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Freiwilligkeit oder Pflicht - von Gewissen, Gerechtigkeit und Militär

Maybrit Illner im Gespräch mit Gerd Greune (Präsident des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung), Margot Käßmann (Präsidentin der Zentralstelle KDV), Jürgen Kohlheim (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht), Martin Morgner (Dramaturg, ehemaliger Bausoldat), Renate Schmidt (Ex-Jugendministerin und frühere Präsidentin der Zentralstelle KDV)

bei der 50-Jahr-Feier der Zentralstelle KDV
am 2. März in Berlin

Illner: Gleich zur Sache: Herr Greune, Sie haben tatsächlich Wehrdienst geleistet, drei Jahre lang, 1967 bis 1969.

Greune; Es waren anderthalb Jahre, von Ende 1967 bis Anfang 1969.

Illner: Wie ging es zu in der Armee?

Greune: Es war so, dass ich selber aus einem Elternhaus kam, das nicht sehr politisch war. In der Schule wurden zwar Brecht, Grass und Böll behandelt, aber recht wenig die Politik betrachtet. Für mich war die Vorstellung, zur Bundeswehr zu gehen, dass man in diesem Land sehr viel reformieren kann, also auch die Bundeswehr. Mit diesem Engagement ging ich schon dorthin, das war aber dann eine Illusion. Das Militär konnte man nicht reformieren. Dort waren natürlich noch alte Haudegen aus der Wehrmacht. Knapp 20 Jahre nach dem Krieg und 10 Jahre nach dem Wiederaufbau waren dort noch eine ganze Menge Leute aus den alten Zeiten dabei. Wenn man kritisch hinterfragte - was ich natürlich gelernt hatte - wurde man schnell an die Seite gedrückt. Die Chance, Diskussionen zu führen und etwas in Frage zu stellen, gab es nicht. Es war relativ schnell klar, dass man dort nichts verändern kann. Also habe ich verweigert und gesagt, ich kann da nicht mitmachen. Die Ausschlisse und Kammern allerdings habe ich nicht sehr ernst genommen. Von denen anerkannt zu werden, fand ich nun nicht gerade witzig, das waren auch alles Soldaten aus der Zeit 1933 bis 1945. Ich war wirklich sehr froh, dass am Ende ein Verwaltungsgericht meine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aussprach.

Illner: Gab es ein besonderes Ereignis, das dafür sorgte, dass sie die danach folgende Karriere z.B. als Vorsitzender der DFG-VK gemacht haben?

Greune: Ich wollte mich nicht organisieren. Als ich dann aber sah, was auf mich zukam, dass ich eine Klage gegen die BRD machen musste, um als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, da musste ich mir doch Hilfe holen. So kam ich damals zur DFG-IDK nach München und habe gefragt: »Was mache ich denn jetzt, das ist mir juristisch zu kompliziert?« In dem Gerichtsverfahren gab es einen Streitwert von 6.000 D-Mark, und das konnte ich mit meinem Sold gar nicht bezahlen. Um das Thema Bundeswehr ging es dann auch nicht mehr nur alleine, sondern generell um Krieg und Frieden, um Fragen des Ost-West-Konflikts. Da stand die Existenzfrage: Schaffen wir es, den Frieden zu erhalten, oder gehen wir unter im atomaren Zeitalter?

Illner; Renate Schmidt, nicht nur diese wahnsinnig vielen politischen Funktionen, sondern auch noch Mutter von drei Kindern, zwei Söhne sind dabei. Wie hat man im Hause Schmidt das Thema für diese zwei Jungs besprochen?

Schmidt: Mein Vater war im Krieg Soldat und kam zurück mit dem Satz »Nie wieder Krieg!« Dennoch bin ich in einem eher unpolitischen Elternhaus aufgewachsen. Ich glaube, dass meine Eltern in den ersten Jahren nach Gründung der Republik wahrscheinlich CSU gewählt haben.

Illner: Haben Sie mit Ihren Eltern über deren Kriegserfahrungen gesprochen?

Schmidt: Da war ich ja noch sehr klein. Ich bin zwar uralt, aber so alt bin ich nun auch wieder nicht.

Illner: Stimmt! Wir haben jetzt noch nicht dazu gesagt, über welches Alter wir reden, aber... Sie sind sowieso die schönste 40-Jährige die ich kenne!

Schmidt (lacht): So, so... Als damals die Wiederbewaffnung entschieden worden ist, war mein Vater das erste und einzige Mal auf einer Demonstration. Allerdings ist er auch nicht mehr wählen gegangen. Das war zwar höchst unpolitisch, aber für ihn war ein Versprechen gebrochen worden: »Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen«, hatte Strauß gesagt. Ich war also kritisch erzogen worden, und mein Mann hatte ähnliche Überzeugungen. Unsere Kinder haben wir zwar nicht indoktriniert, aber natürlich war unsere Haltung zu Krieg ein Gesprächsthema. Meine beiden Söhne haben den Kriegsdienst verweigert. Mein älterer Sohn musste noch das gesamte Verfahren mit Gewissenprüfung und allem drum und dran durchstehen. Er ist erst zum Technischen Hilfswerk gegangen, hat geglaubt, dass er dann dadurch die Bundeswehr vermeiden kann. Nachdem er bereits drei oder vier Jahre dabei war, jedes Wochenende mit nur vier Wochen Urlaub im Jahr, kam eine Übung; er musste üben, Verletzte auszusortieren. Da hat er gesagt, das würde er im Ernstfall niemals machen, Menschen danach einzusortieren, wer zuerst ins Krankenhaus kommt, wer eine Behandlung verdient und wer nicht. Bei meinem jüngeren Sohn war dann das KDV-Verfahren problemlos.

Illner: Weil es keine Gewissensprüfung mehr gab? Schmidt: Ja, das war ein großer Fortschritt.

Illner: Herr Kohlheim, Sie wären so wahnsinnig gern zur Armee gegangen.

Kohlheim: Ja, das ist richtig.

Illner: Warum eigentlich? Sie waren jung und brauchten das Geld!?

Kohlheim: So ist es! Das waren ganz einfache und normale Gründe. Ich bin auch in einem völlig unpolitischen Elternhaus groß geworden. In meiner gesamten Klasse, ich habe 1962 Abitur gemacht, war nicht ein einziger, der den Kriegsdienst verweigert hat, das war überhaupt kein Thema. Man ging zum Bund, und das war's! Und dann kam dieser zweite Aspekt, der finanzielle. Ich wollte mich auf zwei Jahre verpflichten, man konnte dann nämlich nach anderthalb Jahren Leutnant werden und kriegte dann ordentliches Gehalt als Offizier, man konnte den LKW-Führerschein machen, all diese Dinge... Es waren also rein materielle Beweggründe. Ich habe mir über die Frage der Kriegsdienstverweigerung und des Tötens von Menschen zu diesem Zeitpunkt, das muss ich gestehen, keine Gedanken gemacht. Das war eben einfach so. Man hat mich nicht gelassen, weil ich nur tauglich 3 war.

Illner: Martin Morgner, Sie haben 1973 bis 1975 Wehrdienst in der NVA geleistet als Bausoldat. Können Sie den Menschen hier erzählen, wie es in einer Einheit von Bausoldaten zuging?

Morgner: Genau so, wie es sehr unterschiedliche Gründe gab, zu den Bausoldaten zu gehen, war das im Verlauf von 25 Jahren zwischen 1964 und 1990 doch sehr unterschiedlich. Ich war in der Mitte dieser 25 Jahre Bausoldat, und das war doch sehr militärisch. Es gibt die Anekdote zu unserer Uniform mit den goldenen Spaten auf den Schulterklappen: In der NVA gab es nur zwei Waffengattungen, die Gold hatten auf der Schulter, das waren Generäle und Bausoldaten. Das war unser Stolz damals! Im Nachhinein ist das sehr interessant mit der Gewissensentscheidung: Wir haben militärische Aufgaben gelöst und konkret einen Flugplatz in der Nähe von Jüterbog gebaut. Im nahegelegenen Dorf wurde gemunkelt, dass dort sowjetische Atomwaffen gelagert werden sollten. Wir haben also dazu beigetragen, die Lage zu verschärfen. Und das war dann eine der wichtigsten Gewissensentscheidungen: Geht man dorthin oder verweigert man total. Dieser Flugplatz ist jetzt noch aktiv als Fliegerhorst der Bundeswehr. Es war also - ironisch ausgedrückt! - nicht ganz sinnlos, dass wir den gebaut haben. Aber damit muss man ja fertig werden. Ich habe dann in der zweiten Hälfte meiner Bausoldatenzeit einen Atomschutzbunker gebaut, natürlich für Generäle, in der Nähe von Berlin. Nach dem Zusammenbruch der DDR war ich wieder dort, und der Bunker war zerfallen, verrottet...

Illner:... einen schöneren Anblick hätten Sie nicht erwarten können.

Morgner: Genau. Dieser riesige Aufwand zum Schutz der DDR ist nun eigentlich für die Katz' gewesen.

Illner: Es gibt ein ganz interessantes Zitat von Admiral Wellershoff, des 2005 verstorbenen Generalinspekteurs der Bundeswehr: »Wir Soldaten haben den Frieden zum Beruf.« Er machte diese These fest an der gelungenen Verschmelzung von NVA und Bundeswehr. Frau Käßmann, was ist gegen diesen Satz zu sagen, dass der Sinn des Soldatenseins im Frieden bestehen kann?

Käßmann: Ich kann das so nicht sehen. Ich weiß auch, dass der Nationalsozialismus nur militärisch besiegt werden konnte. Ich habe allerdings vorhin in meinem Vortrag schon gesagt: Dem Gegenteil wurde nie eine wirkliche Chance gegeben - Formen von Bürgerwiderstand, Finanzierung bürgerlichen Engagements in friedliche Lösungen von Konflikten, Mediation und andere Methoden, die vorhanden sind. Ich denke, es ist leicht. immer ganz schnell zur Waffe zu greifen, aber es ist ganz schwer, aus einem Waffengang wieder rauszukommen. Und die Kosten, der Preis ist mir zu hoch.

Illner: Kann ich da gleich bei Herrn Morgner nachfragen, wie Sie das sehen?

Morgner: Ich war Gott sei Dank nicht dabei, als die beiden Armeen angeblich verschmolzen sind. Ich habe das eher so erlebt, dass die NVA untergegangen ist. Mir ist eigentlich als schöne Erinnerung nur geblieben, dass ich hier heute als Vertreter einer der besten Armeen der Welt bin, nämlich einer, die sich aufgelöst hat!

Illner: Man könnte also sagen, Sie sind quasi Exilant einer Armee, die es nicht mehr gibt!

Morgner: Ja, ungewählter Abgesandter einer Armee, und ich denke, es wäre gut, wenn das Schule machen würde!

Illner (lacht): Noch mehr davon!

Greune: Das war auch eine der ersten Aktionen, die wir nach der Wiedervereinigung mit den Demokratie- und Friedensgruppen aus der DDR machten: Deutschland ohne Armee. Da gab es eine große Initiative, und man hatte das Gefühl, dass das Schule machen kann, was da abgelaufen ist. Warum sollten wir jetzt eigentlich in Deutschland genauso viele Streitkräfte haben, wie es sie im Kalten Krieg gab? Wir taten gut daran zu sagen: Darauf können wir verzichten, wir sind von Freunden umgeben! Die Gegenseite hat verzweifelt nach Argumenten gesucht, wenn ich das richtig verfolgt habe. Diese Idee von Wellershoff finde ich wirklich völlig fatal! Es ist keine gute Idee zu sagen, dass das eine Friedensarbeit ist, die da stattfindet. Das ist eher eine Selbstbeschäftigung. Die Friedensarbeit, die gibt es wegen der Europäischen Union. Da ist etwas ohne Waffen zusammengekommen, was über Jahrhunderte Kriege gemacht hat...

Illner:... und nicht nur als Philosophie existiert.

Greune: Zunächst jedenfalls. Jetzt bemüht man sich auch da, Streitkräfte hinzusetzen.

Illner: Vielleicht stellen wir uns noch einmal die Frage nach dem Gewissen. Frau Schmidt, man wünscht sich natürlich, dass alle Politikerinnnen und Politiker nach ihrem Gewissen entscheiden. Wo lag und liegt da bisher Ihre Lösung?

Schmidt: Trotz der von mir gerade geschilderten Geschichte sehe ich mich nicht als Pazifistin. Es ist jedes Mal wieder eine neue Entscheidung zu treffen. Ich weiß zum Beispiel bis jetzt noch nicht, bin mir jetzt allerdings schon ein bisschen klarer, dass ich es diesmal wahrscheinlich nicht mit meinem Gewissen verantworten kann, dem Tornadoeinsatz zuzustimmen, aber ich... (Applaus bricht los) ... nein, nein! Ich habe hohen Respekt vor all denen, die in Kenntnis der Tatsachen zu einer anderen Entscheidung kommen. Ich befürworte alles, was Frau Käßmann gesagt hat, dass man Alternativen versuchen müsste - nur, dazu gehört soviel! Nicht nur bei uns, sondern in der Welt insgesamt, was da passieren müsste. Zum Beispiel das Sich-unterordnen aller Nationen unter die Uno. Auch wenn ich als Politikerin es am liebsten ohne Waffen versuchen würde, kann es Situationen geben, wo man sagt: »Dieser Einsatz von Waffen ist notwendig!« Und es kann andere Situationen geben, wo man sagt: »Nein, an dieser Stelle mache ich nicht mit!« Ich würde mir niemals anmaßen, mich gegenüber anderen, die anders entscheiden, zu überheben und ihnen abzusprechen, dass auch sie nach ihrem Gewissen entschieden haben.

Illner: Herr Kohlheim, es gibt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wie ist vereinbar, dass ich das, was mir zugestanden wird durch die Verfassung, besonders erklären muss?

Kohlheim: Das liegt daran, dass diese Verfassungsnorm, die die Gewissensfreiheit garantiert, dem Gesetzesvorbehalt unterliegt - und damit wird der Gesetzgeber tätig und führt ein Verfahren ein. Ein Verfahren zur Überprüfung des Gewissens, mit dem ich als Richter durchaus Probleme habe, weil ich mich immer gefragt habe, wie ich eine Gewissensentscheidung denn tatsächlich überprüfen kann? Ich habe diese Verfahrensweise der Gewissensprüfung nie wirklich nachvollziehen können. Bei mir haben die Verhandlungen nie länger als eine halbe Stunde gedauert, und das war eigentlich schon immer viel zu viel.

Illner: Sagt ein Richter dieses Landes! Herr Morgner, Frage an Sie mit dem Hintergrund, dass Sie aus der DDR kommen. Bausoldat waren und von der Staatssicherheit bespitzelt wurden: Wie frei ist man als Bürger wirklich in einer solchen Entscheidung und wie sehr brauchte man gegebenenfalls die Unterstützung des Staates und eine Einweisung in Rechte, die man hat, wenn man eine solch schwere Entscheidung fällen will?

Morgner: Bei mir war das so, das ich über die Existenz von Bausoldaten in der evangelischen Studentengemeinde hier in Ost-Berlin hörte. Die Gewissensentscheidung wurde gefördert im kirchlichen Raum, obwohl ich selbst nicht religiös war. Ein grundsätzlicher religiöser Pazifismus wurde dort gepflegt, und man wurde unterstützt, ähnlich wie das in der BRD die Zentralstelle KDV gemacht hat. Sie haben nach Freiheit gefragt: Auf der einen Seite war es natürlich Zwang, und es gab drei Möglichkeiten: Ganz normal zur NVA zu gehen, Bausoldat werden oder ins Gefängnis - und da kann man ja auch nicht von Freiheit sprechen.

Illner: Frau Käßmann, warum fällt es der evangelischen Kirche so schwer, ein ganz klares Statement gegen die Wehrpflicht loszuwerden?

Käßmann: Das ist natürlich ein bisschen gemein, mir diese Frage zu stellen, weil ich immer für eine solche Position eingetreten bin. Aber die Evangelische Kirche in Deutschland ist natürlich vielfältig in der inneren Meinungsfreiheit. Da ist also Diskussionsbedarf. Dabei wissen ganz viele gar nicht, wie krass die Wehrungerechtigkeit ist, das von 410.000 eben nur noch 70.000 zur Bundeswehr einberufen werden.

Illner: Herr Greune, ist über kurz oder lang mit einem europäischen Beschluss in Sachen Wehrpflicht, Kriegsdienstverweigerung und Rechte von Kriegsdienstverweigerern zu rechnen?

Greune: Nein! Die Europäische Union ist für diesen ganzen Bereich gar nicht zuständig ist, das ist eine souveräne Frage der Einzelstaaten. Was passieren kann, ist, dass wir das einzige Land in Europa sein werden, was noch die Wehrpflicht hat. Immer mehr, Frankreich, Spanien, Italien hören damit auf. Da sollte man sich europäisch mal ein bisschen orientieren.

Illner: Nun haben wir Herrn Kohlheim hier auch deshalb sitzen, weil er zu den mutigen Richtern gehört, die die Grundsatzfrage nach der Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht gestellt haben. Ihr Gericht hat 2004 Einberufungsbescheide aufgehoben. Mit welcher Begründung?

Kohlheim: Für uns war ausschlaggebend, dass wir die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gewährleistet gesehen haben. Wir sind ja grundsätzlich als Richter an Recht und Gesetz gebunden, wir müssen also das Wehrpflichtgesetz auslegen; aber dieses Wehrpflichtgesetz steht natürlich unter dem Vorbehalt der Gleichheit, Artikel 3 Grundgesetz. Wir haben aufgrund der offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums festgestellt, dass eben nicht die 90 Prozent, die ja eigentlich erforderlich sind, um noch von einer Gerechtigkeit sprechen zu könne, eingezogen werden, sondern nur ein Drittel der Wehrpflichtigen. Und sogar unter Einbeziehung der Zivildienstleistenden, die wesentlich häufiger und stärker herangezogen werden, selbst unter Einbeziehung dieser größeren Zahlen ergab sich eben immer noch ein weitaus geringerer Teil, der tatsächlich zum Zwangsdienst gezogen werden würde. Das war für uns der ausschlaggebende Gesichtspunkt zu sagen: Das ist mit der Verfassung nicht mehr vereinbar. Wir haben dann dem Bundesverfassungsgericht, weil wir als Verwaltungsrichter nicht über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst entscheiden können, diese Frage vorgelegt, ob die Wehrpflicht noch zu rechtfertigen ist im Hinblick auf die Wehrgerechtigkeit.

Illner: Jetzt erzählen Sie uns, wie der Fortgang der Dinge war.

Kohlheim: Es gab zwei Verfahren. Das eine Verfahren betrifft eben den Vorlagenbeschluss. Der hängt noch beim Bundesverfassungsgericht. Bei dem anderen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht unsere Entscheidung aufgehoben, die Sache an uns zurückverwiesen, und wir haben es dann auf rheinische Art erledigt...

Illner: Das müssen Sie uns erklären: Was ist die »rheinische Art«?

Kohlheim: Einige kennen ja den kölschen Klüngel. So haben wir's natürlich nicht gemacht, aber wir haben eine einvernehmliche Lösung gefunden, so dass wir keine Entscheidung treffen mussten. Der junge Mann ist dann zurückgestellt worden.

Illner: Aber es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht geben müssen?

Kohlheim: Hoffentlich! Wir warten darauf, dass das möglichst bald geschieht; mir ist signalisiert worden, dass das im nächsten Jahr kommt.

Illner: Was tippen Sie denn, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet? Immerhin hat Alt-Bundespräsident Roman Herzog die Wehrpflicht einen »tiefen Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers« genannt, sie ist »kein allgemein gültiges Prinzip.«

Kohlheim: So ist das! Und wir hoffen, dass die Zahlen dem Bundesverfassungsgericht zu denken geben. Nun hat Herr Finckh ja in seiner Ansprache schon sehr deutlich gemacht, wie man Zahlen und damit letztendlich auch Gerichte manipulieren kann. Wir hoffen dass das Bundesverfassungsgericht dieses Mal von den richtigen Zahlen ausgeht und erkennen wird, dass dieser Kriegsdienst, immerhin ein Zwangsdienst, mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht mehr zu vereinbaren ist.

Illner: Frage sofort an die Politikerin: Warum überlassen wir es eigentlich wieder den Gerichten zu entscheiden, ob wir noch wehrgerecht oder längst wehrungerecht einziehen?

Schmidt: Es gibt hier sehr sehr unterschiedliche Auffassungen. Meine Auffassung ist allgemein bekannt: Ich bin der Meinung, dass wir erstens wegen der gerade geschilderten Wehrungerechtigkeit die Wehrpflicht nicht mehr aufrecht erhalten können. Ich sag' noch mal die Zahlen: Im letzen Jahr 70.000 Eingezogene zur Bundeswehr, und zwar einschließlich der Freiwilligen, also nicht nur der Wehrpflichtigen, von rund 410.000, die in Frage gekommen wären. Und da können wir nun nicht die Zivildienstleistenden, die 90.000 noch dazurechnen, weil es nur darum geht: Wie viele braucht die Bundeswehr? Die braucht von einem Jahrgang ungefähr nur ein Fünftel. Es ist noch nicht einmal mehr so, dass alle gemustert werden, und dies ist auch keine positive Geschichte den jungen Menschen gegenüber, sondern das bedeutet eine hohe Unsicherheit, was Studium, Ausbildungsplatz und Arbeitsplatz bedeutet. Das ist der zweite Grund. Und der dritte: Ich meine, dass die Bundeswehr heute so viele andere Aufgaben hat als zu der Zeit, als die Wehrpflicht eingeführt worden ist. Damals ging es ausschließlich um Landesverteidigung und da war auch eine größere Zahl von jungen Leuten angeblich notwendig. Heute geht es nicht mehr nur um Landesverteidigung, sondern heute geht es um Friedenssicherung in irgendeiner Art und Weise auf der Welt. Und dieses ist in meinen Augen mit einer Wehrpflichtarmee nicht zu vereinbaren. Aber das ist meine Position. Und ich bin in meiner Partei, in der SPD, in einer - wie ich hoffe - wachsenden Minderheit. Aber eben in der Minderheit.

Illner: Was kämpft in Ihrer Partei so?

Schmidt: Die einen sagen, dass nur eine Wehrpflichtarmee in der Gesellschaft ausreichend verankert ist. Ich referiere jetzt, dass ist nicht meine Position! Und der zweite Grund ist, dass eine Freiwilligenarmee eine negative Auslese bedeuten würde. Bei dem zweiten Argument gibt es solche Äußerungen bei den europäischen Ländern, die ihre Wehrpflichtarmee in eine Freiwilligenarmee umgewandelt haben. Dass sie nicht gerade besonders glücklich sind, wie sich die Strukturen dieser Armee verändert haben. Diese Diskussion ist noch nicht ausgestanden, wir werden auf dem nächsten Bundesparteitag im Herbst wieder darüber diskutieren, und ich hoffe, dass das wenigstens ein Signal wird, dass das auf Dauer nicht so bleiben kann.

Illner: Woher kommt dann das Aufbegehren und die Unterstützung für die Freiwilligenarmee? Herr Greune, haben Sie das Gefühl, dass da Druck von der Basis gemacht wird?

Greune: Also ich erwarte da auch nicht zuviel von Parteien oder von der Regierung. Wenn da nicht gesellschaftlicher Druck entsteht, wird es keine Veränderung geben. Die Parteien und der Bundestag alleine werden da wahrscheinlich weiter so rumdiskutieren wie bisher! Die Tendenz ist dort: Lassen wir die Finger davon, bevor wir uns verbrennen, und lassen es, so wie es ist. Ich denke, das muss eine Bewegung sein, die auf der Straße stattfindet! Zwangsdienst muss man ernster diskutieren! Das ist nicht eine Frage von Statistik oder eine Frage von Ungerechtigkeit. Zwangsdienste gegenüber jungen Menschen kann man nur rechtfertigen, wenn sie begründet sind, und nicht weil sie immer stattgefunden haben oder weil sie irgendwie historisch ... oder möglicherweise demokratische Kontrolle... Nichts davon ist bewiesen!

Illner: Gerhard Schröder hat 2002 Wahl mit dem Thema Krieg und Frieden gewonnen. Warum ist das mittlerweile kein Gewinnerthema mehr, Frau Käßmann?

Käßmann: Ich denke, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland eine ganz klare Option gegen den Krieg hat. Da ist meine Frage: Wie können unterschiedliche Organisationen dieses zivilgesellschaftliche Engagement gegen den Krieg stärker stützen? Die Diskussion um die Wehrpflicht ist ein guter Partner in dieser Diskussion. Ich bedaure es und wundere mich auch, warum diese Diskussion so gedämpft geführt wird.

Schmidt: Es gibt im Moment eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen den Einsatz der Tornados. Aber das heißt nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Wehrpflicht wäre.

Illner: Wenn es keine Wehrpflicht mehr gäbe: Wäre dann eigentlich noch gewährleistet, das sich jemand diesem Dienst verweigern könnte?

Käßmann: Aber das Recht auf Gewissensfreiheit bleibt ja bestehen! Und dafür tritt die Zentralstelle KDV ja ein, dass auch Soldaten in der Bundeswehr sich entscheiden, noch zu verweigern.

Kohlheim: Ich denke nicht, das Artikel 4 abgeschafft wird, denn er steht in der Verfassung. Unser Vorlagebeschluss tangiert diese Frage ja überhaupt nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht sagen würde, die Wehrgerechtigkeit ist nicht mehr gegeben, wird es dem Gesetzgeber aufgeben, für Wehgerechtigkeit zu sorgen oder die Wehrpflicht abzuschaffen. Das ändert aber nichts daran, dass das allgemeine Recht auf Gewissensfreiheit, das ja auch über die Wehrpflicht hinausgeht, unberührt ist.

Illner: Klar, es muss nur auch heute schon heftig erkämpft werden, wie wir sehen.

Kohlheim: Es muss in diesem Bereich erkämpft werden, weil wir den Artikel 12a haben, der den Zwangsdienst für Männer vorsieht.

Illner: Dann stellen wir noch mal die Frage nach dem Zivildienst und die geht an Frau Käßmann: Wie viel Uneigennützigkeit wohnt der EKD inne beim Zivildienst bezüglich der diakonischen Einrichtungen. Warum - ich frage es noch einmal zugespitzt - sagt die EKD nicht sehr viel massiver: Eigentlich wäre es auch ganz schön, wenn anstelle der Zivildienstleistenden Freiwillige in unseren Einrichtungen tätig wären.

Käßmann: In den Einrichtungen, ich nehme jetzt mal das Diakonische Werk, weil ich das am besten kenne, ist doch längst klar: Die wissen auch, wie Wehrgerechtigkeitszahlen aussehen und dass es eine Wehrungerechtigkeit gibt; die haben sich doch längst darauf vorbereitet, dass es eine Zeit geben wird nach der Wehrpflicht und nach dem Zivildienst. Zivildienstleistende kosten übrigens auch Geld, die sind nicht ganz umsonst zu haben. Und die neun Monate Zivildienst sind für viele Einrichtungen auch schon eine relativ kurze Zeit. Bis jemand eingearbeitet ist und dann schon wieder geht, also einarbeiten, weggehen und wieder neu einarbeiten, so dass die Zahlen des Diakonischen Werkes sagen: Für drei Zivildienstleistende werden dann zwei Stellen geschaffen, und da werden Menschen langfristig eingearbeitet. Diese Zeit wird kommen, und darauf ist das Diakonische Werk vorbereitet.

Kohlheim: Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt, weil der Zivildienst ja geprägt sein soll von dem Prinzip der arbeitsmarktpolitischen Neutralität. Das ist er real natürlich nicht, denn Zivildienstplätze sind Arbeitsplätze geworden. Und wenn ich den Zivildienst abschaffen würde, müsste ich auf der anderen Seite neue Stellen schaffen, denn der soziale Bereich braucht natürlich Arbeitskräfte.

Schmidt: Ich habe in meiner Zeit als Ministerin die Kommission »Zukunft des Zivildienstes und der

Freiwilligendienste in Deutschland« eingerichtet. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Es ist überhaupt keine Schwierigkeit, diese Umstellung vorzunehmen. Es gibt genügend junge Leute - und ältere -, die gerne Freiwilligendienste leisten möchten. Wir haben heute auf jedem Platz im Freiwilligen und Ökologischen Jahr mindestens drei bis fünf Bewerbungen. Wir haben also gar nicht genug Plätze. Es ist überhaupt keine Schwierigkeit, den Zivildienst umzuwandeln in Freiwilligendienste und in geregelte Arbeitsplätze. Man braucht ein bisschen Zeit dazu, und man muss vor allem das Geld, was heute für Zivildienst ausgegeben wird, dann für Freiwilligendienste ausgeben und nicht glauben, das wäre die Sparkasse des Finanzministers.

Illner: Zum Schluss möchte ich wahnsinnig gerne von Herrn Morgner wissen: Wenn Sie so in die Zukunft schauen, wie denken Sie, sieht Deutschland in Bezug auf die Wehrpflicht aus?

Morgner: Die ist ganz bestimmt abgeschafft. In drei Jahren, ganz bestimmt!

Schmidt: 2010!

Illner: Frau Käßmann, Ihre Visionen? Auf einem Feld was jetzt nicht wirklich von Visionen durchsetzt ist.

Käßmann: Ich stimme Herrn Morgner da völlig zu: Sie ist abgeschafft. Außerdem sind sämtliche Gelder, die im Zivildienst vorhanden sind, übergeführt in einen gut organisierten Freiwilligendienst.

Illner: Okay! Ich würde mal sagen, auch auf dieses Bild kann man sich hier vorne schnell verständigen. Und darf sich bei fünf ausgeschlafenen Geistern sehr herzlich für diese Debatte bedanken. Machen Sie weiter so! Vielen Dank!

Der Verlauf der (einstündigen) Gesprächsrunde wurde aufgezeichnet. Für die Veröffentlichung wurde die von der Randaufnahme transkribierte Textfassung stark gekürzt und redaktionell erheblich bearbeitet.

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