung vom 20. 4. 1978, vgl. dazu auch H. Kalkbrenner, Anmerkungen zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. 12. 1977, in: Bayerisches Verwallungsblatt, 2/78, Seite 80 ff.
45.
45 Die Süddeutsche Zeitung berichtete am l. 12. 1977, dem 2. Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, unter der Überschrift: »Neue Rekordzahl von Kriegsdienstverweigerern«: »Bundesverteidigungsminister Georg Leber äußerte sich vor Journalisten besorgt über diese Entwicklung. ... Die Juristen des Ministeriums verweisen darauf, dass in dem Gesetz eine Art »Notbremse« eingebaut sei. Dies erlaube es dem Bundestag, das Prüfverfahren in einer modifizierten Form wieder einzuführen, falls die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr durch eine zu hohe Zahl von Kriegsdienstverweigerern gefährdet sei. Auf der Hardthöhe wurde am Mittwoch nicht ausgeschlossen, dass diese Situation schon im Januar oder Februar des kommenden Jahres eingetreten sein könnte -- wenn der augenblickliche Trend anhalte. «
46. 46 U. Finckh, Wenn sich Richter verrechnen, in Alberts/Thomsen: Christen in der Demokratie, Wuppertal 1978, Seite 365-378 und U. Finckh, Statistik gegen Recht, Bremen 1979;
dagegen: G. Hahnenfeldt, Der Zahlenkrieg um die Kriegsdienstverweigerung, in: Bundeswehrverwaltung, 1/1980;
47.
47 siehe Seite 177 ff.
48.
48 Zentralstelle (Hg.): Nach dem Karlsruher Urteil, Hinweise für Kriegsdienstverweigerer. Bremen 1978
49.
49 Bundesverwaltungsgerichtsurteil 6 C 55.79 vom 18. 6. 1980
50.
50 Vgl. dazu Dokumentation der EAK, Respekt vor Gewissensentscheidungen, Bremen 1977, herausgegeben anlässlich der Einweihung der »Gustav-Heinemann-Kaserne« in Essen am 7. 7. 1978
51.
51 »Die Welt« am 2. 12. 1977
52.
52 der Zivildienst, 10/77, Seite 3
53.
53 Frankfurter Rundschau vom 30. 12. 1977
54.
54 vgl. z. B. die Fälle Brüder Moß und Thomas Hansen; siehe S. 109 ff.
55.
55 veröffentlicht in »ZDL-Informationen«, hrsg. von der Arbeitsstelle für die katholische Seelsorge an ZDL, Heft 4/77, Seite 39
56.
56 veröffentlicht in »info-pax«, hrsg. vom ev. Beauftragten für die Seelsorge an KDV und ZDL in Westfalen; Bielefeld 1979
57.
57 veröffentlicht in »ZDL-Informationen«, Heft 4/79, Seite 50/51
58.
58 aus: Bericht des Vorsitzenden der Zentralstelle über das Hearing des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 16. l. 1980, Rundschreiben der Zentralstelle vom 22. l. 1980
59.
59 Bundestagsprotokoll vom 3.7. 1980
60.
60 Bundestagsdrucksache 9/808 vom 16. 9. 81
61.
61 Bescheid des Prüfungsausschusses 3 beim Kreiswehrersatzamt Nürnberg vom 20. l. 1983 (Zentralstellenakten, Ordner 531)
62.
62 Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. September 1980, Az: AN 7434- IV/78\' (XIII)
63.
63 Bescheid des Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Hannover vom 16. 2. 1981 (Zentralstellenakten, Ordner 531)
64.
64 Frankfurter Rundschau vom 9. 4. 1981 (Dokumentation)
65.
65 »Gefährdungen der Gewissensfreiheit«, Referat auf dem Kongress der Zentralstelle, später veröffentlicht in: Vogel, Simon, Podlech (Hg.), Die Freiheit des Anderen, Festschrift für Martin Hirsch, Baden-Baden 1981, siehe Seite 142
66. 66 Arbeitsgruppen wurden zu folgenden Themenbereichen eingerichtet:
Menschenrecht Gewissensfreiheit -- Menschenrecht und Staatsraison
Gewissen und Gewissensfreiheit
25 Jahre Gewissensprüfung -- Theorie und Praxis der KDV-Verfahren
Die Folgen für abgelehnte Kriegsdienstverweigerer: Emigration -- Krankheit -- Kriminalisierung
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 4. 1978
Kritische Analyse -- Möglichkeiten und Grenzen für eine gesetzliche Neuregelung
Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr 8: Zivildienst -- ein »Wehrdienst ohne Waffen? «
67.
67 aus »Menschenrecht Gewissensfreiheit«, Kongressbericht in »wub -- was uns betrifft«, hrsg. von KDV und ZDL mit Unterstützung der ev. Beauftragten für die Seelsorge an ZDL, Heft 3/81, Seite 9 ff.
68.
68 ebda.
69.
69 ebda.
70.
70 vgl. Karl-Heinz Janßen »Die Not der Abgeschmetterten -- Doch die Politiker wollten davon nichts hören«, in: Die Zeit, Nr. 14 vom 27. 3. 81, S. 2
71.
71 vgl. Seite 183 ff.
72.
72 vgl. Seite 180 f.
73.
73 vgl. Seite 99 ff. und 202 ff.
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