Grußwort aus Anlass des 50jährigen Jubiläums
Wolfgang Thierse
der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen am 2. März 2007 in Berlin
Sehr geehrte Frau Käßmann,
sehr geehrter Herr Finckh,
sehr geehrter Herr Greune,
liebe Renate Schmidt,
Herr Dr. Kaiser,
meine Damen und Herren,
dass ausgerechnet im Zentrum des früheren Ost-Berlins der 50. Jahrestag der "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen" gefeiert wird, hätte in deren Gründungsjahr wohl kaum jemand für möglich gehalten. 1957 war Deutschland geteilt, scheinbar auf ewig. In Ost wie West wurden die Streitkräfte formiert und ausgebaut. Die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee symbolisierten in jenen Jahren die Zerrissenheit des Landes sehr anschaulich.
Enorme symbolische Bedeutung hatte auch die Gründung der KDV-Zentralstelle - heute, vor 50 Jahren. Aber dieser Gründungsakt bezeugte etwas ganz anderes: Er war ein Symbol der Hoffnung. Er war Ausdruck der Möglichkeit alternativen Denkens und alternativen Handelns in Gewissensfragen. Dass sich eine solche Zentralstelle überhaupt konstituieren konnte, war alles andere als selbstverständlich - zumindest aus ostdeutscher Perspektive. Trotz des Gegenwindes, trotz aller Widerstände und Unzulänglichkeiten, mit denen sich die Gründungsmitglieder der KDV-Zentralstelle vom Deutschen Ausschuss für Wehrdienstverweigerungsfragen im Sozialpädagogischen Seminar Dortmund 1957 und in den Folgejahren auseinanderzusetzen hatten: Die Etablierung dieser zivilgesellschaftlichen Institution war ein Glanzpunkt der jungen Demokratie in der Bundesrepublik. Sie können es mir glauben: Tausende der ostdeutschen Wehrpflichtigen beneideten in den kommenden drei Jahrzehnten ihre Altersgenossen im Westen um eben diesen Interessenvertreter und um den von ihm repräsentierten Rechtsanspruch auf Verweigerung des Kriegsdienstes.
Es war eine weise Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes, dieses Recht als Grundrecht auszugestalten und in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes aufzunehmen. An prominenter Stelle, in Artikel 4, der die Freiheit des Glaubens und des Gewissens garantiert, heißt es unter Absatz 3: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Wer der Überzeugung ist, dass der Griff zur Waffe stets in die falsche Richtung weist und jeder Krieg, ganz gleich in welcher Form und mit welcher Intention geführt, inhuman ist, der kann sich auf dieses Recht berufen und hat die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Was für ein Rechtsanspruch!
Diese Gewissensentscheidung wurde vom Grundgesetzgeber im Übrigen nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich gewollt - als Bekenntnis zu einer friedlichen Welt. Dieses Bekenntnis findet sich auch in der Präambel des Grundgesetzes, die den Willen postuliert, dem Frieden in der Welt zu dienen. Ich erinnere auch an Artikel 26, der Handlungen, die der Vorbereitung eines Angriffskrieges dienen, für grundgesetzwidrig erklärt, und an Artikel 25, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts dem Bundesrecht vorschaltet. All dies macht deutlich: Unser Grundgesetz wurde als Friedensverfassung konzipiert, als eine Verfassung, die den staatlichen Organen die Pflicht auferlegt, im Einklang mit den anderen Völkern zu leben. Der Schutz des Individuums vor der Heranziehung zum Kriegsdienst durch den Staat, die Einräumung des individuellen Rechts also, den Dienst an der Waffe zu verweigern, ist unmittelbarer Ausdruck dieser Verpflichtung.
Der Deutsche Bundestag hat diese Entscheidung des Parlamentarischen Rates im Grundsatz stets respektiert und bekräftigt.
Gleichwohl hat er sich mitunter auch schwer getan, das wissen Sie. Nicht wenige hätten wohl gerne auf den kleinen Nachsatz in Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes verzichtet: "Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." Aus Sicht der Kriegsdienstverweigerer standen diese Bundesgesetze, die das Nähere regeln, nicht selten in einem - freundlich formuliert - Spannungsverhältnis zu Satz 1 dieser Bestimmung, dem Grundrecht auf Verweigerung.
Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1956 normierte der Bundestag zugleich ein Verfahren für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Dieses Verfahren und andere gesetzliche Regelungen hinsichtlich des damals noch so genannten "Ersatzdienstes" hat es Kriegsdienstverweigerern in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre - man muss es leider so sagen - nicht immer leicht gemacht. Neben anderen diskriminierenden Regelungen war es vor allem das quälende Verfahren der "Gewissensprüfung", das die Ausübung dieses Grundrechts für viele erschwerte.
Der Begriff der Gewissensprüfung steht dabei stellvertretend für eine restriktive, den Vorrang der Landesverteidigung und des Kriegsdienstes betonende Grundrechtsauslegung. Zugleich bringt der Begriff einen Widerspruch zum Ausdruck, der die frühere Praxis des Anerkennungsverfahrens prägte: Ist doch das Gewissen selbst die einzige - wenigstens irdische Instanz - die eine Frage von solcher Tragweite wie die Verweigerung des Kriegsdienstes beantworten, "prüfen" kann.
Die gesetzgeberische Diskussion und Entscheidungsfindung in dieser Frage sollte jedoch immer auch vor dem gesellschaftlichen Hintergrund der damaligen Zeit beleuchtet werden. Als die ersten Kriegsdienstverweigerer ihren Ersatzdienst antraten, waren sie in den Augen vieler Bürger nicht etwa "Überzeugungstäter", die mit guten Gründen keine Waffe in die Hand nehmen wollten. Sie galten allzu oft schlicht als "Drückeberger". Der so genannte Ersatzdienst wurde als "Ersatz", nicht aber als gleichwertig zum Wehrdienst betrachtet.
Die Zeiten der regelmäßigen Gewissensinquisition sind heute glücklicherweise vorbei. Zwar reicht die reine Behauptung, dass das Gewissen den Kriegsdienst verbiete, für eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer auch heute nicht aus, doch ist das schriftliche Anerkennungsverfahren seit den 80er Jahren die Regel. Die Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung sind aufgelöst. Der Ersatzdienst heißt heute nicht mehr Ersatzdienst, sondern Zivildienst und seine Dauer ist dem des Wehrdienstes angeglichen. Und nicht zuletzt: Die Zivildienstleistenden werden schon lange nicht mehr als Drückeberger betrachtet. Vielmehr werden ihre Leistungen für das Gemeinwohl gesellschaftlich anerkannt und geschätzt. Ob es die Betreuung von Behinderten, der Einsatz im Umweltschutz, der Friedensdienst im Ausland - zum Beispiel bei der Gedenkstättenpflege - ist: In all diesen Bereichen leisten sie nicht nur unverzichtbare soziale Arbeit, sondern zugleich aktive Friedensarbeit.
Die Entscheidung gegen den Kriegsdienst ist zugleich ein Plädoyer dafür, Krisen, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen - eine humane Option gerade auch im Zeitalter globaler Verflechtungen. Kriegsdienstverweigerer setzen auf die Chance des Friedens, auf den Abbau von Feindbildern, auf Verzicht auf Aggressionen - im Reden wie im Handeln, insbesondere im politischen Handeln.
Als Politiker, der mit seiner Stimme auch Verantwortung trägt für den Einsatz der Bundeswehr im Ausland - die Bundeswehr ist ja eine Parlamentsarmee - weiß ich aber, dass die friedliche Konfliktregulierung, die natürlich immer Vorrang haben muss, auch scheitern kann. Dann sind ebenfalls Gewissensentscheidungen zu treffen, die bekanntlich Kopfzerbrechen bereiten. Es ist eine unbequeme, sperrige Einsicht: Friedliche, zivile Konfliktregulierung hängt auch, ja ganz entscheidend davon ab, dass alle Konfliktbeteiligten willens sind, friedlich zu bleiben oder es zu werden. Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten, dass es sich heute niemand leicht machen kann, wenn über militärische Einsätze zu entscheiden ist.
Und das ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Als Anwalt der Kriegsdienstverweigerer hat sie in ihrer nunmehr 50-jährigen Geschichte einen herausragenden Beitrag für die Anerkennung dieser Form gesellschaftlichen Engagements geleistet. Sie hat gegenüber Gesetzgeber und Behörden die freie Gewissensentscheidung eingefordert und in der Gesellschaft das Bewusstsein für die Bedeutung des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung geschärft.
Und darum sage ich aus tiefer Überzeugung: Die Zentralstelle KDV hat sich um die Demokratie in Deutschland verdient gemacht! Das heutige Jubiläum ist eine schöne Gelegenheit, Ihnen allen, den ehrenamtlichen und festen Mitarbeitern, für Ihr beispielhaftes ziviles Engagement für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie zu danken!
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