Ausblick: Kriegsdienstverweigerer für eine friedensfähige Welt
Präsidentin Dr. Margot Käßmann
Jubiläum der Zentralstelle KDV
Berlin, 02.03.2007
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Nachdem wir von Herrn Finckh einen ausführlichen Rückblick über die Arbeit der Zentralstelle in den vergangenen 50 Jahren erhalten haben, soll es jetzt um einen Ausblick gehen. „Ist Kriegsdienstverweigerung denn noch ein Thema?", fragen viele. „Das ist doch jetzt alles leicht gemacht!" Aber das Thema bleibt auf der Tagesordnung, weil, das haben wir eben gehört, noch immer Beratung notwendig ist, noch immer.
Doch es gibt noch einen weiteren Horizont über die Beratung hinaus, Kriegsdienstverweigerer tragen dazu bei, dass unsere Welt friedensfähiger wird - und das ist lebensnotwendig. Dazu drei Punkte als Ausblick:
1. Wehrpflicht
Die Öffentlichkeit und insbesondere die Politik, nehmen die Zentralstelle KDV als ständige Kritikerin der Wehrpflicht wahr. Ja, das ist so. Und das wird auch so bleiben. Der Grund ist einfach und liegt in der satzungsmäßigen Aufgabe: Unsere Zentralstelle KDV setzt sich für die uneingeschränkte Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer ein. Ein Konflikt zwischen der eigenen Gewissensentscheidung, die sich gegen militärische Dienste richtet, und dem staatlichen Verlangen, einen solchen Dienst leisten zu müssen, entsteht aber überhaupt erst durch die Verpflichtung zum Wehrdienst, durch die Wehrpflicht. Wird niemand mehr gezwungen, Kriegsdienst zu leisten, dann wird auch niemand mehr gezwungen, gegen sein Gewissen zu handeln. Der Wegfall der Wehrpflicht garantiert als Mindestvoraussetzung die Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer am besten.
Als gemeinsame Einrichtung von 26 Organisationen kann die Zentralstelle KDV nur etwas vertreten, was von allen Organisationen gemeinsam getragen wird. An den Informationsständen, die Sie sehen, können Sie die ganze Vielfalt dieser Organisationen erkennen. Wenn heute hier vermehrt Pastoren zu Wort kommen, liegt das auch an der derzeitigen Aufgabenverteilung. Meine Vorgängerin Renate Schmidt oder mein Vorgänger Helmut Simon waren auch evangelisch, aber keine Pastoren ;-). In der Zentralstelle kommen sehr unterschiedliche Träger zusammen, nur ein Teil ist kirchlich, und dennoch arbeiten wir seit 50 Jahren vertrauensvoll zusammen. Das möchte ich hier in der Friedrichstadtkirche noch einmal betonen. Die kirchliche Motivation ist dabei in der Bibel selbst begründet: „Selig sind die Friedfertigen" (Mt. 5,9).
Nach dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 90er Jahre wurde schnell klar, dass die Zentralstelle KDV im Sinne aller Mitglieder spricht, wenn sie den Wegfall der Wehrpflicht fordert. Zwang steht der Freiheit, auch der Gewissensfreiheit, entgegen, da sind wir uns einig.
Wir haben uns in den letzten 15 Jahren nicht nur mit der Forderung nach dem Wegfall der Wehrpflicht befasst, sondern auch mit den möglichen Folgen eines solchen Wegfalls. Ist eine Freiwilligenbundeswehr demokratieverträglich? Was wird aus dem berühmten „Bürger in Uniform"? Bricht der Sozialbereich zusammen, wenn es keine Zivis mehr gibt? Was wird aus Diakonie und Caritas? Kann eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht gerechter machen? Gründlich und breit diskutiert und wohlüberlegt können wir nach all den Debatten sagen: Wir können auf die Wehrpflicht verzichten! Freiwillig ist besser und einer freiheitlichen Demokratie ohnehin angemessener.
Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger eines Landes. Dafür kann und muss natürlich geworben und motiviert werden - wer sich engagiert, sollte dadurch auch Vorteile haben. Gerade erst beginnt die Steuerpolitik darüber nachzudenken. Politische Konzepte werden so eine „Abstimmung mit den Füßen" erleben. Menschen entscheiden durch ihr freiwilliges Mitmachen, ob etwas richtig und unterstützenswert ist oder nicht. Alle unsere Mitgliedsverbände sind Organisationen, in denen sich Menschen freiwillig engagieren und die durch freiwillige Beiträge finanziert werden. Wir wissen also, wovon wir reden.
Es gibt keinen Bereich in unserem Land, in dem Menschen unter Androhung von Gefängnisstrafen zum Mitmachen gezwungen werden. Die Krankenhäuser und Unfallrettungsdienste arbeiten mit Freiwilligen, selbst die Feuerwehren bestehen aus freiwilligen Profis oder Ehrenamtlichen. Nur wenn es darum geht, zu verteidigen oder Krieg zu führen, möchten sich die Regierenden nicht auf die freiwillige Unterstützung der Bürger verlassen. Vielleicht fürchtet sie genau hier die „Abstimmung mit den Füßen".
„Die Propaganda für Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gehört nicht zu den Aufgaben der Zentralstelle KDV." So steht es in unserer Satzung. Wir dürfen es nicht, ja wir wollen auch niemanden überreden, den Kriegsdienst zu verweigern. Jede muss mit ihrem und jeder muss mit seinem Gewissen vereinbaren, ob sie oder er sich an einem Waffeneinsatz und der Tötung anderer Menschen beteiligen kann. Das gilt auch in einer Freiwilligen-Bundeswehr. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechte der Kriegsdienstverweigerinnen und Kriegsdienstverweigerer bei den freiwilligen Soldatinnen und Soldaten gerade gestärkt. Wir werden auch hier nicht müde werden, immer wieder auf die Gewissensfreiheit hinzuweisen, die in jeder Situation uneingeschränkt gelten muss. Die Entscheidung über „richtig" und „falsch" bleibt aber jeder und jedem selbst überlassen.
Zuweilen irritiert es offenbar, wenn die Zentralstelle KDV ganz praktische Vorschläge zur Verbesserung des Zivildienstes macht. „Wie können Wehrpflichtgegner helfen, dass die Pflichtdienste effektiver gestaltet werden?", heißt es dann. Die erste Frage, die uns unsere Gesprächspartner in den Behörden und Ministerien, aber auch die Abgeordneten stellen, ist: „Was führen Sie mit diesem Vorschlag im Schilde? Wo ist der Hintergedanke, der die Wehrpflicht ins Straucheln bringen soll?" Es gibt aber diesen Hintergedanken nicht. Die Zentralstelle KDV kämpft mit offenem Visier - um es militärisch auszudrücken. Wir sind für die Abschaffung der Wehrpflicht und damit auch für den Wegfall des Pflicht-Zivildienstes. Solange es die Wehrpflicht aber gibt, sollen die Verpflichteten ordentliche Bedingungen für ihren Dienst vorfinden.
Deshalb haben wir etwa, als die Listen mit freien Zivildienstplätzen aus dem Bundesamt und den Wohlfahrtsverbänden hoffnungslos veraltet waren, vorgeschlagen, eine Zivildienstplatzbörse im Internet einzurichten. Wer Zivildienst leisten will, soll schnell eine geeignete Stelle finden können! Zur Zeit engagieren wir uns in der Gestaltung des Zivildienstes als Lerndienst. Wer als Kriegsdienstverweigerer Zivildienst leisten muss, soll jedenfalls gute Bedingungen vorfinden und am Ende des Dienstes sagen können: Es war nicht eine verlorene Zeit. Wir setzen uns auch - wie auch der Bundeswehrverband - für eine Erhöhung des Wehr- und Zivildienstsoldes um zwei Euro ein.
Die Zentralstelle KDV wird sich in den nächsten Jahren zudem dafür einsetzen, dass Zivildienstleistende nicht mehr bei profitorientierten Einrichtungen - Aktiengesellschaften und GmbHs - eingesetzt werden dürfen. Ihr Einsatz muss auf gemeinnützige Einrichtungen beschränkt werden. Wir engagieren uns dafür, dass im Verhältnis nicht mehr Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen werden dürfen als Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst. Wir setzen uns dafür ein, dass ein Arbeitsplatz Vorrang vor dem Wehr- und Zivildienst haben muss.
Ich hoffe, Sie denken jetzt nicht: Das ist ja ein Programm für die nächsten fünfzig Jahre. Wir haben im Vorfeld dieses Jubiläums ernsthaft diskutiert, ob unser Jubiläum denn eines zum Feiern oder eines zum Trauern ist. Es wäre uns natürlich lieber gewesen, wenn es uns heute gar nicht mehr geben würde, wenn unsere Aufgabe erledigt wäre. Nein, das ist kein Programm für die nächsten fünfzig Jahre! Es ist ein Programm für die Zeit, in der es die Wehrpflicht noch gibt. Diese Zeit sollte so kurz wie möglich sein. Daran arbeiten wir - um der Gewissenfreiheit der Kriegsdienstverweigerer willen. Zudem gibt eine Gesellschaft ein deutliches Signal ihres Friedenswillens, wenn sie ihren Bürgern keine Pflicht zum Waffendienst mehr auferlegt. Das würde uns in Deutschland gut anstehen.
2. Freiwilligendienste (1)
Nun sind immer wieder Überlegungen im Raum, Pflichtdienste einzuführen. Ich halte das für einen Irrweg. Zum einen: Wer wollte eine Behörde schaffen, die Jahrgänge von 800 000 jungen Leuten in Pflichtdiensten betreut bzw. verwaltet? Zum anderen: Wer will Pflegebedürftigen, Behinderten, Dienstleistern Zwangsverpflichtete in der Betreuung zumuten ohne jede innere Bereitschaft zu solchem Dienst?
Die Zukunft liegt in Freiwilligendiensten, davon bin ich überzeugt. Gerade erst haben wir den 100 000. Freiwilligen gefeiert, der bzw. die in einer kirchlich-sozialen Einrichtung ein Freiwilliges Diakonisches oder ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert hat. Und das ist nur die Zahl aus dem evangelischen Bereich. Das FSJ zeigt, dass all das Gerede über eine unmotivierte Jugend, die sich nicht engagiert, unzutreffend ist. Allein in den letzten fünf Jahren wurde die Teilnehmendenzahl von 3.500 auf 6000 gesteigert. Und noch immer gibt es nicht genügend Plätze für alle, die einen solchen Dienst leisten wollen. Das ist eine großartige Erfolgsgeschichte! Sie beruht auch darauf, dass das Spektrum der Einsatzfelder erweitert und die Einsatzdauer flexibilisiert wurde. Seit 2002 können auch Kriegsdienstverweigerer anstelle ihres Zivildiensts ein 12monatiges Freiwilliges Diakonisches, Soziales oder Ökologisches Jahr ableisten.
Von Anfang an war das FSJ als Bildungs- und Orientierungsjahr angelegt. Die einzelnen Jugendlichen mit ihren Besonderheiten sollen in ihrem Einsatz vorkommen. Es hat sich gezeigt, wie wichtig Freiwilligendienst für die Biographie ist, etwa mit Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung, die Entfaltung sozialer Kompetenzen oder die Berufsorientierung. Die Freiwilligen lassen sich auf etwas Neues ein, ja, sie wollen neue Erfahrungen machen. Das ist nicht selbstverständlich. Zudem tauchen sie nicht nur kurzfristig in einen anderen Kontext ein, sondern ein ganzes Jahr. Das ist gerade für Jugendliche ein langer Zeitraum, der einen enormen Lernprozess birgt, mit allen Höhen und Tiefen.
Viele junge Leute sind zudem erstmals mit den so genannten Schwachen der Gesellschaft konfrontiert: mit geistlich Armen, Behinderten, solchen, die Leid tragen, mit Kindern mit Lernproblemen, Alten. Soziales Lernen von großer Dichte ist angesagt. Und dieses soziale Lernen hat immer eine Rückwirkung auf die Persönlichkeit. Dass jeder Mensch eine eigene Würde hat und sei er in seinen Lebensäußerungen noch so eingeschränkt, das ist zu lernen im Freiwilligen Jahr. Dass die Schöpfung bewahrt werden will, dass es dazu Geduld und manche kleine Schritte braucht, das ist zu lernen im Freiwilligen Ökologischen Jahr.
Und dass außerhalb der Grenzen Deutschlands manches anders ist, dass wir über eine Fremdheitserfahrung etwas über unsere Identität erfahren, das ist zu lernen im Freiwilligen Diakonischen Jahr. Gleichzeitig gibt es Programme für Jugendliche, die aus dem Ausland einreisen. Da geht es um ein Lernen über nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Die ökumenische Bewegung als Friedensbewegung ist einst aus der Jugendarbeit entstanden, weil junge Leute sich über Grenzen hinweg kennen gelernt hatten. So wird ein Beitrag zu einer friedensfähigen Welt geleistet.
Deshalb muss schon jetzt der Freiwilligendienst gefördert und ausgebaut werden. Und mit dem Wegfall des Zivildienstes, der mit dem Ende der Wehrpflicht einhergehen wird, muss der konsequente Ausbau von Angeboten eines Freiwilligendienstes einhergehen. Wer die Kurzberichte einzelner Jugendlicher liest, beginnt zu ahnen, wie ein solches Jahr ein Leben lang prägen kann. Da lernen junge Leute, sich für andere und für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu engagieren.
Ja, manche mögen sagen, das sei naiv. Weltverbesserer halt. Damit kann man doch keine Politik machen. Aber wir brauchen diesen Stachel im Fleisch gegen das Diktat des „Es geht nicht anders". Wenn junge Leute hierfür in ihrem Freiwilligendienst ein Gespür erhalten, wenn sie bewegt werden, Verantwortung zu übernehmen in unserem Land über das Alltägliche hinaus, dann leistet das Freiwillige Jahr auch einen unschätzbaren Beitrag zur Demokratie.
Das geschieht schon dadurch, dass Jugendliche sich im FSJ gebraucht fühlen, viele beschreiben das in ihren Berichten. Oft machen sie ansonsten offenbar eher gegenteilige Erfahrungen. Hier wird ein Trauerspiel unserer Gesellschaft unterbrochen: es wird viel Engagement gebraucht, aber die Not der einen und die Bereitschaft der anderen zum Engagement kommen nicht zusammen. Im Freiwilligendienst begegnen sich Menschen neu und offen füreinander, diejenigen, die Unterstützung brauchen und diejenigen, die sich engagieren wollen.
Die jungen Leute sind in der Tat wichtig für die Menschen in den Einrichtungen, in denen sie arbeiten. Und die betreuten Menschen fühlen sich durch Freiwillige nicht abgefertigt, sondern ernst genommen, liebevoll umsorgt. Deshalb bin ich überzeugt, wir werden in Zukunft als Zivilgesellschaft Freiwilligenbörsen brauchen. Nehmen wir allein den Bereich der Pflege. Schon jetzt ist nicht bezahlbar, was an Zuwendung notwendig ist, in einer alternden Gesellschaft wird sich diese Herausforderung noch ausweiten. Gleichzeitig sind nur noch 38 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahre erwerbstätig und viele der übrigen 62 Prozent sind sehr fit, zudem mit viel Lebenserfahrung ausgestattet. Hier liegt ein Potential für zivilgesellschaftliches Engagement, das zum sozialen Frieden beiträgt. Solcher Freiweilligendienst kann zertifiziert werden, in Lebensläufen Pluspunkte bringen, als Qualifikation wahrgenommen werden.
Übrigens geht es dabei dann nicht nur um junge Leute. Auch Ältere können ein solches Jahr leisten. Wir könnten die überlasteten Mütter, die nicht wissen, wie sie Beruf und Familie vereinbaren sollen, zusammenbringen mit freiwilligen Großeltern, die ihnen zur Seite stehen. Wir können dem älteren Herrn neu Verantwortung geben, indem er dem Jungen mit der Leseschwäche zweimal die Woche Zeit schenkt. Wir können die arbeitlose Frau von der Lethargie des Dauerfernsehens lösen, wenn sie weiß: die bettlägerige Nachbarin wartet, dass ich komme und zuhöre und Zeit habe.
Im Verhältnis von Pflicht- und Freiwilligendiensten sollten die Gewichte verschoben werden. Es kann doch nicht angehen, dass das Engagement einer oder eines Freiwilligen im FSJ von der Bundesregierung mit 75 Euro pro Monat gefördert wird, das von Kriegsdienstverweigerern, die im FSJ ihren Zivilersatzdienst leisten, aber mit 420 Euro bezuschusst wird. Diese Zahlen zeigen: Noch hat der Bund für Pflichtdienste mehr übrig als für die Förderung von freiwilligem Mitmachen.
Vielleicht aber ändert sich das ja. Das Entwicklungshilfeministerium hat angekündigt, ab 2008 freiwilliges Engagement junger Menschen, die in Länder des Südens gehen, mit mehr als 500 Euro im Monat zu fördern. Das ist ein ermutigendes Zeichen!
3. Krieg und Frieden
Unser Engagement für Kriegsdienstverweigerer hat zusätzliche Auswirkungen, die zur Friedensfähigkeit unserer Welt beitragen.
- Vor zwei Jahren war ich nach Moskau eingeladen zu einer Konsultation der Böll-Stiftung über Kriegsdienstverweigerung. Da wurde deutlich, dass es noch viele Gesellschaften gibt, in denen Kriegsdienstverweigerer weiterhin verachtet werden als Drückeberger und „Weicheier". Viele müssen doppelt so lange Dienst tun wie Soldaten und werden vielfach gedemütigt wie etwa in Russland, wo sie oft in den Kantinen der Kasernen ihre Zeit ableisten. Zwangsrekrutierte werden teilweise bis zum Tod gedemütigt und gequält. Kriegsdienstverweigerung als legitimes Recht - es ist noch ein weiter Weg, bis das weltweit akzeptiert ist!
- Wo kein Kriegsdienst geleistet wird, werden auch keine Waffen gebraucht. Gerade erst haben die beiden großen Kirchen der Bundesregierung eine expansive Rüstungsexportpolitik vorgeworfen. Wir beklagen die Kriege dieser Welt, aber wir verdienen auch an ihnen! Allein im Jahr 2005 gab es einen rasanten Anstieg der Rüstungsexporte. Kriegswaffen im Wert von 1,6 Milliarden Euro sind aus Deutschland ausgeführt worden, das war ein Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr! Auch das Volumen der Ausfuhrgenehmigungen wurde von 3,8 Milliarden 2004 auf 4,2 Milliarden Euro 2005 gesteigert. Wir sind besonders beunruhigt, dass Rüstungsgüter mit einem Volumen von 1,65 Milliarden Euro in Länder geliefert werden, für die wir Entwicklungshilfe leisten. Was bedeutet das? Gerade die Lieferung von kleinen und leichten Waffen in diese Länder hat ja die Fortdauer gewaltsamer Konflikte zur Folge. Ja, wir brauchen endlich verbindliche Standards für Rüstungsexporte - die ich letzten Endes für inakzeptabel halte. Standards aber bitte zumindest, das wäre doch ein Ziel für die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands.
- Wo Kriegsdienst nicht Normalität ist, müssen neue Wege zur Bewältigung von Konflikten gefunden werden. Ich nenne die Themen Mediation und zivile Krisenintervention als Beispiel. Immer wieder höre ich als Gegenargument, bewaffnete Konflikte könnten nun einmal nur mit Waffen gelöst werden, siehe Blauhelme in Srebrenica. Wenn aber derzeit jeden Monat acht Milliarden US-Dollar für den Krieg im Irak investiert werden, darf doch gefragt werden, was denn mit acht Milliarden Doller monatlich an Friedensinvestition möglich wäre. Das ist noch nie ausprobiert worden. Stattdessen werden Eskalationen hingenommen, bis schließlich mit „humanitärer Intervention" oder gar „preemptive strike" argumentiert wird.
- Mit der Frage der Kriegsdienstverweigerung wird die Frage nach dem Krieg auf der Tagesordnung gehalten. Fast Normalität ist es, dass derzeit 56 Kriege weltweit geführt werden. Die Lage wird dadurch immer schwieriger, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen nichtstaatlichen Parteien zunehmen, die als Verhandlungspartner kaum zu greifen sind, während „offizielle" Kriege zwischen Staaten abnehmen. Und in Deutschland haben wir uns offenbar gewöhnt, dass deutsche Soldaten in Afghanistan, im Kosovo, im Libanon Dienst tun.
- Die Macht der Bilder wird dabei immer stärker. Krieg ist eine Nachricht unter vielen in der Tagesschau. Da arbeitet CNN mit „imbedded journalists" und sendet Fernsehbilder von vermeintlich präzisen, sauberen Angriffen, die keinen Menschen treffen. Und al-Dschasira zeigt extensiv die hässliche Seite des Krieges, Bilder, bei denen der Fernsehzuschauer wegsehen muss. Tote mit zerfetzten Köpfen, einen Pfleger, der versucht, mit einem Lappen Blut aufzuwischen. Ja, es gibt auch einen Krieg der Bilder in unserer Medienwelt.
Deutschland hat erlebt, was es heißt, andere mit Krieg zu überziehen und wie eine Zivilbevölkerung unter den Großmachtphantasien einzelner leiden kann. Sollte es nicht möglich sein, aus den Erfahrungen von Vernichtung und Vertreibung, von Zerstörung und Flucht ein tief verwurzeltes Engagement für friedliche Konfliktlösungen voranzutreiben. Doch, ich bin überzeugt, da könnte unser Land Vorreiter sein! Es geht darum, dass wir aus der Erfahrung der Vergangenheit heraus an der Spitze der Bewegung für eine friedensfähige Welt stehen!
Friedrich Siegmund Schultze hat das 1946 so formuliert: „Der Haß ist sicherlich eine der stärksten Mächte im Leben der Menschheit. ... Der Haß zerstört die Güter, die die Menschheit empfing und vermehrte. Diese reiche Erde, den Menschen als Besitz anvertraut, droht die Stätte ihres Unterganges zu werden. Der Garten, der aus der Wildnis erstand, wird wieder zur Wüste. Die Felder, mit unendlicher Mühe angelegt, werden versengt. ... All die Kräfte, die dem Aufbau dienen sollten, werden in den Dienst des Todes gespannt. ... Vielleicht, dass nicht in jedem Fall, in dem die Erde versengt oder der Tod gestreut wird, der Haß den Zerstörer treibt; aber unsichtbar steht der Dämon des Hasses hinter dem, der die Bombe plant oder wirft. Und die Menschheit läßt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern, die die Tat ermöglicht, die den Täter schützt, ja bewundert." (2)
Ja, es geht um ein Engagement für eine friedensfähige Welt. Es geht um eine junge Generation, die in Frieden investiert, die weltläufig ist, die sich den Menschen zuwendet, die „care" zum Thema macht. Kriegsdienstverweigerer wird ein Begriff der Vergangenheit werden. Zivis - was das war, wird nachgeschlagen in den Geschichtsbüchern. Aber Freiwillige - das wird das Merkmal einer Gesellschaft, die aufmerksam ist für den anderen, die nicht in Egomanie verfällt, sondern weiß, was Solidarität ist. Dazu tragen sie bei, die Kriegsdienstverweigerer.
„Krieg soll nach Gottes willen nicht sein" haben die Kirchen 1948 bei der Gründung des Ökumenischen Rates gesagt. Als Christin sehe ich den Friedensauftrag biblisch begründet. Und es ist mir wichtig, mit allen zusammen zu arbeiten, die sich für die Überwindung von Krieg einsetzen, sei es in der Zentralstelle und anderswo. Das ist nicht naiv, sondern hoffnungsvoll. Und es ist letzten Endes ein Eintreten für Menschenwürde, ja Menschlichkeit und Zukunftsfähigkeit.
Und da gibt es auch Hoffnungszeichen, dass Friedensfähigkeit wächst. Seit den 90er Jahren wurden mehr Kriege durch Verhandlungen zwischen den Gegnern als durch den Sieg einer Seite beendet. Zwischen 2000 und 2005 wurden 17 gewaltsame Konflikte durch Verhandlungen und nur drei durch „Siege" beendet. Friedensschlüsse scheinen stabiler als Abkommen früher. Doch, mit diesem Hoffnungsbild will ich schließen. Wenn diese Welt jedes Jahr eine Billion Dollar für Verteidigung ausgibt, kommt sie vielleicht endlich dazu, einen Bruchteil dieser Summe für Prävention, Friedensinitiativen und die Stabilisierung von Frieden bereitzustellen. Es bleibt die große Hoffnung, dass die Menschheit den Krieg überwinden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
1. Vgl. Freiheit und Dienst, EKD-Texte 84, 2006
2. Friedrich Siegmund-Schultze, Friedenskirche, Kaffeeklappe und die ökumenische Vision. Texte 1910-1969, hg. V. Wolfgang Grünberg, München 1990, S. 193f.
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